Meine Mutter holte mich dieses Mal nicht von der Schule ab. Warum, dass wusste ich nicht. Ich hatte auch keine SMS vor ihr auf dem Handy. Nicht vorher und auch nicht später. Nun machte ich mir langsam Gedanken, ob etwas passiert war. Man kann ja nie wissen. Gerade eben drum, dass sie ihren Freund verlor und ebenso ständig an der Flasche hing, auch wenn es langsam etwas weniger wurde, war es doch komisch. Als ich die Nummer von Henry in meinem Handy suchte, ging er gleich nach dem zweiten Klingeln ran. »Was ist mit meiner Mutter? Ich dachte sie holt mich ab«, sprach ich ohne auf seine Stimme zu warten und drehte mich etwas weg, damit andere mich nicht hörten.
Nebenbei lief ich über den Parkplatz und hoffte, dass sie doch noch auftauchte, aber als der alte Mann kurz daraufhin anfing zu sprechen, kotzte ich schon wieder nur ab. Warum verließ man sich immer nur auf irgendwelche Menschen? Man wurde doch sowieso bloß enttäuscht. »Das Auto steht da. Ich werde nach ihr schauen. Ansonsten hole ich dich ab«, gab er mir als Antwort. Wahnsinn echt. Sie hatte es die paar Tage hinbekommen mich zu fahren und auch wieder abzuholen und nun ging es erneut los? Ich wusste mit Sicherheit was mit ihr war. Sie lag definitiv auf der Couch in unserem Wohnzimmer oder hockte auf einem Stuhl in der Küche und soff. So wie jeden Tag, bevor der ganze Mist mit dem Guhl passierte.
»Was soll denn das?«, sprach mir Edan allerdings plötzlich ins Gespräch hinein und nahm mir mein Handy aus der Hand. Sofort sprang ich an ihm hoch, doch er war einfach zu groß für mich. »Spinnst du?«, schnauzte ich und er ging zwei Schritte weiter, um in den Hörer zu sagen: »Sie fährt mit mir mit, Henry. Bis dann.« Danach wandte sich Edan wieder mir zu und ich riss ihm wutentbrannt mein Telefon aus der Hand. Am liebsten hätte ich ihn vor der gesamten Schule eine geklatscht. Ich war alt genug und konnte über mich selbst bestimmen. Er musste nicht mit mir umgehen, als wäre ich ein Baby, nur weil er Jahrhunderte älter war. »Sag mal, was soll denn das? Du weißt genau, dass ich dich mitnehme.« Da hatte ich noch ein Wörtchen mitzureden.
»Was wenn ich aber nicht mit dir mit will?«, pampte ich. Zwar hatte ich die ganzen Tage auf ihn gewartet, aber hätte ich gewusst, dass das Wiedersehen so abläuft, hätte ich es verdammte Scheiße noch mal nicht gewollt. Was brachte ihm das ganze Bevormunden? Glaubte er ernsthaft, dass ich mich wohl dabei fühlte? Mit Sicherheit hatte ich ihm viel zu verdanken; gerade das mit den Klamotten und das ich nicht mehr geärgert wurde, aber deswegen musste ich nicht komplett nach seiner Pfeife tanzen. Er hatte kein Recht dazu. Zumindest nicht so lange bis er endlich reinen Tisch machte.
In diesem Moment wäre ich lieber nach Hause gelaufen anstatt mit ihm zusammen in einem Auto zu sitzen. Obwohl es ja nicht einmal meines war. Eine kleine Wohnung bei Henry. Sonst nichts. Mich interessierte wirklich, was meine Mutter und ich wohl als nächstes machten. Wir konnten nicht mehr in unser eigentliches Haus; auch sie wollte es nicht mehr. Ich wusste, dass Edan immer mal vorbeischaute, um zu gucken, ob alles in Ordnung war. Mehr auch nicht. Hinzukommend war es eine Bruchbude. Wer wollte schon dieses Ding haben?
Peter wird in ein paar Tagen beerdigt werden, dachte ich so. Danach wird es meiner Mutter sicherlich wieder extrem schlecht gehen. Sonst besaß er sowieso keine Angehörigen und wenn, dann hatten sie sich von ihm abgewandt. Die Autopsie stellte fest, dass ihn ein unbekanntes Tier übel zurichtete. Einerseits gab ich ihnen recht. Andererseits war es mehr als das. Dämon passte eher dazu. Mittlerweile bekam ich sogar meine Angstzustände nach und nach immer besser in den Griff. Am Tag dachte ich überhaupt nicht mehr an den Guhl. Erst abends stand ich manchmal am Fenster und hoffte, dass dieses Ding schon über alle Berge war, oder dass es der Richtige in die Mangel nahm und tötete. Wenigstens waren bisher in der Umgebung keine weiteren Leute zu Schaden gekommen. Bis jetzt.
»Hör auf zu spinnen«, schnauzte Edan, ergriff bestimmend meine Hand und holte mich aus meinen Tragträumereien. »Wie lange willst du mich noch hin- und herfahren?«, antwortete ich geistesabwesend. »So lange bis ich diesen Guhl gefunden habe. Er ist sehr schlau. Wenn er tot ist... Nicht einmal dann musst du laufen. Höre auf mit dem Kindergarten.« Nach diesen Worten verdrehte ich die Augen. Wer hier welchen veranstaltete war doch klar. »Höre du doch endlich damit auf und sag mir, woran ich bei dir bin! Wir sind keine zwölf mehr. Sag mir gefälligst, was du für mich empfindest. Was ist das da zwischen uns? Etwas Ernstes?«
DU LIEST GERADE
Someday I - I looked into your eyes
VampireTrilogie: Band 1 Larissa ist nicht bloß eine Außenseiterin, sondern auch das Verhältnis zu ihrer Mutter ist nicht gerade rosig, die täglich an der Flasche hängt und jedes Mal einen anderen Mann ins Haus lässt. Immer wieder ist sie allein und flücht...