5. K A P I T E L

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"Menschen größtes Verdienst bleibt wohl, wenn er die Umstände soviel wie möglich von ihnen bestimmen läßt." Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)


Sie ließ sich wiederstandslos mitzerren. Sie hatten sie an den Armen gepackt und mitgezogen. 195 warf vor Erleichterung ihren Kopf nach hinten. Sie musste Lachen. Lachend in den Himmel blicken. Wenn ein Mordkomando auf sie angesetzt worden wäre, dann wäre sie nun tot, und das war sie nicht. Dennoch schmerzten ihre Beine langsam, da sie nie so viel lief.

Die Executren sprachen kein Wort zu ihr und die Straßen, auf denen sie liefen waren menschenleer. Natürlich. Es war Nachmittag. Bezirksdienstzeit. Nach Gefühlten Stunden kam die Gruppe an das Tor, und somit auch an die Mauer, an der eine Große I. prangerte. Man hatte es ihr früher erklärt. Im Bereich I. wohnten die ungeraden Nummern von 100 bis 1000, im II. die Geraden von 100 bis 1000, im III. die Ungeraden von 2000 bis 3000 und so ging es immer weiter. Wie viele Bezirke es gab, wusste sie nicht, doch die Zahl würde sicher weit über die hundert hinauschiessen.

Sie war stolz, in einem Wohnviertel mit überwiegend Dreistelligen zu wohnen, irgendwie kam sie sich damit wichtig vor, obwohl dort, in I, ausschließlich Stromversorgungsmechanikerinnen wohnten. Sie hatte in ihrem kurzem Leben auch schon andere Arbeiter gesehen. Lehrerinnen kamen von ihren Bezirken täglich zu ihrem und auch Handwerkerinnen, die hier wohl den schlechtesten Ruf besaßen. Sie waren verschmutzt und zerfallen, scherten sich nicht um Hygiene. Bei dem Gedanken lief ihr ein Schauer über den Rücken. Eines wusste sie jedoch nicht, wie man zu den Executren kam, denn diese bestanden schließlich nur aus Geraden.

Die UngeradeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt