Kapitel 6 ~ Beschützer #3

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„Sag mal Cora, hast du nicht vielleicht doch irgendwelche Signale gegeben, dass du mit ihm schlafen willst?" Entsetzt sah ich ihn an: „Nein! Ganz sicher nicht." Das Misstrauen verschwand nicht aus seinem Blick. Fast wünschte ich mir, dass ich ihn gar nicht sehen könnte. Es verletzte mich, dass er tatsächlich dachte, ich würde mit jedem x-beliebigen etwas anfangen. Mal ganz abgesehen davon, dass gerade er wissen sollte, dass ich in meinem Leben erst einem einzigen Kuss bekommen hatte. Von ihm.

„Wie kommt er denn dann darauf?" „Keine Ahnung! Wie kommst du darauf, dass ich irgendwelche komischen Signale geben hätte?" Trotzig blickte er mich an, aber bei diesem Streit konnte ich einfach nicht nachgeben. Das hier betraf meine Ehre und sowas musste ich mir echt nicht unterstellen lassen. „Was weiß ich denn? Der Typ ist offenbar der festen Überzeugung, dass du mit ihm schlafen willst. Kannst du mir vielleicht sagen, wie er darauf kommt?"

Ich blinzelte die Tränen weg, die unerwartet schnell in meinen Augen aufstiegen. „Sag mal, was glaubst du eigentlich?" Wütend verzog ich das Gesicht, und auch wenn ich zu ihm aufsehen musste, sah ich in diesem Moment wahrscheinlich ziemlich bedrohlich aus. Mit ausgestrecktem Zeigefinger tippte ich auf seine Brust: „Ich habe in meinem Leben genau einen Kuss bekommen.

Einen einzigen. Niemals würde ich mit jemandem schlafen wollen, den ich überhaupt nicht kenne. Merk dir eins: ich bin kein Spielzeug und ich bin kein kleines Kind, aber wenn du weiterhin so tun willst, als wäre ich die Böse in dieser Geschichte, dann kannst du das gerne tun. Aber dann werde ich sicher nicht neben dir stehen und mir das anhören. Ich hab auch Gefühle, und die wurden schon mehr als einmal verletzt."

Okay, das letzte war vielleicht ein bisschen übertrieben, aber ich hatte das Gefühl, dass mir endlich auch mal ein dramatischer Moment zustand. In mir mischte sich ein ganzer Haufen von Gefühlen. Ich wusste gar nicht, was ich überhaupt noch sagen sollte, also drehte ich mich um und stapfte davon, bevor er meine Tränen sehen konnte.

Die Leute sagen so oft, man könne seinen Schmerz ruhig offen zeigen, weil es so einfacher sei, ihn zu heilen, aber der Stolz des Menschen lässt das nicht zu. In diesem Moment wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass tatsächlicher jeder stolz war. Manche mehr und manche weniger, aber prinzipiell waren wir in dieser Hinsicht alle gleich. Vielleicht bedeutete Liebe ja dann, dass man bei dieser Person seinen Stolz verlor.

Das Tapsen meiner bloßen Füße auf dem Pflasterstein begleitete mich, als ich schnellen Schrittes in Richtung Hotel lief. Als ich in Zoeys und meinem Zimmer ankam, atmete ich erst mal tief durch. Dann trocknete ich meine Augen, weil ich beschlossen hatte, dass er die Tränen nicht wert war. Zumindest klappte das gute zwei Minuten, bevor ich richtig anfing zu heulen.

Ich konnte mich nicht einmal für den Grund entscheiden, weinte einfach minutenlang vor mich hin und erstickte mein Schluchzen mit einem Kissen. Andere Leute ertränkten ihre Sorgen in Alkohol und ich versuchte das eben mit Tränen. Es klappte nur leider nicht. Trotzdem wurde ich immer schläfriger, während ich da so vor mich hin weinte, bis ich gar keine Kraft mehr hatte und einfach einschlief.

So musste mich Zoey vorgefunden haben, denn als ich aufwachte, hockte sie an meiner Bettkante. „Was hat er gemacht?", fragte sie ziemlich sachlich. Als Antwort gähnte ich. Gerade wollte ich mit der Geschichte herausrücken, als mir wieder einfiel, dass Zoey ja gar nichts von Kerim wusste, und das auch so bleiben sollte. Sie würde sich nur Sorgen machen, und ich wollte ihr diesen Urlaub wirklich nicht kaputt machen.

Trotzdem blieb ich weitgehend bei der Wahrheit: „Er hat indirekt gesagt, dass ich mit jedem ins Bett springen würde." Ungläubig zog sie die Augenbrauen hoch, dann verfinsterte sich ihr Gesichtsausdruck. „Er hat was?", fragte sie wenig begeistert. „Du hast mich schon verstanden", murmelte ich, bevor ich meinen Kopf wieder im Kissen vergrub. „Das kann ich aber nicht glauben! Ich weiß, dass er ein Idiot ist, aber warum sollte er sowas sagen?"

Jetzt stand ich vor der Entscheidung, sie weiter anzulügen, oder ihr die Wahrheit zu sagen. Manchmal log man nicht, weil es für einen selbst das Beste war, sondern weil es für alle anderen besser war. „Ich weiß es nicht." In diesem Moment klopfte es an der Tür. Gleichzeitig wandten wir uns zur Tür. Mit einem Nicken gab mir Zoey zu verstehen, dass ich fragen sollte, wer da war.

„Cora, bist du da?" Jason. Was für eine Überraschung. „Ich versteck mich im Bad und du lässt ihn reden. Siehst übrigens nicht verheult aus, also beweg dich", zischte sie leise und stürmte ins Bad. In Situationen wie diesen, merkte man, dass sie jünger war als ich. Bis ich die Decke beiseite geschlagen hatte und zur Tür gelaufen war, hatte Jason noch drei Mal geklopft. Ich öffnete die Tür einen Spalt breit.

„Was willst du?", fragte ich erschöpft. Um ehrlich zu sein, hatte ich keine Lust mehr, mich mit ihm zu streiten. Das war so sinnlos und es machte mich bloß traurig. „Ich wollte mich entschuldigen. Natürlich glaub ich nicht, dass du mit jedem in die Kiste springst, aber auf der anderen Seite macht dieser Kerim immer wieder irgendwelche Andeutungen, oder Versuche, die auf genau das schließen lassen.

Aber wenn du sagst, dass du sowas nicht getan hast, dann glaub ich dir auch. Es war übrigens doof dich vorhin weglaufen zu lassen." Ich machte die Tür weiter auf, bis es nicht weiter ging. Zum Glück sprach er mich nicht auf mein verwahrlostes Äußeres an, sonst hätte ich sie ihm wieder vor der Nase zuschlagen müssen. „Ist Zoey nicht da?" „Nein", antwortete ich knapp.

Hoffentlich hatte sie unser Gespräch vom Bad aus nicht gehört. „Gut, dann können wir nämlich gleich noch über etwas anderes reden." „Und zwar?", hakte ich nach. Jason grinste: „Na, wie du ihn wieder loswirst. Klar könnte ich die ganze Zeit den Beschützer spielen, aber heute haben wir ja gemerkt, dass das nicht immer klappt. Also brauchen wir was anderes." Zweifelnd sah ich ihn an: „Könntest du das etwas genauer ausführen?" Aus dem Bad ertönte ein Poltern.

Beide sahen wir die geschlossene Tür an. „Lass mich raten: euer Poltergeist ist meine Schwester." „Ja, so könnte man es ausdrücken", gab ich widerwillig zu. „Wie sieht's aus; vergibst du mir?" Ich seufzte und verdrehte mit dem Anflug eines Lächelns die Augen: „Natürlich." „Gut, dann hast du doch sicher Lust, heute Abend mit mir tanzen zu gehen." Das hatte ich ja schon wieder ganz vergessen! „Was?", fragte ich, doch da hatte er sich schon umgedreht und war im Gang verschwunden.

Ich lehnte mich nach vorne und starrte ihm hinterher, doch er sah sich nicht nochmal um. Das war mit Abstand die lässigste Einladung zu einem Date gewesen, die ich je gesehen hatte. Eigentlich sollte ich ja sauer auf ihn sein, aber das vergaß ich durch die Schmetterlinge in meinem Bauch innerhalb von Sekunden.

My heart is on vacationWo Geschichten leben. Entdecke jetzt