musiktipp: odyssee feat. bausa & d.o.e. - haftbefehl
"Was ist dein Problem?", ertönte neben mir eine tiefe Stimme. Entgeistert blickte ich ihn an und versuchte in seinem ausdruckslosen Gesicht irgendwelche Antworten zu finden. Warum kam er jetzt zu mir, wenn er mich anscheinend überhaupt nicht mochte? Und warum konnte er mich nicht ab?
"Das sollte ich ja wohl lieber dich fragen", meinte ich und konnte es nicht verkneifen, meine Augen zu verdrehen.
"Ich meine, warum du nichts trinkst", erklärte er nun und blickte für eine Zehntelsekunde zu meinem Glas, bevor seine Augen wieder meine einfingen.
"Mein Glas ist fast leer."
"Ich meine Alkohol", spezifizierte er, nachdem er kurz aufgelacht hatte. Ich spürte, wie meine Wangen rot wurden, da mir dieses Missverständnis total peinlich war.
Aber ja, er hatte es richtig erfasst. Ich trank keinen Alkohol. Nie. Ich hasste es, mein Leben nicht unter Kontrolle zu haben. Ich würde sogar so weit gehen und das als die größte Angst meines Lebens bezeichnen. Doch das ging mysteriöse junge Männer, die ich gerade erst kennengelernt hatte, nichts an.
"Lebenseinstellung", sagte ich deswegen schlicht und zuckte mit den Schultern. Genau gesehen war das nicht mal eine Lüge.
"Es gibt wenig Leute in unserem Alter, die das so sehen", meinte er, wobei sich bei dem Wort "unserem" unerklärlicherweise alles in mir zusammenzog. Schnell nickte ich zustimmend. Die meisten meiner Freunde tranken Alkohol, zumindest auf Partys oder im Club.
"Und wie siehst du das?", fragte ich neugierig nach. Es sollte mich eigentlich nicht interessieren, was er dachte, aber wenn ich ehrlich mit mir war tat es das. Natürlich nur aus freundlichem, menschlichen Interesse heraus. Ich wollte nur nett sein und die Regeln des Small-Talks befolgen.
"Was geht dich das an?" Okay, von wegen Regeln des Small-Talks. Davon hatte Pasi nicht mal etwas gehört. Sein Ton war derselbe eiskalte wie bei unserer ersten Begegnung und ließ keine Widerrede zu. Hatte ich eben noch das Gefühl, dass wir uns näher kamen, schien er mir jetzt noch unnahbarer als zuvor.
"Okay, sorry, mein Fehler", sagte ich mehr zu mir selbst und hob entwaffnend meine Hände. Dann legte ich sie wieder um mein Cola-Glas und ließ meinen Blick ebenfalls dort ruhen.
Doch ich spürte deutlich, wie ich weiterhin von der Seite angestarrt wurde, was ich strikt ignorierte. Stattdessen schaute ich auf die Tanzfläche, die inzwischen so voll war, dass niemand wirklich Platz zum Tanzen hatte, sondern sich mehr aneinander gedrückt bewegte. Ich spottete Anna und Jorge, die eng umschlungen tanzten und sich glücklich ansahen. Dieser Anblick ließ mich ebenfalls lächeln, was ich aber schnell mit einem Schluck meiner Cola versteckte.
"Sie wirken wirklich glücklich." Pasi war also doch aufmerksamer als ich gedacht hatte.
"Das sind sie auch", stimmte ich mit einem erneuten Lächeln zu, während mein Blick immer noch auf meinen Freunden lag.
"Bis einer von ihnen den anderen betrügt." Erschrocken wendete ich Pasi meine Aufmerksamkeit zu und betrachtete sein unergründliches Gesicht. Seine Stimme war so ernst und ließ keine Widerrede zu.
"Das ist aber eine sehr deprimierende Sicht", hörte ich mich selbst sagen, während mein Blick weiterhin auf seinen fokussiert war.
"Ist nur realistisch", er zuckte mit den Schultern, "ganz ehrlich, in ein paar Wochen wird es einen heißeren Dude als Jorge geben und Anna wird mit ihm ins Bett springen."
"Klar, der perfekte Jorge macht natürlich nicht den Fehler", meinte ich augenverdrehend. Warum hatte dieser Junge vor mir bloß so eine verquere Sichtweise auf die Welt?
"Ich dachte, es macht niemand einen Fehler und sie bleiben für immer zusammen, weil sie ja jetzt gerade so glücklich sind?"
"Das ändert nichts am Prinzip, man!" Und dann lachte Pasi. Er lachte mich mit einem ehrlichen Lachen aus, stand auf und ging zurück zu seiner Bar. Er ließ mich mit einem noch verwirrteren Ausdruck und meinen eigenen verwirrenden Gedanken zurück.
An diesem Abend sprachen mich noch zwei Typen an, von denen ich mich mit einem auch echt nett unterhielt, aber mehr als ein nettes Gespräch war da nicht. Ich blieb an dem Tisch sitzen und wollte eigentlich die ganze Zeit nach Hause, aber das konnte ich Anna und Jorge nicht antun. Ihnen wollte ich nicht den Abend ruinieren, der für die beiden so gut wie ihr erster gemeinsamer Auftritt als Paar in der Öffentlichkeit war.
Um halb drei beschlossen wir dann zum Glück endlich zu gehen und verabschiedeten und auf dem Weg zum Ausgang noch schnell bei Pasi. Er wünschte uns eine schöne Nacht, während Jorge und er sich anzüglich angrinsten, und dann zwinkerte er mir zu. Er zwinkerte mir verdammt nochmal zu. Und das tat er bewusst, denn sein Blick bohrte sich danach mit voller Kraft in meinen, bis ich mich abwendete und hinaus ging.
Möglicherweise war dies die merkwürdigste Nacht meines Lebens gewesen.
"So, jetzt aber schnell nach Hause", verkündete Jorge, der seinen Arm um Anna gelegt hatte.
"Mir ist so kalt!", meinte diese und klapperte leicht mit den Zähnen.
"Ist doch nicht weit", versuchte ich sie aufzumuntern, während wir in Richtung unserer gemeinsamen Wohnung losgingen.
"Ich schlafe heute Nacht aber bei Jorge", erzählte Anna stolz und warf ihm ein breites Lächeln zu. Aww, die beiden waren echt zu süß.
Pasis Worte erschienen in meinem Kopf, aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass die beiden sich irgendwann trennen würde. Es gab diese Art von Paaren, die einfach perfekt zusammenpassten und sogar Menschen um sich herum glücklich machten, ohne dabei nervig zu sein. Na gut, außer Pasi, den Realisten, aber den machte wahrscheinlich nichts glücklich...
"Alles klar, dann sehen wir uns morgen", antwortete ich Anna und erwidere ihr Lächeln.
Nach kurzer Zeit waren wir vor unserer Wohnung angekommen und ich zog die beiden in eine Umarmung. "Gute Nacht euch beiden!"
"Gute Nacht, Teresa!", erwiderten die beiden wie aus einem Mund, was uns alle erneut zum Lachen brachte.
Dann öffnete ich die Tür, winkte ihnen noch einmal und ging schließlich hinein. Ich brauchte nicht lange dafür, mich umzuziehen, Zähne zu putzen und mich dann ganz fest in meine warme Bettdecke zu kuscheln. Genau das, was ich schon seit Stunden wollte.
Schnell war die Lichterkette über meinem Bett ausgeknipst und ich schloss meine Augen, um endlich zu entspannen.
Weiß. Ein weißer Raum. Weiße Wände. Leere.
Vor meinem inneren Auge war alles weiß, genau so wie ich es mir vor dem Schlafen immer vorstellte. Zusammen mit Anna hatte ich mir diese Taktik ausgedacht, damit ich schnell und ohne an etwas zu denken einschlafen konnte. In ihrem Psychologiestudium hatte sie so etwas ähnliches durchgenommen, um sich an Träume zu erinnern, und wir hatten dies umgekehrt, damit ich nichts träumte. Absolut nichts.
Doch kurz bevor mein Körper in die weit entfernte Welt des Schlafes gezogen wurde, erschien vor meinen Augen eine Person, die mich mit stechendem Blick anschaute. Dann bewegten sich ihre Lippen, aber ich vernahm sowohl ihre tiefe männliche als auch meine eigene Stimme, die gemeinsam sagten: "Das ändert nichts am Prinzip, man!"
Und dann war ich weg. Und ich konnte nichts dagegen tun.
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traumrealität. | palo
Fiksi PenggemarJeder Mensch hat Träume. Zwar können sich einige am nächsten Morgen nicht mehr an sie erinnern, aber jeder hat dort in dieser kleinen Kammer in seinem Herzen etwas, nach dem er sich sehnt. Manchmal sind es unerreichbare, riesige Illusionen, aber man...