Draußen auf dem Hof der Universität suchte Heather nach dem braunhaarigen Mädchen, das weinend die Cafeteria verlassen hatte. Gleich vor ihr baute sich das Bibliotheksgebäude auf, dessen Fensterfronten im Inneren für ausreichend Licht sorgen mussten. Sie lief ein bisschen an der Mauer her und lauschte in die Stille. Nach einigen Metern vernahm sie ein zierliches Wimmern, das aus einer kleinen Nische des Gebäudes drang und lugte um die Ecke.
»Hey, alles in Ordnung bei dir?«, fragte sie vorsichtig. »Ähm, das ist wahrscheinlich nach alldem gerade die falsche Formulierung. Es tut mir schrecklich Leid, dass Bianca so mit dir umgegangen ist. Sie ist im Moment sehr gestresst, aber das rechtfertigt ihr Verhalten keinesfalls.«
»Ja, ist egal«, antwortete das Mädchen und wand ihr Gesicht zur Wand ab. »Du kannst ruhig wieder gehen.«
Seufzend ließ Heather sich neben ihr nieder und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Mauer, deren Kälte ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Die Brünette entspannte sich allmählich und die Tränen versiegten.
»Es ist reichlich spät, aber wie heißt du?«, hakte Heather nach, als sie bemerkte, dass sich die andere beruhigte. »Ich bin Heather McCarthy.«
»Cara ... Cara Jackson. Muss ich dich irgendwie anders anreden, weil du aus gutem Hause kommst?«
»Ach quatsch«, Heather stand auf und reichte Cara ihre Hand. »Begleitest du mich in die Bibliothek? Ich bin bis jetzt noch nicht dazu gekommen, mich dort umzusehen.«
Cara wirkte zögernd, war sie sich doch vermutlich nicht sicher, ob es eine gute Idee war, sich mit Heather sehen zu lassen. Vor allem nicht, weil ihre Freundin Bianca sie ganz offensichtlich nicht mochte. Cara wollte eben widersprechen, da trafen sich ihre Blicke. Heathers Lächeln schien ihre Angst aufzulockern, als würde eine warme Brise über ihre Haut streichen und diese ergriff die noch immer nach ihr ausgestreckte Hand. Auch Heather spürte ihr Herz einen kleinen Sprung machen, als sich die beiden Mädchen berührten. Es glich einem Gefühl von Vertrautheit, obgleich sie sich gar nicht kannten.
Gemeinsam setzten sie sich, jeder ein Buch in der Hand, in einen Kreis aus brauen Ledersesseln, die sich in einer von Paravents abgetrennten Ecke befanden. Einige Minuten sagte keiner ein Wort. Beide schienen in ihre Lektüre vertieft zu sein, doch es lag eine gewisse Spannung in der Luft, die sie nicht totschweigen konnten, das wusste Heather. Der Schmerz und die Scham, die Cara durch Bianca ertragen musste, galt es zu vernichten.
»Wegen vorhin«, setzte Heather kleinlaut an. »Verzeih, dass ich nichts gesagt habe. Bianca ist meine Freundin, auch wenn sie sich daneben benimmt, deshalb entschuldige ich mich nochmals für sie.«
»Dir ist klar, dass du das nicht musst, oder?« Cara legte den Kopf schief und musterte die Blondine, deren Haare in ihr Gesicht fielen. »Wenn sich jemand entschuldigen sollte, dann deine Freundin. Ich will nicht aufmüpfig wirken, doch sollte jemand aus ihrem Hause nicht wissen, was Benehmen bedeutet?«
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Gottessplitter
ParanormalEin Forschungsinstitut, das kein Student betreten darf, thront wie ein Mahnmal mitten auf dem Gelände der Freyer Akademie. Zwei Studentinnen, die unterschiedlicher nicht sein können und nur zu gerne die Geheimnisse des Instituts ergründen wollen. Di...