Ich

249 21 2
                                    

Der Rückblick ist jetzt vorbei.


Loki saß über sein Buch gebeugt, runzelte die Stirn und brummte hin und wieder, manchmal zufrieden und manchmal empört. Es war komisch, ihn in einer so normalen Situation zu sehen. „Du beobachtest mich schon seit geschlagenen fünf Minuten, willst du mit was sagen?", fragte er. Ich zuckte die Schultern und sah aus dem asischen Fenster. Es war Nacht und so bewölkt, dass man kaum etwas erkennen konnte. Auch in Askard regnete es anscheinend. „Na dann", sagte Loki und lehnte sich zurück, musterte mich aufmerksam. „Geht's dir wirklich gut?" Ich nickte und lächelte. Es klopfte und Henk steckte seinen Kopf rein. Erstaunt registrierte er, dass sich Loki auf dem Bett breitgemacht hatte, er trug eine normale Jogginghose und ein weites Baumwollhemd. Auch ich sah nicht grade vorteilhaft aus, wie ich auf der Couch dalag, einem unordentlichen Pferdeschwanz und einem Ganzkörperanzug. „Herr, Ihr werdet im Thronsaal erwartet", sagte er. Loki rollte sich aus dem Bett, seine Pennerklamotten wurden von seiner Rüstung ersetzt. „Kommst du mit?", fragte er und hob seine Hand um auch mich anständig zu bekleiden, doch ich schüttelte den Kopf. „Ich bleibe hier, vielleicht sehe ich einen Film", entschuldigte ich mich. Loki nickte und lies seine Hand sinken. „Na dann, ich werde mich beeilen", sagte er und schloss die Tür hinter sich. Ich lehnte mich zurück. Zugegeben, ich hatte gelogen, mir ging es gar nicht gut, eigentlich ging es mir so ziemlich beschissen. Ich hatte Kopfschmerzen, von den wachsenden Hörnern und ich fühlte mich abartig müde. Ich hatte seit nun fast einem Jahr nicht mehr geschlafen, hatte seit mehreren Monaten ein Königreich und lebte mit dem Mann den ich liebte. Eigentlich gab es gar keinen Grund, dass es mir schlecht ging und doch... Ich sah auf mein Handy und seufzte. Das Datum war unverwechselbar, es biss mir quasi ins Auge. Heute war mein Geburtstag, heute wurde ich neunzehn Jahre und hatte schon mehr gemacht, als manch anderer in hundert. Ich hatte nur wenige Nummern, darunter die von den Avengers. Vielleicht sollte ich sie besuchen, einen auf die guten, alten Zeiten heben? Ich wusste nicht warum, ganz ehrlich schien es mir beinahe abwegig, das zu tun, trotzdem zog ich mich um und teleportierte mich in die Höhle der verrückten Frau. „Du kommst mich besuchen!", rief sie erfreut, als ich landete. „Ich hatte es doch versprochen!", erwiderte ich. Sie kicherte nicht, sondern zündete eine Lampe an. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!", gratulierte sie. Ich verzog mein Gesicht. „Ich habe meinen Geburtstag seit zwei Jahren nicht gefeiert, also brauchst du auch nicht zu gratulieren!" Sie schüttelte ihren Kopf und deutete auf einen Gang. „Es ist nett, dass du diesmal allein gekommen bist", sagte sie und ging vor. Diesmal kicherte sie. „Ich hatte ja nichts anderes zu tun", murmelte ich und fuhr mit meinen Fingern an der nassen Höhlenwand entlang. „Weißt du, dass ich diese Höhle schon seid dreitausend Jahren bewache? Diese Höhle und die Schätze in ihr", sie kicherte. „Neben deinen Vorfahren hat mich nur noch einer Besucht: ein junger, schöner Mann, mit weißem Haar und spitzen Zähnen. Er wollte meine Schätze, doch ich gab sie ihm nicht." Wir traten aus dem Gang in eine helle Halle voller Gold. „Doch er wollte nicht das Gold, er wollte etwas anderes." Über einen schmalen weg, welcher sich durch die meterhohen Goldberge bahnte, kamen wir zur anderen Seite der Halle. „Er sagte, ihn interessieren Reichtümer nicht, er sagte, er sei schon reich." Sie legte ihre Hand auf den Stein, welcher sich in Luft auflöste. Es gab kein erblassen, es wahr viel mehr schwubbs und weg. Ein weiterer Gang erschien, so niedrig, dass ich gebückt gegen musste. „Ich vertrieb ihn, doch er kam immer wieder, lies sich einfach nicht töten. Doch den Grund für sein Kommen, bekam er niemals zu Gesicht." Sie hängte die Fackel in eine dafür vorgesehene Vorrichtung. Ich wusste nicht, warum ich ihr vertraute, eigentlich tat ich so etwas nicht. „Ich habe ihn geliebt." Wir erreichten unser Ziel, eine riesige Halle, von der Decke hingen Stalaktiten, jede unten abgeschnitten, Wälder hineingemeißelt. Manche waren so dick, dass ein Auto drunter gepasst hätte, manche waren dünner als meine Hand. „Was ist das hier?", fragte ich beeindruckt. Sie antwortete nicht, verwirrt sah ich mich um. Ich dachte, sie wäre hinter mir, doch nun befand ich mich allein in diesem wunderschönen Saal. Ich wollte zurück zum Gang gehen, doch die gesamte Wand war verschwunden, stattdessen erstreckte sich die Halle bis ins Unendliche. Ich zog meine Dolche, den Roten und Lokis. Ich war bereit, mich jederzeit weg zu teleportieren. „Hallo?", rief ich. Hallo, hallo, hallo, hallo, hallo. Das Echo kam von überall, wurde lauter. Ich sah mich um, es donnerte in meinen Trommelfellen, rüttelte an meinen Knochen. Es schien sich in meine Gedärme zu bohren, mein Herzschlag passte sich dem unregelmäßigen Hallo an, es raste. „Still!", brüllte ich. Stille kehrte ein. „Wer bist du?", fragte ich in die Leere. „Ich denke, das weißt du", antwortete mir meine eigene Stimme. „Lass die Scheiße und antworte mir!" „Na dann will ich dir mal auf die Sprünge helfen. Ich bin Zira, Königin der Hölle, unsagbares Monster, Meisterin der Lügen, Lokis Freundin und so weiter. Ich bin du", sagte die Stimme. „Nun gut, was willst du von mir?", fragte ich. „Ich will, dass du nachdenkst, dass du zu Besinnung kommst!", rief sie. „In wie fern, zu Besinnung?" Schritte näherten sich, eine recht große, rothaarige Frau kam in mein Sichtfeld. Sie trug ein grünes Sommerkleid, welches über ihren Brüsten spannte und ihr allgemein zu klein schien. Sie hatte ein schönes Gesicht, welches wohl mal süß gewesen war, doch nun lag eine unbestimmte Traurigkeit in ihrem Auftreten. Sie war barfuß, sie hatte ungewöhnlich große Füße, zwar nicht abnormal groß, doch mindestens eine 42. In ihrer Hand ruhte das Gegenstück zu den roten Dolch, welchen ich grade trug. „Ich will, dass du erkennst, dass du keine Hilfe brauchst, dass du Loki nicht brauchst", sagte das andere Ich. „Er hat einmal den Versagen bedeutet, wer sagt dir, dass es nicht noch einmal passiert? Töte ihn!" Sie grinste teuflisch und hielt mir den Dolch hin. „Er plant dich zu unterwerfen, das musst du verhindern!"


Mehr oder weniger böseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt