Fall

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Ich musste einen unruhigen Schlaf gehabt haben. Umgeben von Kälte und Beton, begann ich am ganzen Körper zu zittern. Mittlerweile waren sechsundzwanzig Stunden vergangen. Länger als einen Tag hielt ich es also schon in diesem Keller aus und das bei einer Außentemperatur von unter zehn Grad, was bedeutete, dass es hier drinnen nur unwesentlich wärmer gewesen sein musste.

Die Kälte hatte mich mit jeder Minute mehr und mehr geschwächt. Irgendwann hatte ich mich kaum noch bewegen können, dann war ich eingeschlafen. Ich bekam selbst gar nicht mit, wie ich immer tiefer in die Bewusstlosigkeit sank und mein Herz nur noch langsam seinen Dienst leistete. Vielleicht war das der Grund, warum es mit meiner Superkraft auf einmal vorbei gewesen war. Womöglich hatte ich nie eine gehabt und alles was in den letzten beiden Tagen passiert war, hatte sich mein Hirn ausgemalt, während es immer weniger Sauerstoff abbekam.


Was ich ebenfalls nicht mitbekam war, wie Chan nun um mein Leben kämpfte. Die ganze Zeit war ich es gewesen, der versucht hatte, die ganze Welt in Bewegung zu setzen, nur um ihn vor dem Tod zu schützen. Nun tat er alles dafür, mich wieder zu bekommen.

Zitternd stand er auf dem Dach des Schulgebäudes. Seine rechte Hand pochte, während sie immer weiter anschwoll und sein Herz raste. Hätte ihm in dem Moment jemand gegenüber gestanden, hätte derjenige wohl die Angst in seinen Augen gesehen. Ja, Sven war sich allen Gefahren bewusst gewesen. Er wusste, dass er sterben könnte, oder gar selbst zum Mörder würde, wenn das alles hier ernst gemeint war.


Plötzlich zuckte er zusammen. Das Aufprallen zweier Schwerter unmittelbar hinter ihm ließ ihn aus seiner Schockstarre aufschrecken.

„Suchst du Tense?", fragte die ganz in Schwarz gehüllte Gestalt.

„Wo ist er?", rief Chan aufgebracht, die linke Hand zur Faust geballt.

Das Ohngesicht begann zu lachen. Lange zu lachen. Laut und lange. Es dauerte eine Weile bis es sich beruhigt hatte. Dann sah es wieder ernst drein, sofern man das durch die Maske erkennen konnte.

„Vielleicht in Düsseldorf, vielleicht noch in Köln. Vielleicht aber auch in Duisburg, Xanten, oder sogar schon in Rotterdam."

Chan sah aus, als starre er ins Leere, während er ruhig blieb und nachdachte. Er bewegte sich keinen Millimeter; man konnte lediglich sehen, wie er tief ein und ausatmete. Köln, Düsseldorf, Duisburg, Xanten, Rotterdam... Was wollte Tense dort?

„Du checkst es nicht?", fragte das schwarze Wesen auf dem Dach.

Immer noch reagierte mein bester Freund nicht.

„Ich habe Tense genau wie du seit gestern nicht mehr gesehen und ich werde ihn wohl auch nie wieder sehen. So auch du. Die Strömung war gestern äußerst stark."

Erschrocken weiteten sich seine Augen. Nachdem er einen kurzen, hektischen Atemzug genommen hatte, hielt Chan die Luft an. Ihm wurde speiübel. Für drei Sekunden sah er sein Gegenüber ungläubig an, dann verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck und er setzte sich in Bewegung, drauf und dran mit seiner starken Hand zum Schlag auszuholen.

„DU KRANKER WICHSER!"

Blitzschnell hatte sich das Ohngesicht nach seinem Schwert gebückt und es auf meinen Kollegen in der grünen Jacke gerichtet. Die Klinge streifte Chans Gesicht, warmes Blut lief seine Wange hinab und er hielt inne. Mit der mittlerweile stark angeschwollenen Hand fasste er sich an die Stelle, an der es schmerzte. Wie befürchtet war das kein Haterstreich mehr! Dieses verdammte Schwert hatte ihn ernsthaft geschnitten! Und dann behauptete dieser Kerl auch noch, meine Leiche im Rhein versenkt zu haben! Das war alles zu viel für Chan. Sein Herz raste, im Kopf hämmerte und pochte es laut; am liebsten hätte mein allerbester Freund sich die Seele aus dem Leib geschrien. Er glaubte, der Typ hätte mich ermordet, Applewar Pictures auseinander genommen, ihn als den größten Versager hingestellt und nun hielt dieses miese Maskengesicht ihm auch noch ein zweites Schwert vor die Nase.

It doesn't make senseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt