Verbündete?

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Völlig am Ende lasse ich mich auf den Boden fallen und vergrabe meinen Kopf in meinen Händen. Ich heule nicht. Ich will nur nicht, dass die Kameras mich in diesem Moment einfangen. Ich muss nachdenken.

Es gibt zwei Möglichkeiten. Zum einen, dass die Hecke das Ende, die Grenze der Arena bezeichnet, aber auch, das es hinter ihr noch weiter geht. Und ich glaube an die zweite Variante.

Aber wie komme ich durch diese Hecke hindurch? Gibt es irgendeinen Weg?

Völlig in Gedanken versunken stehe ich auf und sehe mir die Hecke noch einmal an. Es ist ein starkes Blattwerk, mit einem Messer allein dauert es eine Ewigkeit, bis ich mich hindurch geschnitten habe und das auch nur, wenn sie etwa einen Meter breit sein sollte. Ohne das passende Werkzeug schaffe ich das nicht. Aber das wird wohl kaum einfach so herumliegen.

Meine einzige Möglichkeit ist es, einen Durchweg zu finden, indem ich an der Hecke entlang laufe. Nicht der Erfolgversprechenste, aber leider gibt es keinen anderen Plan.

Ich ziehe meinen Kopf aus der Versenkung meiner Hände und stehe schwerfällig auf. Mit ein paar Handgriffen richte ich meine wenigen Habseligkeiten und mache mich wieder auf den Weg.

Stundenlang wandere ich an der Hecke entlang und es fühlt sich an, als würde ich auf der Stelle treten. Jeder Meter Blätterwand als auch die Umgebung ähneln sich haargenau.

Mit zu Schlitzen verengten Augen fixiere ich die Hecke und suche nach Stellen, an denen das Blattwerk vielleicht schwächer wird, doch dieses grüne Monster ist erschreckend gleichförmig.

Natürlich, es ist ja kein natürliches Gewächs. Langsam nehmen die Zweifel überhand, dass ich überhaupt einen Durchweg hindurch finde.

Meine starke Konzentration auf die Hecke ist mein Fehler. Zu spät bemerke ich die drei Karrieros vor mir.

„Hey! Da ist der aus 12!", brüllt einer den anderen zu, doch schon habe ich mich um die halbe Achse gedreht und renne durch den Wald. Zu meinem Pech muss ich mich von der Hecke entfernen, an diesem freien Stück Land wäre die Gefahr von einem Pfeil oder Speer getroffen zu werden zu groß, als das ich sie eingehen würde.

Mit rasselndem Atem schlage ich Hacken um die Bäume. Ich hätte etwas trinken sollen. Der Durst, der vom Rennen kommt und die Erschöpfung des stundenlangen Laufens fordern mir alles ab. Aber ich wage es nicht auf einen Baum zu klettern. Sie sind dicht an mir dran, ich höre auch sie schnappend atmen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit reicht es mir. Noch im Laufen ziehe ich meine Messer.

Ich wirbele herum und schon stehen mir die drei Gestalten gegenüber. Es sind drei Typen, alle mit siegessicherem Grinsen im Gesicht.

„Na, wen haben wir denn da?", fragt der eine und sieht mich überheblich an.

„Als ob du das nicht wüsstest, Arschloch." Ich mustere ihn mit einem kalten Blick.

Sofort verschwindet das Grinsen und er wird fuchsteufelswild. Wie zu erwarten. Diese Karrieros sind viel zu schnell gereizt.

„Pass auf, das ist das Letzte, was du jemals sagen wirst!", spuckt er mich an und geht mit seinem Schwert auf mich los. Die anderen beiden wollen ebenfalls auf mich zu kommen, doch er schreit sie an: „Nein, der gehört mir!"

Schnell sind wir komplett in den Kampf verstrickt. Er ist stark. Stärker als ich. Aber er denkt nicht nach, er schlägt nur zu. Immer wieder bringt sein harter Schwertschlag mich in Bedrängnis, doch er hat schon mehr kleine Stichwunden an seinem Körper.

Schwer keuchend schwingt er weiter seine Waffe, doch er wird es nicht schaffen. Im nächsten Moment hat er schon mein Messer in seiner Brust.

Ein verdutzter Blick auf den Messerschaft. Ein letztes Husten. Blut. Kanone. Tot.

Mit einem Ruck ziehe ich das Messer heraus und wende mich den anderen beiden zu.

Geschockt starren sie auf ihren Verbündeten, dann ergreift die Wut die Kontrolle über ihre Körper.

Gegen zwei von diesem Kaliber ist es eindeutig schwerer, als gegen nur einen. Ich werde von beiden Seiten attackiert und muss mich gehörig anstrengen, nicht doch getroffen zu werden.

In einem unbedachten Moment werfe ich das eine Messer in den Hals des einen, er fällt sofort um und die Kanone knallt. Doch ich bin unbewaffnet.

Die Unaufmerksamkeit dem anderen gegenüber rächt sich jetzt. Denn schon liegt eine Klinge an meinem Hals. Ich spüre, wie das Blut darunter pulsiert.

„Noch letzte Worte?", knurrt der Typ hinter mir.

Scheiße, das ganze umsonst! In einem letzten Versuch, trete ich ihn, doch er steht wie ein Baum.

Umso seltsamer ist es dann, dass er plötzlich zusammenklappt und die Kanone knallt.

Verwirrt starre ich ihn an.

Da tritt eine schmale Person mit langen, blonden Haaren hinter einem Baum hervor. In der rechten Hand ein kleines Blasrohr.

„Zu zweit würden wir länger leben."

„Schätze, das hast du soeben bewiesen", sage ich ein klein wenig überrascht und reibe mir den Hals, an dem die Klinge des toten Karrieros eine kleine Schnittwunde hinterlassen hat.

„Verbündete?", frage ich sie und bin tatsächlich froh, sie gefunden zu haben. Oder eher, dass sie mich gefunden hat.

Maysilee nickt ohne eine Regung im Gesicht.



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