Kapitel 4

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Erst kamen einige kleine, dann ziemlich große Flatschen Regen und im Endeffekt goss es wie aus Kübeln. Ich drückte mich weiter in die frische Mulde der Rinde und konnte nur hoffen, dass es bald wieder aufhörte. Der eisige Wind der mir immer wieder dabei ins Gesicht schlug, tat sein Übriges und brachte mich so sehr zum Zittern, dass meine Zähne im Takt der Tropfen hart aufeinander schlugen. Auch als ich meine Beine noch näher anzog und mit den Armen umwickelte, konnte ich die Kälte spüren. Wie ein kleines Mädchen kugelte ich mich ein, doch es half alles nichts. Das Unwetter wurde schlimmer. So, als wolle es diesen Flecken Erde mit seiner Ungezähmtheit bestrafen.

Unwillkürlich musste ich daran denken, was meine Mutter in diesem Augenblick trieb. Sie hatte es mit Sicherheit wärmer und trieb es mit diesem Arschloch auf dem Küchentisch. Dabei saß ihre Tochter in der Kälte und holte sich fast den Tod, wenn sie nicht einen wärmeren Unterschlupf fand. Irgendwie wollte ich plötzlich wieder zurück zu Henry und bereute es schon in diesem Moment nicht bei ihm geblieben zu sein. Eben, weil ich mich dort extrem wohl fühlte. Da war es mollig warm. Trotz dessen wollte ich kein Grund sein, über den man sich streiten musste. Was er wohl jetzt tut? Womöglich machte er sich tatsächlich Sorgen um mich. Das würde ihm ähnlich sehen. Allerdings nützte es nichts. Im Moment konnte ich sowieso nicht dorthin zurück. Zumindest nicht so lange, wie sein Besuch da war.

Unvermittelt spürte ich etwas an meinem Handrücken und schreckte lautstark zusammen. Mein schrilles kurzes Kreischen wurde jedoch sofort mit dem Wind hinfort getragen und vom Regen verschluckt. Verdammt. Erst im Nachhinein bemerkte ich, dass es vollkommener Schwachsinn war so zu erschrecken. Ich fing zu lachen an und streichelte Mimi über das feuchte Fell. »Du hast mir aber einen Schrecken eingejagt. Solltest du nicht im Warmen sein? Du bist ja ganz nass« und ich klopfte an meine Seite, worauf hin sie sich neben mich setzte, um ebenso vor dem Regen Schutz zu nehmen. Sanft stupste sie mich mit ihrer Pfote an, damit ich sie streichelte. Natürlich tat ich das und ich konnte ein leises Schnurren durch den Wind hören.

Die Anwesenheit dieses Tieres stimmte mich etwas ruhiger und lenkte mich von meinem scheiß Leben ab. Das seidige Fell stellte sich nun jedoch in alle Richtungen. Es war die einzige Katze die ich kannte, die trotz Regen draußen herumlief, aber hätte sie es nicht getan, wäre sie nicht bei mir gewesen und ich wäre noch verlorener. Zwar schütze mich der Baum immer noch vor dem meisten Wasser, doch die vollen Blätter, die noch vor einigen Tagen dranhingen, waren schon längst abgefallen und boten kaum Schutz. Der Wind wurde mittlerweile so stark, dass ich mir vorkam, als würde er auf meine nackte Haut preschen. Mimi zuckte dabei unruhig mit dem Schwanz und ich spürte auf der Stelle, dass sie nach Hause wollte. Zugleich schob ich sie mit meinen eisigen Fingern weg, um ihr zu zeigen, dass sie endlich zu Henry sollte.

Schnell verschwand sie aus meinem Blickfeld. Wenigstens sie sollte es trocken haben. Ich hingegen presste mich noch immer gegen den Stamm. Dabei gähnte ich kurz auf. Ich war extrem im Arsch. Die Müdigkeit verschwand nicht mal in der Nässe. Die oft zu kurzen Nächte zogen langsam immer mehr an meinem Körper und auch die ständige Kälte tat sein Übriges. Auch, wenn ich lieber verschwinden sollte, musste ich erst einmal hier bleiben. Es wäre zu weit sich auf den Weg zu machen, um zu meiner Mutter zu gelangen und vielleicht die Tür geöffnet zu bekommen. Ich musste warten. Wie lange wusste ich nicht.

Langsam wurde ich sogar etwas schläfrig, trotz der Kälte. Außerdem zog mir das Weinen irgendwie die letzte Kraft aus meinem Körper. In der letzten Zeit war ich echt ein Wrack. So viele Jahre, wie ich hier auf dieser Erde weilte. Für manch andere sicher eine kurze Lebensspanne, für mich wiederum zu lang, weil die Jahre nichts Schönes für mich übrig hatten. Ich musste meist den Haushalt allein machen und da Peter immer am Wochenende vorbei kam, sollte alles blank sein. Also schrubbte ich meist bis in die Nacht hinein. Und nun war ich so im Arsch, dass ich sogar noch bei diesem Sauwetter einschlafen konnte. Was war nur mit mir passiert? War ich schon so kaputt, dass ich mit meinen achtzehn Jahren nicht mehr existieren wollte? Irgendwo tat ich es, aber irgendwo auch nicht. Jeden Tag die Hoffnung, dass es anders werden würde und ständig wurde ich maßlos enttäuscht.

Someday I - I looked into your eyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt