Kapitel 12

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Kapitel 12

Wir aßen in Stille. Ich war zu wütend und ängstlich, um weiter mit ihm zu reden. Und jedes Mal, wenn ich hochblickte, schaute er mich grinsend an. Wenn ich keine Prinzessin wäre, würde ich ihm seinen Wein überschütten. Jedoch war ich an gewisse Dinge gebunden.

Schon bald kamen die Bediensteten zurück, um den Tisch abzuräumen, doch sie waren schnell wieder verschwunden. Und auch wenn ich genervt war, bemerkte ich die angespannte Stimmung im Raum. Niemand von uns sprach ein Wort. Das einzige Geräusch waren die Angestellten, die draußen im Flur herumliefen und unseren nächsten Gang vorbereiteten.

„Also, spielst du?", fragte er und brach so die Ruhe. Ich blickte ihn an. Er tat so, als wäre das wirklich ein Date. Hatte er vergessen, dass sein Ziel es war, das Königreich zu erobern?

Natürlich hatte er das nichts. Ich sah das verräterische Glänzen in seinen Augen, was mir sagte, dass er genau wusste, was er tat.

„Spiele ich was, Lord Horan?", antwortete ich kühl. Dieses Spiel konnten auch zwei spielen.

Er nickte in Richtung des Pianos. Ich war damit aufgewachsen. Natürlich spielte ich.

Ich blickte wieder ihn an und neigte meinen Kopf. „Ich werde die Frage beantworten, wenn du eine von mir beantwortest."

Er beäugte mich kurz und lehnte sich dann vor. „Was würdest du denn gerne wissen, Prinzessin?"

Ich hob eine Augenbraue. Mein Herz schlug verdammt schnell, doch ich versuchte, so ruhig wie nur möglich zu bleiben. Ich wusste nicht einmal, ob ich die Antwort auf diese Frage wirklich hören wollte, aber ich musste so tun, als hätte ich keine Angst. Ich musste einfach nur so ruhig sein wie er es war.

Aber ich hatte verdammt viel Angst.

„Warum bist du hier?", fragte ich schließlich und Furcht lag in meiner Stimme. Je länger er so dasaß und mich anschaute, desto eher verwandelte sich meine Wut in Terror. Ich sah nur noch diese eisblauen Augen. Er hatte es geschafft, mich für drei Tage in ein Koma zu versetzen, aber konnte ich nun auch hier, ihm gegenüber, sitzen?

Ich wusste nicht, wie ich mich fühlen sollte.

Er lachte kurz, stand auf und legte seine Serviette auf den Tisch vor ihn. Dann knöpfte er ein paar der Knöpfe seines Hemdes auf, sodass seine Brust zum Vorschein kam. „Warum, Prinzessin, ich bin hier, um dir beim Klavierspielen zuzuhören."

Meine Augen folgten seinem Körper zur anderen Seite des Raumes. Er setzte sich auf den Hocker vor dem Klavier und klopfte neben sich, als Zeichen, dass ich mich zu ihm setzen sollte. Ich zitterte, als ich aufstand. Während ich dann die Distanz zwischen uns verringerte, und schließlich neben ihn saß, konnte ich nichts Anderes, außer das schnelle Schlagen meines Herzens, hören.

Unsere Beine berührten sich, als ich so dasaß. Er legte einen seiner Arme um meine Hüfte, sodass er mich beinahe hielt. Und überall wo wir uns berührten, brannte meine Haut wegen des Eises. Es war merkwürdig und fühlte sich nicht toll an.

„Stimmt etwas nicht, Prinzessin?", grinste er und legte dann seinen Arm noch enger um mich.

Ohne ihm zu antworten, legte ich meine Hände auf die Tasten und ein Geräusch erklang. Es waren gemischte und keine zueinander passenden Töne und Chaos echote im Raum. Niall kicherte und löste seine Berührung.

„Spiel etwas Schönes.", murmelte er und ich starrte ihn an. Auch wenn ich nicht wusste, wie ich es am Abend zuvor geschafft hatte, war ich mir sicher, dass ihm sein Grinsen vergehen würde, wenn ich erneut seine Brust berühren würde.

Jedoch widmete ich mich wieder dem Klavier und seufzte. Dann legte ich meine Finger vorsichtig auf die Tasten und begann eine Melodie. Es war ein Schlaflied von früher, jedoch kannte ich den Text dazu nicht. Ich hatte es schon seit Jahren nicht mehr gespielt, doch wusste es dennoch. Als wäre es in mein Gedächtnis eingebrannt.

Ungefähr in der Mitte des Liedes begann Niall auf einmal, mit zu summen. Ich hörte abrupt auf und ließ meine Hände wieder gewaltvoll auf die Tasten fallen. Warum kannte er das Lied? Geschockt drehte ich mich zu ihm. Er konnte es nicht wissen. Es war ein Schlaflied meiner Familie. Das hatte mir meine Mutter erzählt.

Ich drückte mich vom Hocker hoch und stolperte zurück, da ich plötzlich zu viel Angst hatte. Niall schaute mich amüsiert an und stand ebenfalls auf, wobei er mir folgte. Er platzierte seine Hände auf meiner Hüfte, damit ich nicht umfiel.

„Vorsicht, Prinzessin.", sagte er grinsend.

In blanker Angst legte ich meine Handfläche erneut auf seine Brust. Er schrie auf und löste sich von mir, doch dieses Mal folgte ich ihn und ließ ihn nicht los. Tränen fielen auf meine Wangen und ich versuchte, meine Schluchzer zu kontrollieren.

Warum passierte das mit mir? Das machte doch alles keinen Sinn. Die nun tote Frau, dieser Mann hier vor mir, meine Angst vor gewissen Dingen, das Schlaflied, die Kälte, dass er Schmerz empfand, wenn ich sein eisiges Herz berührte. Warum von allen Leuten in Adelia musste ausgerechnet ich diejenige sein, die ihn aufhalten konnte? Warum ich? Warum er?

Er fiel zu Boden und kniff seine Augen vor lauter Schmerz zusammen, doch ich ließ nicht los. Ich war viel zu wütend auf alles und wusste nicht, was ich tat. Ich sank auf meine Knie und drückte auch noch die zweite Hand gegen ihn. Ein Weinen entkam seinem Mund und ich sah, wie sich sein ganzer Körper anspannte. Seine Muskeln wollten den Druck ablassen, doch ich ließ es nicht zu.

So saßen wir da, ich weinte wie ein kleines Kind, und er hatte auch Tränen auf den Wangen. Schließlich ließ ich los und setzte mich hin, wo ich dann versuchte, mein Schluchzen zu kontrollieren. Ich fuhr mir über die tränenüberströmten Wangen, doch als ich den Mann vor mir liegen sah, blieb ich still.

Meine Hände hatten erneut rote Spuren auf seiner Haut hinterlassen, doch dieses Mal glühte etwas dahinter blau. Ich japste nach Luft. Egal wie oft man von etwas hörte, so konnte man es doch erst so richtig glauben, wenn man es mit eigenen Augen gesehen hatte.

Sein Herz war wirklich aus Eis gemacht.

Es schlug schnell und auch sein Atem ging stoßweise. Je länger ich es anstarrte, desto schwindliger wurde mir. Eis. Sein Herz... Eis.

Ich schnappte aus meiner Trance auf und stand auf, um Abstand von ihm zu nehmen. Er starrte mich an und ich beobachtete ihn, als er versuchte, sich zu bewegen. Es kostete ihn viel Kraft, wieder aufzustehen. Er versuchte, sich an einem der Stühle hochzustützen, doch er fiel wieder zu Boden.

Er sah hilflos aus und ich wollte ihm aus Mitleid helfen, doch dann sah ich wieder sein glühendes, gefrorenes Herz und ich wusste, dass er es nicht verdiente. Ich musste ihm wehtun, während er noch dort unten war.

Ich lief langsam auf ihn zu und kniete mich neben ihn hin. Mein Atem war zitternd und ging stoßweise. Er schloss seine Augen und wartete wohl erneut auf den Schmerz. Das war der Moment, in welchem ich realisierte, dass er Angst hatte.

Er hatte eine Schwäche, eine Angst - mich.

So saß ich dann die längste Zeit da und beobachtete ihn bei seinem Bemühen, wieder Kräfte zu erlangen. Er versuchte öfter, zu reden, doch dann berührte ich ihn wieder, sodass er verstummte. Und jedes Mal, wenn ich ihn berührte, weinte er und das Eis glühte noch stärker. Es war merkwürdig, so viel Macht über jemanden zu haben.

Er war nicht unverwundbar. Ich war seine Schwäche.

Frozen HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt