Kapitel 20

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Kapitel 20

Die folgenden drei Tage war Niall noch distanzierter als zuvor schon. Er kam nicht einmal mehr zum Essen, sondern wollte, dass es auf sein Zimmer gebracht wurde. Mutter und Vater fragten, was passiert war, doch ich sagte, dass ich keine Ahnung hatte, auch wenn er mich geschlagen und angeschrien hatte, und dann einfach weggegangen war.

Zuerst war ich nur wütend. Ich musste hohe Kragen tragen, da man sonst den Abdruck sehen würde, den er mir zugefügt hatte, als er mich zu Boden gestoßen hatte. Ich war noch nie so gedemütigt und geschockt gewesen. Er hatte nicht nur eine Frau geschlagen, er hatte die Prinzessin von Adelia geschlagen. Ich war königlich und er hatte den Mut, mich mit seinen bloßen Händen wie ein Barbar zu schlagen?

Dann realisierte ich, dass er irgendwie barbarisch war. Er war alleine in den Bergen aufgewachsen und war von den Eisgeistern aufgezogen worden. Seine Zivilisiertheit der letzten Wochen war nur gespielt. Das war ja nicht er. Er war nicht Lord Horan, er war das gefrorene Herz. Alles war eine Lüge - die Klamotten, die meine Mutter ihm gegeben hatte, Mullingar, die Gespräche mit meinem Vater. Seine ganze Persönlichkeit war nur Schau.

Nicht für mich. Ich wusste ja, wer er wirklich war und irgendwie war ich froh darum, dass nur ich es wusste. Und nur er wusste, was ich über mich gelernt hatte. Nicht meine Eltern oder Lord Tomlinson wussten, wie man ein gefrorenes Herz schmelzen konnte, oder was man mit einem Splitter der Truhe machen konnte. Sie konnten mir auch nicht helfen, die Legenden in dem Buch, das Niall und ich gefunden hatten, zu verstehen. Nur Niall und ich konnten den Geheimnissen auf die Spur gehen.

Und er wollte nicht mit mir reden.

Aber wahrscheinlich war es besser so. Ich wollte ihn ja auch nicht wirklich sehen. Er machte mich nur wütend. Und seine Stimmungen schlugen zu schnell um. Er konnte seine mörderische Seite nicht beherrschen.

Außer... außer wenn er nur bei mir war.

Das wurde mir einige Nächte später klar, als ich in meinem Zimmer war und zu den Bergen schaute, wo er herkam. Seine einzige Aufgabe war es, mich zu töten, um dann auf dem Thron von Adelia zu sitzen und die Eisgeister regieren zu lassen. Er war nun seit länger als einem Monat hier und auch wenn er drei Menschen getötet hatte, war ich nicht unter ihnen. Auch wenn es komisch war, so zu denken, hätte er ja auch einfach nachts in mein Zimmer kommen und mir das Genick brechen können. Er war stark genug dafür. Seine Muskeln zeichneten sich unter fast jedem Hemd ab, das er trug.

Als ich meinen Kopf gegen das Fenster lehnte und in die Dunkelheit blickte, stellte ich mir einen kleinen Jungen mit blonden Haaren und eisblauen Augen vor, der alleine im Schnee wohnte. Ich war noch nie in der Nähe der Berge gewesen, doch ich kannte die Legenden. Alle Bäume waren in Schnee gehüllt und unter all dem Schnee auf dem Boden waren harte Steine. Dort sollte kein Kind aufwachsen müssen, besonders nicht alleine.

Ich spürte starkes Mitleid mit dem Mann, der mich töten wollte. Ich konnte mir nicht vorstellen, keine Familie oder kein Zuhause für mehr als achtzehneinhalb Jahre zu haben.

Ehe ich richtig darüber nachdachte, stand ich vor seinem Zimmer. Meine Wunde war verschwunden; genauso wie meine Wut.

Zwei Wächter standen vor dem Zimmer und blickten sich nervös an, als sie mich sahen.

„Lord Horan möchte momentan keine Besucher, eure Hoheit-"

Ich hob meine Augenbraue und er blieb still. Ich war die Prinzessin, und 'Lord Horan' war nur ein Gast. Ein Gast in meinem Zuhause, und nicht andersherum.

Für einen solch arroganten und gewalttätigen Mann schmollte er wirklich ziemlich viel.

Die zwei Wächter mieden den Augenkontakt mit mir, als sie die Zimmertüren öffneten. Als ich durch die Tür lief, schlossen sie sie schnell wieder hinter mir, als hätten sie Angst vor Niall. Ich fragte mich vage, ob etwas geschehen war, oder ob sie nur Angst hatten, nicht gehorcht zu haben.

Frozen HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt