Die Fahrt ins Kapitol

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Wir fahren mit dem Auto zu dem kleinen Bahnhof in Distrikt 12. Es ist so unnötig, immerhin sind es nur 500 Meter zu Fuß, aber anscheinend hat Cascada Angst sich ihren Fuß zu brechen in ihren Schuhen oder sie hat einfach keine Lust zu laufen. Es muss wirklich anstrengend sein, ihren Job zu haben! Ich meine, Zettel zu ziehen, Kinder weinen sehen, diese Kinder sterben zu sehen, Familien zu zerstören, dass muss echt nervenaufreibend sein! Ups, da ist die Ironie wohl wieder mal mit mir durchgegangen.

Als wir nach nicht einmal einer Minute Fahrzeit am Bahnhof ankommen, steht da schon ein Kamerateam und filmt uns, wie wir in den Zug steigen. Ich grinse sie böse an und steige dann, ohne sie noch eines weiteren Blickes zu würdigen, in den Zug. Drinnen bleibt mir dann erstmal die Luft weg. Im ganzen Raum stehen Sessel in kleinen Grüppchen zusammen, mit Armlehnen aus Gold und Bezügen, die so weich und luxuriös aussehen, dass ich nur schwer widerstehen kann, mich sofort auf einen drauf zu werfen und ne Runde zu schlafen. Da kommt auch schon Cascade hinter mir herein getripptelt.

„Ist das nicht der Wahnsinn?", flötet sie.

„Ganz nett", erwidere ich gelangweilt, woraufhin sie sauer die Augen zusammen kneift.

„Krass!", entfährt es Chrisie, die hinter Cascada hereinkommt. "Das ist ja wunderschön hier!"

"Ganz genau!", erwidert sie und bedenkt mich mit einem Blick der ausdrückt: Im Gegensatz zu dir weiß sie das ganze hier zu schätzen und ist nicht so undankbar wie du!

Ich kontere mit einem Augenrollen und blicke sie gelangweilt an.

Ohne mich noch eines Blickes zu würdigen, dreht sie sich wieder zu Chrisie um, hinter der nun auch Maysilee und Mike stehen.

Ich bemerke, dass Maysilee den Raum mit einem Blick erfasst. Neugierig aber nicht bewundernd. Noch etwas, dass mich an ihr überrascht, ich hätte gedacht, dass sie beeindruckt wäre und überwältigt, dass sie sich sofort mit Cascada über die Stoffe unterhalten würde oder sowas. Aber nichts, sie geht nur an uns anderen vorbei, setzt sich in einen der Sessel und grinst uns gelassen an. "Wollt ihr während der ganzen Fahrt da stehen bleiben?"

Ich tue es ihr gleich und setzte mich ihr gegenüber.

Kaum habe ich es mir bequem gemacht, setzt sich der Zug in Bewegung. Die Geschwindigkeit raubt mir kurz den Atem und durch den plötzlichen Ruck fallen Mike und Chrisie übereinander. Nur Casacda steht überraschend sicher auf ihren hohen Absätzen und sieht die Beiden etwas befremdlich an.

Mit hochrotem Kopf rollt Chrisie sich schwerfällig von Mike herunter und steht auf, sie sieht aus als würde sie sich ein schmerzvolles Stöhnen verkneifen müssen. Nachdem sie sich von ihm entfernt hat, schafft auch Mike es sich aufzurichten. Obwohl Chrisie kaum etwas wiegen kann, die Familien aus dem Saum haben kaum etwas zu essen, deshalb sind die Kinder oft bis auf die Knochen abgemagert so wie sie. Doch Mike sieht selbst so aus, deshalb hat er wohl kaum viel Kraft.

Ich komme zwar auch aus dem Saum, aber meine Familie ist nicht ganz so arm, deshalb hatten wir genug zu Essen um zu Überleben, oft gibt es natürlich auch Tage an denen wir trotzdem hungrig sind, aber wir kommen im Gegensatz zu vielen anderen ganz gut über die Runden.

Es gibt dann natürlich noch Leute in 12 wie Maysilee. Die die nicht hungern müssen, immer genug von allem haben. Doch nur ein Bruchteil der Bevölkerung gehört dazu.

Nachdem sich die beiden aufgerappelt und hingesetzt haben, lässt sich auch Cascada elegant auf einem der Sessel nieder und überschlägt ihre Beine.

"So meine Lieben! Morgen Mittag werden wir voraussichtlich im Kapitol ankommen! Dann werdet ihr euren Stylisten übergeben, einer für die Jungen und einer für die Mädchen. Abends ist dann die Eröffnungsfeier! Geht jetzt in eure Abteile und macht euch vor dem Abendessen nochmal frisch! Dann gibt es Essen und danach sehen wir uns die Zusammenfassung der Ernten an! Auf, auf!", scheucht sie uns hinaus.

Ich verzichte auf das frisch machen und wandere stattdessen durch den Zug. Vorbei an den Einzelabteilen der Tribute, dem Speisewagon und dem Fernsehabteil komme ich am Ende des Zuges an. Hier besteht die Hälfte des Abteils aus Glas. Ich setzte mich auf eines der Sofas vor dem hintersten Fenster und starre hinaus.

Nach einer Weile höre ich hinter mir ein Geräusch. Blitzschnell drehe ich mich um, doch als ich erkenne, dass es nur Maysilee ist, entspanne ich mich wieder.

"Äh, hi, Cascada meinte, ich soll dich zum Essen holen...", sagt sie verlegen und verstummt.

"Okay, ich komme gleich", antworte ich und drehe mich wieder zum Fenster. Falls ich erwartet habe, dass sie geht, werde ich enttäuscht, denn sie kommt um mein Sofa herum und setzt sich neben mich.

Eine Weile sehen wir schweigend aus dem Fenster.

"Haymitch, hast du Angst?", fragt sie irgendwann und ich sehe sie überrascht an.

"Nein, ich glaube nicht.", antworte ich wahrheitsgemäß, denn ich habe wirklich keine Ahnung. "Du?"

Es dauert lange bis sie antwortet.

"Ich weiß auch nicht, aber ich will nach Hause." Mit großen, blauen Augen sieht sie mich an.

"Ich glaube, das wollen wir alle", schnaube ich und stehe auf. Nachdem sie mir nicht folgt Frage ich: "Kommst du jetzt? Ich dachte, es gibt essen."

"Ja, klar, komme schon", beeilt sie sich zu sagen und läuft mir nach.

Im Speisesaal warten schon alle auf uns und sobald wir uns gesetzt haben beginnen wir zu essen. Okay, alle essen nur Mike und Chrisie fressen. Sie haben wohl schon lange kein gutes Essen mehr bekommen, vorallem nicht soviel. Casacada starrt sie angeekelt an, sie sieht aus, als würde sie durch diesen Anblick keinen Bissen herunterbekommen. Nur Minuten später verabschiedet sie sich mit den Worten "so geht das nicht, ich bin in meinem Abteil!".

Belustigt sehe ich ihr nach und widme mich dann wieder meinem Essen. Ich stopfe soviel wie möglich in mich hinein, bis es wirklich nicht mehr geht und gehe dann ohne ein Wort zu sagen in mein Abteil. Ich werde mich auf mein Bett und falle sofort in einen tiefen Schlaf.

Haymitchs Spiele- 50. HungerspieleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt