Kapitel 3

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Hatte ich das wirklich laut gesagt? Wie dumm war ich eigentlich? Auch wenn der Gedanke bescheuert klangt: Dieser Kerl ist wunderschön. Mein Verstand setzte aus. Ich konnte mich auf nichts mehr konzentrieren und ich wäre definitiv nicht die Einzige, die das so sah. Ein gut aussehender junger Mann kam zur Tür herein und lief zielgerichtet mit fast schwebenden Schritten zu uns an den Tisch, setzte sich ganz selbstverständlich mir gegenüber und goss sich eine Tasse Kaffee ein. Mein Mund war noch immer geöffnet. Das war also sein Besuch? Oh ha. Wie konnte es sein, dass Henry mit so jemand zu tun hatte? Dieser Typ sah aus, als wäre er aus einem Roman entsprungen und passte nicht in dieses Haus, oder gar zu uns. Außerdem war er mir noch nie zuvor begegnet. An so einen erinnerte man sich. Definitiv. Er sah perfekt aus. Verdammt gut. Hätte ich gar keinen Anstand gehabt, wäre mir wahrscheinlich der Speichel über die Lippe getropft.

Eilig schloss ich den Mund, damit mir das auf keinen Fall passierte. Was machte dieser Typ bei uns in der Gegend? Die Leute hatten nicht viel Geld und er hätte irgendein Mann aus einem Modemagazin sein können. Er passte definitiv nicht zu uns und sah aus wie ein Diamant auf einem Schrottplatz. Seine Gesichtszüge wirkten weich und jungenhaft, doch seine hellen Augen schienen, als wäre er schon Jahrhunderte auf dieser Welt. Die dunklen langen Haare trug er in einem Zopf und reichten ihm bis in die Mitte seines Rückens. Noch nie hatte ich einen Mann gesehen, der genau solche langen Haare wie ich trug. So etwas gab es hier einfach nicht. Seine Körpergröße wirkte fast riesig und trotz meiner ein Meter fünfundsiebzig, überragte er mich bei weitem. Ich konnte seine schlanken, aber muskulösen Oberarme, durch den enganliegenden weißen Pullover erkennen, was ihn nur noch interessanter machte und ich musste sofort schwer schlucken.

Perplex schaute ich Henry an, damit ich mich nicht länger mit meinem Blick an diesem Fremden festtackerte, wollte etwas sagen, aber mir hatte es eindeutig die Sprache verschlagen. Am liebsten wollte ich die Flucht ergreifen, bei dem wie ich aussah. Peinlich war ein Scheiß dagegen. Toll. Echt. Das war ja wieder typisch, dass ich nirgendwo hineinpasste und vollkommen verloren wirkte. Sogar hier. Ich spielte gedankenverloren an einer meiner Haarsträhnen und guckte wieder zu diesem Unbekannten, der mich freundlich mustere. Seine Augen fanden direkt meine und hielten mich in einem Meer aus Verwirrung und einem Gefühl der Machtlosigkeit gefangen. Er war ein Traum. Perfekt. Jeder besaß Makel, aber er hatte keinen einzigen sichtbaren.

Augenblicklich schien mein Hirn ihm komplett zu verfallen und nicht nur das, sondern auch mein Körper. Obwohl ich sicher auf einem Stuhl saß, musste ich mich an der Tischkante festkrallen, sonst wäre ich sogar von dem geflogen. Dieser Blick von ihm. Noch nie hatte mich jemand so angeschaut. Als würde er durch mich hindurchblicken, in meine Seele, und dann war dieser Stich in mir. Ich konnte an so etwas nicht denken. Mich wollte niemand, bei dem wie ich aussah und erst recht nicht diese Art von Mann. Fast wäre ich dahingeschmolzen. Jede Frau hätte für diesen Kerl getötet. Ebenso ich, doch das musste ich mir auf der Stelle abschminken. Womöglich war er ja gar nicht lange da und ging bald dort wieder zurück, von wo er her kam. Des Weiteren schämte ich mich für mein Aussehen sofort.

Wieder schweiften meine Gedanken zu meinem Leben ab. Ich hatte bisher nicht mal einen Freund gehabt. Geschweige denn wollte mich jemand. In der Schule wurde ich ein einziges Mal geküsst, weil ein Junge eine Wette verlor, aber sonst war da kein Einziger, der wenigstens ein bisschen Interesse hegte, obwohl ich schon achtzehn war und normalerweise kein Küken mehr. Das war manchmal echt frustrierend. Es gab Tage, da wünschte ich es mir, doch oft schob ich den Gedanken beiseite. Nun saß aber dieser Mann vor mir und noch nie zuvor hatte mich jemand so aus dem Konzept gebracht. Einer, der komplett alles in mir umkrempelte... Noch immer mit diesen traumhaft hellen Augen auf mir geheftet.

»Wo kommst du her?«, fragte ich leicht benommen. Es fühlte sich wie ein Zwang an. Ich musste es wissen. Möglicherweise konnte er mir sogar etwas von der Welt da draußen erzählen. Bisher war ich nicht aus diesem Ort herausgekommen. Ich war so wissbegierig, versuchte mich aber im Zaum zu halten, bevor ich anfing zu viel zu reden und dann womöglich nur noch Stuss von mir gab. »Von hier und da«, erwiderte er nur und zuckte mit den Schultern. Seine Stimme war Samt in meinen Ohren. Wie konnte jemand nur so eine Tonart haben? Das sollte verboten werden, denn schon damit verlor ich die Kontrolle über meinen Körper und warf meine leere Tasse um, mit der ich die ganze Zeit herumspielte.

Someday I - I looked into your eyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt