Die Ernte

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„Haymitch?"

„Ja?"

„Was ist wenn wir in die Arena müssen?", besorgt sieht Caroline mich an „wir haben beide so schon genug Lose in der Trommel, jetzt müssen auch noch vier gehen..."

„Caroline, auch andere haben so viele, es werden vier Zettel von tausenden gezogen, du wirst es nicht und ich auch nicht."

„Aber was wenn doch?"

„Das werde ich nicht zulassen!", antworte ich ihr mit fester Stimme.

„Haymitch, ich liebe dich", flüstert sie und beugt sich zu mir.

„Ich liebe dich auch."

Wir küssen uns zärtlich. Caroline, mein Mädchen, mein ein und alles. Am liebsten würde ich sie gar nicht mehr los lassen. Vergessen, dass heute die Ernte stattfindet, vergessen, dass wir in 12 leben, ich will einfach nur für immer in diesem Moment verharren. Doch so läuft das Leben nicht.

„Komm, wir müssen uns fertig machen!", sagt Caroline und zieht mich hoch.

„Na gut!", grunze ich und stehe auf. Ich küsse sie noch einmal und wir gehen Hand in Hand durch den Saum. Ich bringe sie nach Hause, wo sie schon sehnlichst von ihrer Schwester Anne erwartet wird, die ihr sofort zu ruft, als sie uns sieht: „Caroline! Beeil dich! Wir dürfen nicht zu spät kommen! Oder willst du ausgepeitscht werden?!"

„Bis nachher auf dem Platz", verabschiedet sie sich von mir und umarmt mich noch einmal.

„Ja und wenn die Ernte vorbei ist, gehen wir an die Wiese", sage ich und wie ich es erwartet habe, lächelt sie sofort wieder. Die Spiele machen selbst die immer fröhlich Caroline traurig. Die Wiese ist ihr Lieblingsplatz, weil dort so viele Blumen wachsen. Wir setzten uns oft mit einer Decke dorthin und liegen da dann den ganzen Tag.

Mit den Händen in den Hosentaschen schlendere ich nach Hause. Meine Mutter steht schon an der Tür und winkt mich ins Haus.

„Los, Schatz, du hast nur noch 20 Minuten!", treibt sie mich an und ich steige in die Wanne um mich zu waschen. Nachdem ich mein Erntehemd und die saubere Hose anhabe, gehen wir auch schon los. Mein kleiner Bruder umklammert meine Hand.

„Hey, Zwerg, was ist los?", frage ich ihn grinsend, doch er lacht nicht wie sonst immer, sondern sieht mich nur besorgt an. Er ist erst acht Jahre alt geworden.

„Haymitch, wieviele Lose hast du?"

„Ich weiß nicht!", antworte ich gespielt fröhlich, denn ich weiß, dass er sich nur noch mehr sorgen macht, wenn er es wüsste. Ich bin 16, dass bedeutet in der Lostrommel sind dieses Jahr zwanzig Zettel mit dem Namen Haymitch Abernathy. Fünf wegen der Regeln und fünfzehn für die Teserasteine für Jacob, Mum und mich seit ich zwölf bin.

Zweifelnd sieht er mich an. Das war klar. Er hat wie immer sofort bemerkt, dass ich lüge, sagt aber nichts dazu.

Am Platz angekommen umarme ich die Beiden noch einmal und stelle mich dann in den Pferch zu den anderen sechzehnjährigen Jungs. Ich kenne die meisten, sie sind bei mir in der Stufe, aber ich bin eigentlich mit keinem befreundet. Ich bin nicht wirklich freundlich zu anderen Menschen und auch nicht beliebt, weshalb es merkwürdig ist, dass sich ausgerechnet die beliebte Caroline Wattson in mich verliebt hat. Viele sind deshalb eifersüchtig, dass merke ich an ihren Blicken, wenn wir zusammen sind. Noch ein Grund warum sie mich nicht mögen.

Ich suche in dem Abteil der fünfzehnjährigen Mädchen nach Caroline, aber ich kann sie nicht finden. Enttäuscht wende ich mich zur Bühne, denn die allseits bekannte und nervtötende Cascade Lupon betritt zusammen mit dem Bürgermeister und dem einzigen Sieger von Distrikt 12, Frank Sterbridge, die Bühne. Es ist echt erbärmlich, das in den ganzen fünfzig Jahren nur einer von unseren Tributen gewonnen hat, aber wenn wundert das, in einem Distrikt, in dem das Wort Tribut ungefähr dasselbe bedeutet wie Leiche?

Haymitchs Spiele- 50. HungerspieleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt