Das Training

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Das Training beginnt

"Aufstehen!", kreischt Cascada und weckt mich aus meinen Albträumen, wofür ich ihr eigentlich ganz dankbar bin. Ich habe von Caroline geträumt. Mal wieder. Es war kein schöner Traum.

Ich springe aus dem Bett und ziehe mir die Sachen an, die irgendjemand in mein Zimmer gelegt hat. Es ist eine Jogginghose mit passendem Shirt auf dessen Rückseite eine 12 aufgenäht ist.

Im Frühstückssaal angekommen, setzte ich mich an den Tisch und beginne zu essen. Ich bin der Erste, mir doch egal wann die anderen kommen, ich habe jetzt Hunger. Ich esse mich an Bratkartoffeln mit Speck satt und stopfe Brötchen um Brötchen in mich hinein. Irgendwann tauchen auch die anderen auf, aber sie würdigen mich keines Blickes. Auch Maysilee ignoriert mich, was mich ein bisschen verletzt, aber ich bin selber Schuld. Vielleicht entschuldige ich mich später bei ihr. Oder ist es nicht besser wenn sie mich nicht mag? Sollten wir uns in der Arena umbringen, wäre es nicht sehr praktisch, wenn sie mich hasst, oder?

Ich grinse überheblich vor mich hin, auch wenn ich lieber die Mundwinkel verziehen würde. Jetzt geht es los, das Training beginnt.

Wir fahren in einem gläsernen Fahrstuhl nach unten, tief unter die Erde, in die Turnhalle. Es sind unheimlich viele Kinder hier. Alle sitzen auf dem Boden um eine Frau herum, die genervt auf uns schaut. Sie wollte wohl gerade anfangen zu sprechen. Schnell huschen wir zu den anderen und setzten uns ebenfalls. Siebenundvierzig von uns werden in den nächsten Wochen sterben. Einer wird übrig bleiben. Und hoffentlich werde ich das sein.

Die Frau stellt sich als Obertrainerin vor und heißt Alana. Sie erklärt uns die einzelnen Stationen, an denen wir uns frei bewegen dürfen. Mit anderen Tributen zu kämpfen ist uns nicht erlaubt und während sie das sagt, stöhnen die aus 1 auf. Idioten! Ich verdrehe meine Augen, ich hoffe die sterben als Erstes, diese bescheuerten Karrieros.

Sie entlässt uns und ich steuere ersteinmal die Feuerstation an. Nachdem mein kleines Feuerchen brennt, gehe ich zu den Fallen. Mit Messern kämpfen kann ich, das weiß ich, aber es wird schwieriger sein, etwas zu essen zu bekommen. Ich klappere alle Überlebensstationen ab und unterbreche meinen Rundgang nur, um in der Mittagspause etwas essen zu gehen. Ich hocke mich an einen Tisch, löffle meinen Eintopf und spreche mit niemandem. Okay, es will auch keiner mit mir reden. Die Karrieros kann ich schon jetzt nicht leiden! Sie schmatzen laut herum, tönen wie toll sie sind und bla bla bla. Die sind richtig anstrengend! Ich verlasse den Raum als Erster und trainiere weiter. Ich muss soviel wie möglich können um in der Arena zu überleben, ja, um zu gewinnen.

Der Tag endet und wir gehen in unser Apartment um zu essen und dann zu schlafen. Ich spreche mit niemandem und niemand redet mit mir. Sie ignorieren mich alle. Soll mir recht sein. Die nächsten beiden Tage laufen genauso. Ich trainiere hart, esse viel und schlafe schlecht.

Am vierten Tag ist das Einzeltraining. Man bringt uns in einen großen Raum neben der Turnhalle, in dem Reihe um Reihe kleine Bänke stehen. Ich gehe nach ganz hinten in die Ecke und lasse mich dort nieder. Ich habe zehn Minuten um mich zu beweisen. Ich werde wahrscheinlich ein paar Messer werfen und dann die Überlebensstrategien vorführen, hoffentlich reicht da für mindestens eine mittelgute Punktzahl.

Ich beobachte die anderen Tribute, abgesehen von Maysilee habe ich mit keinem auch nur ein Wort gewechselt. Gut so, es wäre nur noch schwerer sie zu töten, wenn ich sie kennen würde. Die Karrieros hocken in einer großen Gruppe zusammen und reden laut und demonstrativ miteinander. Sie sind zu zwölft. Alle aus 1, 2 und 4 sind dabei und leider sind sie auch ziemlich gut trainiert. Die aus 4 sehen alle aus, als hätten sie gute Chancen auf den Sieg, 2 ebenso, vorallem die Mädchen der beiden Distrikte. Die aus 4 sind schmächtiger und jünger, ich glaube nicht, dass sie es schaffen werden. Die anderen werden sie früher oder später doch noch umbringen. Nach und nach werden sie aufgerufen und gehen zu ihrem Einzeltraining. Nachdem der letzte aus 4 verschwunden ist, mustere ich die übrigen Tribute. So gut wie alle sehen verängstigt und nervös aus. Nur ein kräftiger Junge aus 7 sitzt ganz entspannt da und ja, Maysilee. Sie thront auf ihrer Bank, mit hoch erhobenem Kopf und sieht aus wie eine Königin. Sie ist angespannt, aber ruhig und gefasst. Sie ist ein echtes Rätsel. Ich bin so in Gedanken, dass ich garnicht mitbekomme, wie ich aufgerufen werde.

"Haymitch! Hey, du bist dran!", ruft mir Maysilee zu und reißt mich zurück in die Realität. Ich nicke und gehe schnell zur Tür und in die Turnhalle. Die Spielmacher sitzen auf ihrer Empore und essen. Sie wirken, als wären sie schon ziemlich betrunken, einer liegt sogar schnarchend am Boden. Elendes Pack! Sie entscheiden hier über mein Leben und haben nichts besseres zu tun, als sich zu besaufen und voll zu fressen!

Stocksauer gehe ich zur Messerstation und nehme einen Schwung in die Hand. Ich drehe mich wieder zu den Spielmachern und räuspere mich lautstark.

"Haymitch Abernathy, Distrikt 12!", stelle ich mich vor und fixiere sie mit stechendem Blick. Ein paar sehen auf und einer gibt mir gelangweilt das Zeichen, dass ich loslegen kann. Ich verdrehe innerlich die Augen, mache mich dann aber bereit zu werfen. Das erste Messer landet genau im Herzen der Puppe, das zweite ebenfalls. Das Dritte trifft zwar den Kopf aber nicht genau in die Mitte des roten Kreises sondern knapp ein paar Zentimeter daneben. Die anderen sind alles Volltreffer in die einzelnen Organe der Puppen. Als nächstes mache ich ein Feuer, baue eine Falle und renne einen Sprint über hundert Meter.

"Du kannst gehen", verkündet dann einer der Spielmacher hoheitsvoll und entlässt mich. Oben erwarteten mich schon Frank, Cascada und Mike. Die Mädchen sind erst nach mir dran. Wir setzten uns schonmal vor den Fernseher und warten auf Maysilee und Chrisie. Nach knapp einer halben Stunde sind sie auch endlich anwesend und schon leuchtet der Bildschirm auf und die Übertragung beginnt. Wie immer haben die Karrieros Punktzahlen zwischen 8 und 10. Höhere gab es noch nie in den Hungerspielen. Die übrigen haben alle im Durchschnitt 4 oder 5 Punkte. Nur der Typ aus Distrikt 7 hat ebenfalls eine 8. Die aus 11 haben jeweils 5 und 4 Punkte sowohl die Jungs als auch die Mädchen. Dann sind wir an der Reihe. Als erstes Mike, er bekommt eine 4, aber das war ja zu erwarten.

Mein Foto erscheint im Fernsehen und wieder ist mir unwohl dabei, wenn ich darüber nachdenke, dass jeder und zwar absolut jeder, in Panem das hier sieht, mich sieht. In der Arena wird dieses Gefühl nur noch schlimmer werden. Unter meinem Bild erscheint eine 9. Ja, eine 9! Mein Mund klappt auf und ich bin nicht der Einzige, der überrascht ist. Caesar Flickerman macht ein paar Scherze darüber, dass Distrikt 12 wohl doch einiges auf dem Kasten hat und wir gespannt sein können, wie es mit mir weitergeht.

"Das werden spannende Spiele, meine Lieben!", ruft er und widmet sich dann den letzten Bewertungen. Chrissie hat eine 3, nicht besonders gut, aber wie bei Mike war ja nichts anderes zu erwarten. Dann kommt Maysilee. Ich werfe ihr einen Blick zu und sehe, wie sie ernst den Bildschirm mustert. Dann erscheint unter ihr eine 8. Ich weiß nicht ob ich mich freuen soll oder nicht. Einerseits bin ich irgendwie stolz auf sie, ich meine, das ist eine wirklich gute Punktzahl, vor allem weil wir aus 12 kommen, nur das Problem ist, je länger sie in der Arena überlebt, desto größer ist die Gefahr, dass wir beide übrig bleiben und ich würde es nicht übers Herz bringen, sie umzubringen, das könnte ich nicht, dafür mag ich sie zu sehr. Der Bildschirm erlischt und wir sitzen stumm auf dem Sofa. Ruckartig steht Maysilee auf, entschuldigt sich knapp und geht aus dem Zimmer. Ich folge ihr und finde sie wenig später auf dem Dach des Trainingscenters.

Haymitchs Spiele- 50. HungerspieleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt