Kapitel 5 ~ Sowas passiert immer nur anderen #8

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„Ähm, Jason, wollen wir vielleicht frühstücken gehen? Es klingt jetzt vielleicht echt dumm, aber ich trau mich nicht alleine. Ich glaub zwar nicht, dass er mir vor anderen Leuten was tun würde, oder mir sonst wie auflauert, aber ich will ihm auch nicht alleine über den Weg laufen." „Darf ich mich vorher noch anziehen?"

Ganz kurz sah ich an ihm herunter. Dann schüttelte ich entschieden den Kopf: „Nö." Jason streckte mir die Zunge raus: „Werde ich aber, mach dir da mal keine Gedanken." „Sag bloß." Ich verdrehte die Augen und gähnte im selben Moment. „Du sahst gerade aus, als wolltest du mir das Gehirn raus saugen. Gestern hast du mich gebissen und jetzt das. Muss ich mir Sorgen machen?"

Höchstens darum, dass ich irgendwann dank ihm noch einen Herzinfarkt bekäme. Mich würde nichts mehr wundern. „Ich glaub nicht. Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass ich vorher noch nie sexuell belästigt wurde", stellte ich trocken fest. Ich setzte mich wieder aufs Bett und vergrub das Gesicht in den Händen.

Nuschelnd gab ich zu, dass ich Kerim wirklich nicht sehen wollte. „Glaubst du, er ist sauer auf mich? Hat er sowas schon öfter gemacht? Ich will es mir gar nicht vorstellen..." Jason setzte sich neben mich und legte mir eine Hand auf den Rücken.

„Warum sollte er sauer auf dich sein? Er wollte ja mehr von dir, du hast gar nichts falsch gemacht. Und falls er sowas schon öfter gemacht hat, solltest du erstrecht was sagen. Er sollte gefeuert werden, ganz ehrlich. Du bist nicht mal 18!" „Aber du weißt doch, dass die Leute hier so wenig Geld haben. Wenn er gefeuert wird, hat er vielleicht gar nichts mehr."

Grummelnd lenkte Jason ein, dass er das ja auch verdient hätte, aber ich wollte das nicht. „Er dachte eben, dass ich es auch wollte. Es war ein Missverständnis." Jason schnaubte abfällig: „Ja, klar, ein Missverständnis."

Ich wollte nicht den Teufel an die Wand malen, und davon ausgehen, dass er mich vergewaltigt hätte, wenn ich nicht weggerannt wäre. Aber irgendwie dachte ich trotzdem, dass genau das passiert wäre. Ich fuhr mir nochmal durchs Gesicht: „Ich kann es echt immer noch nicht glauben. Sowas passiert doch immer nur anderen. Warum ausgerechnet ich?"

„Mach dir keine Gedanken drum, okay? Wenn du willst, bleib ich auch den ganzen Tag bei dir und pass auf, dass er dir nicht zu nahe kommt." Das entlockte mir doch tatsächlich ein glückliches Lächeln. „Das wäre lieb, danke." „Kein Problem. Ich muss mich dann aber zusammenreisen, damit ich nicht direkt auf diesen Idiot losgehe! Dass er dich auch nur angefasst hat!"

„Jetzt übertreib mal nicht. Es hätte vielleicht mehr passieren können, aber es ist ja alles gut gegangen und ich will nicht unbedingt drüber nachdenken, was hätte passieren können. Bei dem Gedanken wird mir nämlich schlecht." Was leider keine Lüge war, denn mir machte die Vorstellung tatsächlich eine Heiden Angst.

Das wäre mein erstes Mal gewesen und ich hätte es nicht im Entferntesten schön gefunden. Ich glaube, wenn er wirklich so weit gegangen wäre, hätte ich mich unendlich dafür geschämt. „Gut, dann gehen wir jetzt frühstücken und dann kannst du ihn ankotzen, wenn wir ihn sehen."

„Das ist er nicht wert", murmelte ich und stupste Jason ein bisschen mit meinem Ellenbogen an. Sachte stupste er zurück und innerhalb von wenigen Sekunden artete es so aus, dass ich vom Bett fiel. Oder eher flog. „Autsch", murmelte ich, während ich mir die Seite rieb. „Das hast du nun davon, dass du mich anrempelst." „Pf", stieß ich aus, „von wegen Anrempeln! Das war ein Stupser!"

„Geht's?", fragte er jetzt doch noch ein wenig besorgt. „Ich werd schon nicht dran sterben", gab ich zurück. „Und falls doch, kannst du ja einfach so tun, als wärst du es nicht gewesen." „Für so einen hältst du mich also!", rief er scherzhaft empört. „Ja, und wenn du dich jetzt nicht bald anziehst, musst du eben doch so zum Frühstück gehen, sonst verhunger ich noch."

„Meine Mutter hat früher immer gesagt, so schnell verhungert man nicht." Meine eigene Mutter sagte das auch ganz gerne, wenn ich sie zum Frühstück fragte, was es denn zum Mittagessen gäbe. „Zusammen mit der Frage, du denkst auch nur ans Essen, oder?", führte ich seinen Satz fort.

„Manche Dinge sind also doch in allen Ländern gleich. Respekt, dass du deine Mutter soweit gebracht hast." Bei uns Zuhause war es so, dass mein Bruder und ich unserer Mutter ununterbrochen auf die Nerven gingen, wenn es ums Essen ging. Vor allem mein Bruder brauchte mindestens zwei warme Mahlzeiten, um nicht völlig am Rad zu drehen. Also winkte ich ab: „Nicht mein Verdienst."

Während ich mich noch fragte, wie wir zu zweit überhaupt in das kleine Bett gepasst hatten, zog Jason sich ein Shirt über. Vor dem Spiegel fuhr er sich einmal durch die Haare und schon sah er aus wie immer. Etwas neidisch gab ich zu: „Ich brauch immer eine halbe Stunde im Bad, bevor ich mich vor die Tür traue."

„So?", fragte er. „Aber wir gehen jetzt trotzdem runter, auch wenn du sonst noch ewig im Bad wärst. Außerdem ist das doch total sinnlos. Ich hab dich jetzt sowieso schon total verpennt gesehen und schlimm ist das auch nicht. Du siehst doch ganz niedlich mit verquollenen Augen aus." „Herzlichen Dank, dass du wenigstens versuchst, freundlich zu sein. Aber ich weiß selbst, wie ich aussehe. Und das ist alles andere als süß."

Er knuffte mich in die Seite: „Ich darf dich ja wohl noch süß finden!" Warum konnte er mich nicht einfach küssen? Alle Komplimente, die er mir machte, ließen meine Gefühle nur noch tiefer werden. Wenn er sie doch wenigstens erwidern würde, wäre ich überglücklich, aber das tat er nicht.

Und selbst wenn, wusste ich nicht, ob ich wirklich auf Dauer mit ihm zusammen sein konnte. Schließlich musste ich bald wieder nach Hause und würde ihn vermutlich für lange Zeit nicht sehen. Wir verließen sein Zimmer, und führten währenddessen Gespräche über Belangloses. Bis wir beim Speisesaal angekommen waren, vergingen einige Minuten.

Als ich Kerim entdeckte, klammerte ich mich schnell an Jasons Arm fest. „Ich übertreibe schon wieder, oder?", fragte ich ihn leise. „Nein, ist schon okay. Er soll ruhig wissen, dass er es mit mir zu tun bekommt, falls er dich nochmal anrührt." Ich umklammerte seinen Arm gleich noch ein wenig fester. Daran könnte ich mich gewöhnen. Also, an seinem Arm herumzulaufen, nicht, Angst vor jemandem haben zu müssen.

Verzweifelt versuchte ich, nicht einmal in Kerims Richtung zu schauen. Ich wiederholte das Mantra, ihn einfach zu ignorieren, immer wieder in Gedanken. Es war allerdings gar nicht so leicht, sich auch wirklich daran zu halten.

„Ganz ruhig. Ich bin bei dir. Außerdem würde er es nicht wagen, dir vor all den Leuten was zu tun. Es kann dir gar nichts passieren. Und jetzt lass uns was zu essen holen. Ich muss doch bei Kräften bleiben, damit ich dich auch beschützen kann." Zaghaft ließ ich seinen Arm los. Ich sollte echt aufhören, mir solche Sorgen zu machen. Das brachte mich auch nicht weiter.

My heart is on vacationWo Geschichten leben. Entdecke jetzt