Der Schmerz der Erkenntnis

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Es war wahnsinnig kalt draußen. So kalt, dass selbst ich eine Gänsehaut spürte, obwohl ich nicht einmal wirklich in dieser Welt war. Sie blendete mich. Ich sah Schnee. Wie schön der Schulhof unter der zehn Zentimeter dicken, unberührten Schneedecke aussah! Dabei war sie nur eine Illusion, die mir mein Hirn vorspielte, um die Kälte zu erklären.

Dem war ich mir sicher, denn ich hatte die Geschichte dieses einen Mädchens gehört. Eine Amerikanerin, die im künstlichen Koma gelegen und dabei geträumt hatte, sie sei in Alaska, immer wenn man ihr Kühlpacks an die Arme und Beine hielt. Wobei es mich irgendwie stutzig machte, dass ich von meiner komischen Situation darauf schloss, dass ich auch so etwas wie einem künstlichen Koma erlegen war. „That didn't make any sense, Tense", sagte ich wieder einmal in Gedanken zu mir selbst, ehe ich mich mit meiner Situation wieder abfand, um Chan weiter zu verfolgen.

Ich wollte wissen, was er vorhatte, also verfolgte ich ihn. Er wechselte stetig zwischen schnellem Gehen und Rennen, ich konnte hören, wie er tief ein und ausatmete.

Sein Weg führte in den Botanischen Garten. Er war abgesperrt. Kein einziger Cosplayer befand sich dort. Der Schnee untermalte ein weiteres Mal die Idylle. Zumindest meine Illusion einer Idylle. Denn in Wirklichkeit war es so grau und finster wie zum Weltuntergang. Doch eines hatten Chans und meine Sicht der Dinge gemeinsam: Diese beklemmende Totenstille.

Jedes knackende Ästlein unter seinen Füßen ließ ihn aufschrecken. Jeder seiner Schritte knirschte in den Schneemassen, die nur ich sehen konnte. Lächelnd hob ich einen Fuß und sah stolz auf meinen eigenen Fußabdruck. >Schau her, Chan! Wenn du das sehen könntest, wüsstest du, dass du nicht allein bist.< Ich seufzte, als mir plötzlich ein eiskalter Schauer über den Rücken lief. Während ich meinem besten Freund dabei zusah, wie er jeden Winkel des Parks absuchte, dabei ganz in den Büschen verschwand, bemerkte ich, dass wir nicht allein waren. >Snake?"<

Ich schloss die Augen. Im nächsten Moment stand Chan in der Mitte der großen Wiese und sah den Berg hinab. Tränenflüssigkeit sammelte sich in seinen Augen. Ich stand keinen halben Meter vor ihm, blickte ihn direkt an. Diese Verzweiflung in seinen Augen tat selbst mir weh, ich wusste, was jetzt passiert. In dem Moment, in dem er zusammenbrach, schnellten meine Arme nach vorne, um ihn zu halten. Doch ich konnte ihn nicht auffangen. Als wäre ich ein unsichtbares Hologramm, rutschte er einfach durch mich hindurch. Ich konnte die Verletzung seines rechten Handgelenkes nicht verhindern. Und unter seinen Schmerzensschreien wurde mir bewusst, dass ich tatsächlich nichts weiter als eine Art Hologramm war. Getroffen von dem starken Schmerz dieser Erkenntnis, fiel auch ich in den Schnee, legte meinen Kopf auf seine Schulter und weinte mit ihm. Um ihn.

Auf einmal zuckte er zusammen. Gleichzeitig schreckte ich hoch und sah in das Gesicht des Mannes, der mich als einziger zu verstehen schien: Der Parkwächter!

„Junger Herr, wenn du noch einmal in diesem Garten randalierst, wird es Ärger geben!"

Chan, der sich zu ihm umgedreht hatte, atmete erleichtert aus. Mir hingegen blieb einfach nur der Mund offen stehen. Er konnte ihn sehen? Chan konnte Snake...?

„Ich habe nicht...! Ich habe meinen besten Freund gesucht."

„Im Gebüsch!"

Für einen kurzen Moment blieb es still, als mein bester Freund, den Kopf zur Seite geneigt, auf den Boden starrte.

„Snake!", meldete ich mich zu Wort: „Erklär es ihm! Sag ihm, dass ich hier bin!"

„Das geht nicht, Nico! Ihr seid in zwei verschiedenen Welten. Er wird es nicht verstehen."

„Warum lässt du zu, dass er verletzt wird, wenn du es verhindern könntest!", schrie ich nun. Chans Verletzung betrachtend, wurde ich einfach nur wütend.

It doesn't make senseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt