Ungeküsst
„Wie jetzt - ungeküsst?"
„Hm, lass mich raten: mir ist noch keiner über den Weg gelaufen?", versuchte ich mich zu verteidigen.
„Nee, nee, schon klar", antwortete Penelope (mir tat sie schon um des Namens willen Leid) beleidigt. Wir kannten uns erst seit zwei Wochen und waren dicke Freunde geworden. Inzwischen konnte ich mir ein Leben ohne sie kaum vorstellen. Krass, oder? Wir trafen uns jeden Tag nach der Schule, entweder in unserem alten (Mum), romantischen (Penelope) und vollgemüllten (meine Cousine Lilly/ meine Tante Scarlett) Haus in Bromley oder in ihrem alles-ist-sauber-und-alles-glänzt Appartement in Greenwich. Eigentlich war Penelope gar nicht so ein Sauberkeitsfanatiker, sie mochte es eher unaufgeräumt, alt und mystisch. Unser Haus, in dem wir meiner Meinung nach mit viel zu vielen Leuten wohnten, war ihrer Ansicht nach sehr mystisch und sehr geheimnisvoll.
So viel erst mal dazu. Aber, wie ich zugeben musste, hatte Pen durchaus Recht. Ich hatte noch nie geküsst, geschweige denn geküsst worden.
„Das glaube ich dir nicht. Olivia ! Nicht mal im Kindergarten? Nicht mal bei einem, ähm, Wahl-oder-Pflicht Spiel?"
„Nein." Ich schwieg. Dann viel es mir plötzlich siedend heiß wieder ein. „Oh - doch. Aber, Pen, glaub mir, das war... das war wirklich ein Spiel, erste Klasse oder so..."
„Aha!", sagte Penelope triumphierend. „Also doch!" Ich versuchte sie böse anzufunkeln, aber das gelang mir nie bei ihr. Sofort musste ich lachen. „Du wirst es nicht glauben, aber - das war Alfie Josephs. Damals war er so süß! Wir alle waren hinter ihm her, glaub mir - und ich zog das große Los. Ich durfte mich von ihm küssen lassen! Natürlich nur ganz unauffällig mit einem Happen Sandwich im Mund. Ein nasser, klebriger Kuss, aber ich habe mich voll cool gefühlt. Endlich mal nicht für verrückt gehalten werden, weil man gern Klassikmusik hörte und zu weite Hosen trug. Nein, damals war ich ganz oben!" Ich kicherte bei dem Gedanken an den heutigen Alfie. Ganz der coole Typ, immer mit Sonnenbrille, immer lässig. Ständig prahlte er damit, dass seine Kumpels ihn mit Lucky Strike und Ähnlichem versorgten und dass er schon seinen ersten Rausch ausgeschlafen hatte. Puh, ich war froh, nicht in seiner Haut stecken zu müssen. Und waschen tat er sich übrigens auch nicht. „Und du?", fragte ich vorsichtig. Schließlich war sie erst mal heulend in unseren Klassenraum gekommen und beteuert, ihr Freund habe gerade mit ihr Schluss gemacht weil er keine Lust auf eine Fernbeziehung habe und überhaupt. Alfie und die anderen Jungs haben gelacht und sie gleich am nächsten Tag damit aufgezogen. „Heulsuse!", riefen sie ihr hinterher und „Hat dein Schätzchen sich schon gemeldet?" „Nein", hatte Penny nur geantwortet und ich bewunderte sie noch immer, dass sie so cool geblieben war.
„Viel Erfahrung", grinste sie. Meine Penny. Ich grinste zurück. „Meinen ersten Freund hatte ich in der Highschool in Leeds wo ich vorher gewohnt hab. Ich war elf, Olivia, elf! Das hat zwei Tage gehalten. Kein Kuss. Damals war ich viel zu schüchtern. Aber ein Jahr später, das glaubst du nicht! Ich hatte angefangen, Concealer und Mascara zu benutzen, dann Lippenstift, später auch ein bisschen Make-up. Stinkt ganz schön, das Zeug, findest du nicht? Also ich war überhaupt nicht begeistert, als meine Mum mich damit einschmierte. Und dann, Ruby, und dann! Das ging ab! In zwei Monaten brachte ich fünf verschiedene Jungs nach Hause. Jeden Tag - naja, jede Nacht war ich auf einer Party, meistens ganz harmlose Filmabende mit ein paar „coolen" Typen, die sich in einer Ecke einqualmten, aber einmal gab es Alkohol... Schätzchen, versprich mir eins, halt dich von Punsch und Wein fern! Vor allem wenn du erst zwölf bist!" Sie hielt kurz inne. „Oder sechzehn! Egal! Mum stellte Make-up, Lippenstift und Mascara wieder ein. Den Concealer versteckte ich unter meinem Kopfkissen." Sie lachte leise auf. „Und ich wurde älter... und älter... Mascara und Lippenstift erschienen wieder auf der Bildfläche und damit auch Josh Pharrel. Das klingt voll nett, findest du nicht auch? Und das war Josh. Ruby, du glaubst echt nicht wie süß der war! Wir waren fast ein halbes Jahr zusammen, als plötzlich..." Pennys Stimme brach. Ich reichte ihr wortlos ein Taschentuch und sie schniefte laut. „Ein Auto..."
„Abendessen!", brüllte Isabelle und verschwand von der Tür, nur am danach sofort wieder aufzutauchen. „Heulst du, Penny?"
„Verschwinde!", fuhr ich sie an. Kleine Geschwister (und Cousinen!!!) konnten so nerven! „Wir kommen gleich nach", murmelte Pen.
„Das tut mir Leid", sagte ich und meinte es so.
„Schon okay." Sie rang sich ein Lächeln ab. „Komm, Livi, sonst flippt deine Großmutter wieder aus." Ich seufzte und folgte ihr. Sie hatte ja Recht.
„Wo ist Lilly, das liebe Kind?", fragte Grandmother Chloe. Ich hasste diesen Namen. Oh, und ich hasste Lilly. Pen verdrehte die Augen. Sie wusste genauso gut wie ich, dass Lilly kein „liebes Kind" war. Zumindest außerhalb dieser vier Wände nicht. „Sie kommt gleich!", rief Eva fröhlich und sprang auf ihrem Stuhl auf und ab. „Setz dich hin, verdammt noch mal!", schrie Grandmother. Sie hatte anscheinend einen schlechten Tag. Aber andererseits - unsere Essen, besonders die Abendessen, liefen immer so ab: Grandmother fragte nach Lilly, die immer zu spät kam - wenn auch nur ein, zwei Minuten um ihre Großmutter nicht zu ärgern - weil sie nach Aufmerksamkeit heischte (keine gute Eigenschaft von ihr), wies wahlweise Ethan, Eva oder Jake zurecht, Lilly trat ein, Grandmother betete („Herr, ich danke dir, für unsere Speisen und meine liebe Enkelin Lilly, die meinem Leben einen Sinn gegeben hat.") und wir aßen, schweigend und mit sehr, sehr guten Manieren.
Penny seufzte. Eva kicherte. Und gleich danach war das Schweigen gebrochen. Mum erkundigte sich bei uns, wie die Schule gewesen sei und wir antworteten alle brav: „Gut, Mum." „Daddy ist geschäftlich unterwegs, Kinder, er kommt erst nächste Woche zurück", erklärte Mum und Grandmother warf ein: „Imogen de Sevigne! Kannst du nicht - ich sage es dir noch einmal: man nennt den Vater „Vater" oder wenigstens „Dad", aber niemals - niemals - Daddy, hast du mich verstanden, Kind?" Mum nickte und ich konnte förmlich hören, wie sie in Gedanken ihren Namen verbesserte. Rivers, nicht de Sevigne. Ist sowieso ein dämlicher Name. Und ich konnte ihr nur zustimmen.
„Entschuldige mich, Grandmother Chloe, mir geht es nicht gut." Meine Großmutter (um es abzukürzen bleibe ich jetzt bei diesem Ausdruck) runzelte die Stirn, dann blickte sie triumphierend in die Runde. „Seht ihr! Lilly bekommt eine Gabe!"
Ach ja, die Gaben. Nervige Geschichte und unglaublich kompliziert zu erklären. Angeblich werden seit Jahrhunderten gewisse Gaben in unserer Familie vererbt. Das konnten gewöhnliche Sachen, wie zum Beispiel besonders gut riechen können sein, aber auch große Dinge. Der Sage nach konnte die Ururururgroßmutter meines Urgroßvaters Georg teleportieren. Die Abstände zwischen denen, die eine Gabe erbten, waren unterschiedlich. Zwischen oben genannter Ururururgroßmutter meins Urgroßvaters und der Nächsten, die Nichte meiner Urururgroßmutter (das klingt alles schrecklich kompliziert!!) vergingen fast zwei Jahrhunderte, meine Großtante erbte diese Gabe aber erst fünf Jahre, nachdem die Vorherige gestorben war. Symptome dafür, dass man eine Gabe bekam, konnte Übelkeit, Schmerz oder Schwindel sein, auch anderes war möglich, aber dafür gab es eben keine Beweise. Tja, soviel dazu.
Das Essen verlief verhältnismäßig ruhig. Wir löffelten schweigend unseren Nachtisch, bestehend aus Zitronencreme mit roter Grütze, verabschiedeten uns von unserer Großmutter und verteilten uns auf die verschiedenen Stockwerke.
„Sowasvon krass, deine Familie, Oliv."
„Pfff! Peinlich, würde ich sagen! Von denen kann sich einfach keiner benehmen! Und dann das mit den Gaben! Du musst uns ja für verrückt halten!"
„Tu ich doch auch!" Penny grinste breit. „Aber du bist da ein Ausnamefall, glaub mir. Und du kannst froh sein! Deine dubiose Familie sollte sich glücklich schätzen, wenigstens eine einzige Normale im Kreis zu haben!"
Ich stimmte ihr zu, nicht ahnend, dass sich das bald ändern würde.
Joa... da war ich tatsächlich auch schon ein bisschen älter... aber das soll keine Lovestory werden! Glaubt mir! Das ist eine Zeitreisegeschichte, klar? Da geht es nicht alle Kapitel durch nur ums Küssen. Aber so hat es halt angefangen, das ist eben so.
NEWCOMER IST RAUS!!!!!!!
Wenn ihr euch langweilt, schaut mal rein. Viel Spaß!
Eure DarcyNarcy
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Der Schrottplatz Meines Lebens
DiversosSchrottplatz, Müllhalde für Gedanken, Abstellraum für Dummheit. Kurz, mein ganz eigenes, mehr oder weniger persönliches Buch über mich und meinen Schrott. Tags, Kurzgeschichten, erste Kapitel von ungeschriebenen Büchern... und eben anderer Klonk. Da...