Kapitel 32

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Ich starrte noch immer in den wolkenlosen schwarzen Himmel. Keine Ahnung wie lange ich im Dreck lag. Raum und Zeit verlor ich vollkommen. Ich wusste nicht einmal, ob ich noch immer an dem gleichen Fleck lag wie zuvor, oder ob mich dieser Guhl schon längst wo anders hingezerrt hatte. Meine Stimme war mir komplett abhandengekommen. Einzig und allein ein Röcheln war zu hören, als pustete jemand mit einem Strohhalm in ein Schluck Wasser. Ich war nicht mehr im Stande überhaupt etwas zu fühlen. Es war ein eigenartiges Gefühl, was sich nicht beschreiben ließ. Sogar die Angst schwand immer mehr.

Meine einzigen friedlichen Begleiter waren die Sterne am Firmament. So hatte ich es mir gar nicht vorgestellt von dieser Welt zu gehen; indem mich irgendein Wesen, was es eigentlich gar nicht geben sollte, umbrachte. Doch auch daran konnte ich kaum noch einen Gedanken verschwenden. Der Schmerz rückte stetig mehr in den Hintergrund und auch meine Glieder wurden leichter und leichter. Irgendwie war es wunderbar. Es fühlte sich fast an, als begann ich wenige Sekunden später zu schweben. Sogar der ausgedorrte Boden war nicht mehr zu spüren.

Ich wusste, dass es nicht mehr allzu lang dauerte und ich den letzten Atemzug tat. Schon in diesem Moment war klar, dass das Leben Stück für Stück aus meinem Körper ran, denn unaufhaltsam floss mein Blut aus allen Poren und mir war bewusst: Ich bin verloren. Für immer. In einem Nichts lag ich zwischen Geäst und alten Blättern. Niemand wird mich je finden. Jedes Schreien wäre eh sinnlos gewesen. Wer sollte mich auch schon hören? Es wirkte, als hätte der Guhl eine eigene Welt um sich und mich herum geschaffen. Und ich brüllte zuvor oft. Ich rief nicht nur ununterbrochen nach Edan, sondern kreischte auch immer wieder auf, doch nun blieb ich stumm.

Ich wollte nicht mehr. Vorbei. Aus. Der Kampf war verloren. Ich war es. Und obwohl ich versuchte zu sprechen, ging gar nichts mehr. Meine Hände fielen links und rechts an meinem Körper herunter. Sie landeten im Dreck. Meine Fingerspitzen tasteten sich schwach darüber. Es fühlte sich komisch an. Zerronnene Träume. Unauffindbar für jedermann. Vielleicht nicht für Edan, aber ich konnte ihn nicht einmal mehr rufen. Womöglich spürte er nicht, dass mir etwas passiert war. Immerhin fühlte ich kaum selbst noch die Schmerzen, die mich immer weiter in den Abgrund zerrten. In die unerbittliche Dunkelheit.

Mein ganzes Leben zog erneut an mir vorbei. Unvermittelt dachte ich an die Jungs, die mich tagtäglich immer wieder drangsalierten. Wer wäre wohl das nächste Opfer? Ob sie wohl traurig waren, dass sie sich jemanden Neuen suchen mussten? Oder fanden sie es schlimm was mir passierte? Aber Edan... Vielleicht war er verschwunden. Womöglich suchte mich auch gar keiner, auch er nicht, und jeder dachte ich wäre abgehauen. Zumindest hatte ich es meiner Mutter immer wieder gesagt und diese ging definitiv davon aus, dass ich das Weite suchte. Wenn es doch nur den Tatsachen entspräche. Leider würde meine Leiche an diesem Ort vermodern, falls der Guhl noch etwas von meinem Leib übrig ließ.

Trotzdem würden sie mir alle fehlen. Ob ich mich wohl mit Lukas richtig gut angefreundet hätte? Da waren so viele offene Fragen und sie konnten auch nicht mehr beantwortet werden. Ich sah Henry, der vor mir stand und mich anschnauzte, weshalb ich so bescheuert war und nicht auf ihn hörte, doch es war zu spät. Alles war zu spät. Es war alles regelrecht zum Verzweifeln.

Urplötzlich spürte ich einen heißen Atem in meinem Gesicht und dieses Ding hockte genau vor mir. Es sah mich mit seinen großen hellen gelben Augen an, die mich blendeten, und sein Geifer tropfte auf meine Wange. Es war so ekelerregend, dass ich unter normalen Umständen gekotzt hätte, aber nun interessierte es mich irgendwie kaum noch, denn die Schwerelose und die Müdigkeit machten sich immer mehr in meinem Körper breit. Ich konnte tun was ich wollte, aber ich bekam nicht mehr hin, mich wieder richtig unter Kontrolle zu kriegen. Wollte ich das überhaupt? Dann wären sicherlich die Schmerzen wieder da, die in diesem Augenblick komplett in den Hintergrund rückten.

Someday I - I looked into your eyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt