Kapitel 7 ~ Cocos Kusswerkstatt wegen kürzlicher Unpässlichkeit geschlossen #1

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Es war ein seltsames Gefühl, zwischen so vielen Menschen eingekeilt zu sein. Letztendlich blieb mir deshalb nämlich auch gar nichts anderes übrig, als zu tanzen, weil ich sonst überall anstieß. Eine Frau mittleren Alters zappelte herum, als hätte sie einen Anfall und es war nicht unbedingt leicht, ihr auszuweichen. Auch Jason sah sie ziemlich verwirrt an. Sowas hatte er wohl auch noch nie erlebt.

Dann richtete sich seine Aufmerksamkeit allerdings wieder auf mich. Im bunten Licht war nicht einmal mehr seine Augenfarbe zu erkennen, aber das machte mir herzlich wenig aus. „Ganz schön voll hier!", brüllte er mir ins Ohr. Nachher würde ich die Stille nicht mehr ertragen können. „Ich merk's!", schrie ich zurück. Danach ließen wir das Reden, weil es offensichtlich sowieso nicht allzu viel brachte.

Der DJ, der auf einem kleinen Podest stand und überhaupt gar nichts tat, grinste zufrieden. Wahrscheinlich, weil er fürs Nichtstun Geld bekam. Ob man sich bei ihm wohl Lieder wünschen konnte? Um ehrlich zu sein, bezweifelte ich es. Nach ein paar Minuten, begannen die ersten Takte von ‚Stolen Dance'. „Ist das nicht von diesem Typ, der auch Flashed Junk Mind singt?"

Eigentlich verstand ich nur die Hälfte des Satzes, aber den Songtitel hörte ich, von daher konnte ich mir den Rest denken. „Jap, ist es!" „Ironischerweise, hast du mir den Tanz damals aber nicht dazu gestohlen. Darf ich ihn mir zurückholen?" Auch wenn ich nicht den blassesten Schimmer hatte, wovon er redete, ließ ich mich nicht lange überreden. Es gab mit Sicherheit Schlimmeres, als mit seinem Schwarm zu tanzen. Auf engem Raum.

Mit anderen Menschen. Okay, die musste ich mir jetzt wohl einfach wegdenken. Zu meinem Glück funktionierte es erstaunlich gut, aber nicht, weil ich die anderen so einfach ignorieren konnte, sondern weil ich in diesem Moment Kerim entdeckte. Er stand neben dem DJ und sah mich genau an. Ein eiskalter Schauer lief mir über den Rücken. Was wollte der denn überhaupt noch von mir? Hatte ich ihm immer noch nicht klar gemacht, dass ich absolut nichts von ihm wollte?

Ich hatte ihn doch mehr als einmal abgewiesen, das sollte doch jetzt wohl reichen! Jason musste in meinem Gesichtsausdruck gelesen haben, denn in diesem Moment drehte er sich um und blickte genau in die Richtung, in die er nicht gucken sollte. Ich hatte mir schon genug von diesem Animateur kaputt machen lassen. Nicht das hier. Ich legte zwei Finger an Jasons Kiefer und schob ihn in seine ursprüngliche Position zurück, damit er ihn ja nicht anguckte.

Dieser Abend gehörte nur uns beiden, da war absolut kein Platz für Kerim. Mit den Augen fixierte ich Jason und es schien zu funktionieren, denn er drehte sich nicht mehr um. Zumindest vorerst. Das ganze Geschehen dauerte nicht einmal drei Minuten, was ich wusste, weil nach wie vor Stolen Dance lief. Meine braunhaarige Begleitung legte mir die Hände auf die Hüften und bei jedem anderen wäre es ein komisches Gefühl gewesen.

Bei ihm allerdings nicht. Wir drehten uns ein bisschen, sodass wir die Erhöhung, auf der der DJ stand, noch besser einsehen konnten. Bei einem flüchtigen Seitenblick stellte ich fest, dass Kerim uns immer noch ansah, und ich ärgerte mich schwarz darüber. Plötzlich beugte sich Jason zu mir hinunter, aber nicht, um mich zu küssen, wie ich für einen kurzen Augenblick annahm. Er versuchte mir etwas zu sagen, aber alles was ich verstand, war: „Enten Beschuldigung."

Während ich mich noch fragte, was das zu bedeuten hatte, küsste er mich tatsächlich. Ich war noch nie in meinem Leben so unvorbereitet auf etwas gewesen, weshalb ich auch zwei Sekunden brauchte, bis ich überhaupt kapierte, was hier gerade passierte. Aber dann ließ ich mich in den Kuss gleiten, auf den ich schon so lange wartete. Man kann es nur ziemlich schwer beschreiben, aber auf einmal fühlte ich mich, als könnte ich fliegen. Als gäbe es einfach keine Schwerkraft mehr, die mich am Boden hielt.

Es wäre mit Sicherheit ein hochinteressantes Bild, wenn das tatsächlich so funktionieren würde und Jason und ich jetzt einfach wegfliegen würden, aber das war natürlich völliger Quatsch. Stattdessen kribbelte mein ganzer Körper, ich bekam trotz der Hitze eine Gänsehaut und wollte gar nicht mehr aufhören, mich von ihm küssen zu lassen. Alle meine Sinne hörten auf, richtig zu arbeiten, nur meine Haut und meine Lippen wurden hypersensitiv.

Jede noch so kleine Berührung bemerkte ich, dabei hatte ich wie so oft in letzter Zeit das Gefühl, mein Kopf hätte abgeschalten. Es war erfreulich zu wissen, dass das Ding da oben wenigstens überhaupt noch etwas tat. Genauso schnell wie der Kuss begonnen hatte, endete er auch wieder. Obwohl ich die Pause dringend nötig hatte, unter anderem, um meine Gedanken zu ordnen und Luft zu holen, war ich froh, dass auf den ersten ein zweiter Kuss folgte.

Man konnte sich zwar eine romantischerer Location vorstellen, als eingekeilt zwischen lauter verschwitzten Menschen, aber das machte mir herzlich wenig aus. Was wirklich zählte, war der Kuss. Jason küsste mich! Und soweit ich wusste, küsste man niemanden, mit dem man bloß befreundet sein wollte. Die Erleichterung darüber trug nur noch zu dem Hochgefühl bei, das mich längst ergriffen hatte.

Für einen ganz kurzen Augenblick öffnete ich die Augen, um mich zu vergewissern, ob ich mir das Ganze nicht vielleicht doch bloß einbildete. Jason hatte die Augen geschlossen, aber dafür fing ich einen anderen Blick auf. Einen, der nicht sonderlich begeistert zu sein schien. Bei der Wut, die in seinen Augen leuchtete, hätte ich fast gezittert. Aber gleichzeitig kam mir auch ein anderer Gedanke, auf den ich ohne ihn wohl nie gekommen wäre.

Enten Beschuldigung hatte Entschuldigung heißen sollen. Aber warum sollte er sich vor dem Kuss entschuldigen? Mir schossen seine Worte von vorhin durch den Kopf und sofort schmeckte die Berührung seiner Lippen bitter. Mit einem Mal war die Hochstimmung verflogen. Sie war einem tiefen Gefühl der Enttäuschung gewichen. Ich machte mich von ihm los, in dem Wissen, dass ich jetzt schon kurz davor war, zu weinen.

„Ich hab dir gesagt, dass ich keine Fakebeziehung will, nur um ihn fernzuhalten", brüllte ich, um die Musik zu übertönen. Das Schuldbewusstsein war ihm ins Gesicht geschrieben und gab mir praktisch den Rest. Jetzt konnte ich mir sicher sein, dass das der Grund für den Kuss war. Am liebsten hätte ich Jason eine Ohrfeige verpasst, aber dafür war ich einfach nicht der Typ. Ich war einfach so maßlos von ihm enttäuscht.

Bevor die erste Träne fiel, hatte ich mich umgedreht und mich durch die Menge geschoben. Man kam zwar nur langsam vorwärts, aber ich war kleiner und schmaler als er, weshalb ich den Ausgang mit einigem Vorsprung erreichte. Ich wusste zwar nicht, wohin ich jetzt gehen sollte, aber weit weg von hier war die verlockendste Option.

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