Ein Gespräch mit Chosen

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>>Manchmal habe ich Angst. Angst davor, dass ich tatsächlich aus diesem Alptraum aufwache und genau da lande, wo die Realität aufgehört hatte. Im Krankenwagen.

Was beschwerte ich mich dann also? In der Welt, in der ich mich jetzt befand, war doch noch alles gut und wenn ich richtig handelte, könnte es auch für immer gut bleiben.<<


Wie so oft an diesem Tag, seufzte ich. Chan hatte mich kurz umarmt, versprochen auf sich aufzupassen und war dann wieder zurück an den Stand gegangen. Dort befand sich ja noch eine ganze Reihe Fans und es gehörte zu unserem Job, sie alle mit Fotos, Merchandise und Autogrammen zu versorgen. Ich hingegen, nahm mir also für heute frei und sammelte erst einmal meine Gedanken.

Ich schlenderte zunächst durch den Raum und atmete immer wieder bewusst ein und aus. Das sollte mich beruhigen. Meistens half es sogar. Meinen Blick ließ ich über den Boden schweifen. Unter der Tafel fand ich etwas, das sofort meine Aufmerksamkeit erlangte. Die bunten Farben zogen sowieso einen jeden magisch an, aber für mich hatten sie eine ganz andere Bedeutung.

Wieder seufzte ich.

Die Regenbogenschildkröte: Ein einfaches, banales Fangeschenk, welches mittlerweile Kultstatus hatte. Zumindest bei mir. Ich erinnerte mich an den „Angriff der Fragen", in dem wir sie das erste Mal promotet hatten. Es war... wie so oft... witzig. Zumindest für uns. Wir hatten viel gelacht an dem Tag, hatten einfach nur unseren Spaß beim Drehen. So wie immer.

Ich habe viele Freunde, mit denen ich so lachen kann. Aber Chan ist dennoch einzigartig.

Nachdem die Schildkröte und ich unseren Wettbewerb im „sich-gegenseitig-anstarren" ausgetragen hatten – sie hatte natürlich gewonnen – machte ich mich doch auf den Weg zu unserer Zeichnerin. Sie glaubte mir wenigstens. Das hatte ich im Gefühl. Und ich wollte erneut mit ihr reden. Also lief ich zu ihr und bat sie um eine kurze Pause, in der wir uns ungestört unterhalten konnten. So begaben wir uns in den freien Klassenraum, links von der Anstehschlange unserer Fans und schlossen die Tür.

Ich lief zunächst ans Fenster und starrte hinab auf den Schulhof.

„Die Stelle...", murmelte ich mit einem mulmigen Gefühl im Bauch und wendete meinen Blick nicht von ihr ab, bis Chosen mich am Ärmel zog.

„Was ist passiert?", fragte sie und sah mich erwartungsvoll an.

Wieder stellte ich ihr erneut eine Frage, die so komisch war wie die letzte:

„Glaubst du an Zeitschleifen?"

Christina blieb wider Erwarten ernst. Sie dachte kurz nach, dann sagte sie völlig gefasst: „Ich habe noch nie davon gehört, außer in Mangas und Filmen. Ich glaube wirklich nicht, dass es sie gibt. Man könnte doch sonst so viele Dinge wieder gut machen, oder einfach ungeschehen. Das wäre zu schön um wahr zu sein."

Ich nickte: „Und was wenn es sie doch gibt? Wenn ich dir sage, dass das hier alles kein Alptraum ist?"

„Tense, jetzt machst du mir langsam Angst."

„Und mir selbst erst! Das Ganze ist so unglaublich, aber... Als ich von dir zurück zu unserem Stand wollte, da habe ich einen Feuerwehrmann gesehen. Er sah so aus wie ein Conhelfer und der Sanitäter, der mich im ersten Durchlauf versorgt hat, nachdem Chan vom Dach gefallen war. Dasselbe passierte nochmal mit einem Händler. Sie alle tauchten auf und verschwanden kurz darauf wieder und immer wieder sagten sie mir alle dasselbe: Dass mein Schicksal noch nicht geschrieben sei und wenn ich auch nur mein eigenes verändere, dann könnte ich auch Chans Leben in eine andere Bahn lenken."

„Klingt... unglaubwürdig.", antwortete die Zeichnerin zögerlich.

Ich nickte erneut: „Anfangs hatte ich auch Angst. Mittlerweile nehme ich diesen Typen sehr ernst. Ich glaube, er weiß 'was. Er war es auch, der gesagt hat, dass das was ich gesehen habe kein Alptraum war. Ich bin in einem Rerun, glaub es mir oder nicht. Und weißt du was? Ich habe zwar Angst vor meiner Zukunft, dennoch bin ich irgendwie froh. Ich weiß genau was ein Großteil dieser Menschen heute noch auf der Con erlebt. Ich weiß, dass ein Mädchen ihr Stofftier verliert und die Conhelferin mit der Cookiemütze es suchen wird. Ich weiß, dass du im Workshopraum nicht genügend Stühle haben wirst und eine blonde Conhelferin, sowie ein recht junger dem Hausmeister helfen werden, welche zu besorgen. Ich weiß sogar, dass ein Mädchen nach der Eröffnungsfeier über ihr zu langes Kleid stolpert und sich das Handgelenk verstaucht. Und ich weiß, dass uns jemand erpresst, obwohl es noch keine Drohung gab. Und genau das muss ich verhindern! Nicht was die Schicksale der Conhelfer oder gar der Besucher angeht. Ich muss mein eigenes verändern. Nur so kann auch Chan überleben. Er hätte tot sein können, nach allem was passiert ist. Aber das ist meine Chance ihn zu retten und als sein bester Freund, stehe ich in dieser Pflicht, alles dafür zu tun, dass er überlebt!"

Christina schluckte: „Das klingt immer noch unglaublich, aber... Wenn das alles stimmt, wenn die Conhelfer und Besucher genau diese Probleme haben werden, wie du es voraussagst und vor Allem, wenn du die Drohung an euch verhindern kannst, dann... Das wäre irgendwie... krass und sogar cool! Wie auch immer das sein kann. Wenn du den Anderen davon erzählst..."

„Nein, auf keinen Fall!", unterbrach ich sie: „Sie würden es mir nicht glauben. Ich darf mich nicht in alles einmischen, das wäre zu viel. Ich muss sicher gehen, auf meinem Gebiet keine Fehler zu machen. Vielleicht wäre es genau falsch, jeden darin einzuweihen. Es reicht schon, dass Chan mich für verrückt hält."

Nachdenklich richtete ich meinen Blick zu Boden... Irgendwie kam mir gerade in den Sinn, wie die Protagonisten in Zeitreisefilmen oft gesagt bekamen, dass man ihnen nicht glauben würde. Auch, dass sie sich nicht zu stark in die Schicksale anderer einzumischen hatten, da alles was sie taten Auswirkungen auf die Realität, beziehungsweise ihre Gegenwart haben könnte. Damit hatten die Drehbuchschreiber ziemlich ins Schwarze getroffen. Meine einzige Vertrauensperson war Chosen, auch wenn sie es noch nicht so richtig begreifen konnte, was da mit mir passierte. Die Situation, die sich für mich unangenehm anfühlte, sah sie eher vorteilhaft an. Vielleicht sollte ich mir ein Beispiel an ihrer positiven Einstellung nehmen und versuchen, Chans Tod mit meinem Wissen über die Zukunft zu verhindern.

Langsam schlenderte ich im Raum auf und ab, während ich genau diese Gedanken unserer Zeichnerin schilderte, die mir ruhig zuhörte.

„Hast du denn Chan schon von allem erzählt?", fragte sie mich, als ich eine kurze Sprechpause eingelegt hatte.

Ich nickte. „Schon, aber... nicht ganz. Ich war in dem Moment irgendwie wieder in diesem Trancezustand. Als ich mich auch nur daran erinnerte, wie er..." Ich stockte. Es war schwer, mich so zusammen zu reißen, dass ich nicht wieder in diese Angstzustände versetzt würde: „blutend in meinen... Naja... Es war sicher ein Fehler, es ihm zu sagen, weil er einfach vollkommen überfordert damit war. Ich habe nicht das Gefühl, dass es ihm leicht fällt, mir auch nur ansatzweise zu glauben. Für Chan existiert der Tod nicht. Noch nicht. Er kann nicht glauben, morgen zu sterben. Nicht auf diese Art und Weise. „It doesn't make sense", hat er gesagt. Wie gesagt, ich glaube, er hält mich für ein wenig verrückt. Für heute hat er mir eine ganztägige Pause verordnet."

„Ich finde, das solltest du nicht so negativ sehen. Er ist dein bester Freund und macht sich sicher auch Sorgen um dich. Allerdings ist er ziemlich gestresst, diese Con, sodass er keine Zeit hat, das Ganze ausführlich mit dir zu klären.", versuchte Chosen meine leichte Aufregung gegenüber Chans Einstellung zu der ganzen Sache zu mildern.

„Ich weiß", antwortete ich mit verschränkten Armen: „Aber es ist nun mal jetzt wichtig, dass er mir zuhört. Sonst haben wir unsere Chance plötzlich vertan und dann ist es zu spät. Und glaub mir, ich könnte mir das niemals verzeihen. Nie! Es ist meine Zeitschleife. Ich bin für ihn verantwortlich. Ach verdammt! Ich hab das Gefühl, ich schaff's einfach nicht!"

Ein weiterer kurzer Wutanfall überkam mich. Am liebsten hätte ich nun etwas gegen die Wand geschmissen. Wie gut, dass ich noch die Regenbogenschildkröte hatte. Sie musste nun also dran glauben.

Christina sah ihr mitleidig nach. Nun lag sie da, in der Ecke zwischen Fenster und Tafel.

„Hey, alles wird gut", beruhigte sie mich und gab mir eine feste Umarmung: „Ich glaube dir."

„Danke!", hörte man mich mit einem kurzen Schniefen flüstern.

Ich versuchte von nun an also positiv zu bleiben und die mentale Unterstützung zu genießen, als ein Anruf die Stille durchbrach.

„Mein Workshop! Ich muss rüber", erklärte Chosen, ehe sie mich losließ.

Ich nickte nur stumm und folgte ihr aus dem Raum, wo sich unsere Wege sogleich trennten. Während sie sich auf machte, zu ihrem Workshop, beschloss ich, den Katzensitterjob nun ganz an mich zu nehmen und mich weiterhin ausgiebig um Muffin zu kümmern. Doch in dem Moment durchfuhr es mich wie ein Blitz. Das ungute Gefühl einen Fehler begangen zu haben... Den wohl größten Fehler meines Reruns.


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