3. Versus

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Es war heiß.

Es war der dreizehnte August zweitausenddreizehn und Marta war fünfzehn Jahre alt.

Es roch nach frisch gemähtem Gras und Sommer.

Es waren immer noch Sommerferien, doch die Schule würde bald beginnen.

Vor ihrem Fenster blühten Wandelröschen, kleine bunte Flecke in der schimmernden Luft. Das Fenster war weit geöffnet, doch es kam einfach kein einziger Windhauch bei ihr an. Sie hörte Lola von draußen jauchzen. Doch Marta war langweilig.

Sie versuchte sich auf das Buch über Impressionismus in ihren Händen zu konzentrieren, doch trotz der Tatsache, dass sie sich tatsächlich für das Kunstthema im nächsten Jahr interessierte, verrauchten ihre Gedanken in der Hitze.

Das junge Mädchen sprang vom Schreibtischstuhl auf und ging nach unten, von da aus weiter in den Garten und um das Haus herum. Sie beobachtete Lola, wie sie mit ihrer Freundin Emilia mit einer ihrer Katzen spielte. Dann ging sie weiter in Richtung Praxis und innendrin erwartete sie eine noch heißere, sterile Luft. Im Wartezimmer war nicht viel los, es saß nur eine ältere Dame mit ihrem knallgelben Kanarienvogel auf einem der Plastikstühle, die sie freundlich grüßte, doch aus dem Behandlungsraum hörte sie hektische Stimmen.

„Ich habe ihn auf dem Weg nach Hause gefunden, das arme kleine Ding, ganz räudig und so viel Blut! So viel...", sagte eine helle Stimme, als Marta die Tür öffnete. „Hallo, kann ich irgendwie helfen?" „Marta, dios mío, gut dass du da bist, Frau Brecht hat mir grade ein verletztes Fuchsjunges gebracht, gibst du mir bitte mal die Tücher hinter dir?", sagte Papá hektisch.

„Guten Tag", murmelte Marta zu Frau Brecht, einer Bekannten aus dem Dorf, die immer zu stark nach Parfüm roch aber ein großes Herz für Tiere hatte und ihnen schon oft Wildtiere zur Behandlung gebracht hatte. Marta reichte Papá die Tücher.

Dann viel ihr Blick auf das winzige Fellknäuel, das zusammengekauert auf dem Behandlungstisch lag. Das bräunliche Fell war von dunkelroten Blutschlieren verklebt, die von einer Stelle an den Hinterläufen des Tieres auszugehen schienen und man erkannte nur zwei riesengroße Ohren. Sonst war es winzig, winzig klein und zitterte am ganzen Leib.

Frau Brecht seufzte: „Ich war spazieren und da hab ich es neben der Straße gefunden. Ich konnte einfach nicht daran vorbei gehen und habe ihn sofort hergebracht. Sie kriegen das doch wieder hin, oder Herr Doktor?"

„Wir schaffen das schon, machen sie sich keine Sorgen. Er ist nicht schwer verletzt, nur ein Schnitt am Hinterlauf und einige Prellungen. Es ist nichts gebrochen. Er hatte Glück, der kleine Kerl, das Auto hat ihn wahrscheinlich nur leicht gestreift. Was mir eher Sorgen macht, ist, dass er noch so jung ist..."

Familie Espinosa Peréz behandelte verletzte Wildtiere meist kostenlos und es kamen nie so viele zu ihnen in Behandlung, wie man vielleicht denken könnte. Auch Marta assistierte schon seit sie denken konnte in der Praxis ihres Vaters. Anfangs pflegte sie nur die Tiere, die längere Zeit bei ihnen waren, doch seit einiger Zeit half sie auch bei den eigentlichen Behandlungen.

Sie kümmerte sich so gut es ging um den Fuchs, dem sie sich von Anfang an verbunden gefühlt hatte  und assistierte bei seinen Behandlungen, um ihn danach in das Zimmer für die Tiere, die über Nacht bleiben mussten, zu bringen. Während ihr Vater den Vogel der alten Dame aus dem Wartezimmer behandelte, kümmerte sie sich um den Fuchs, der schnell Vertrauen zu ihr fasste. Sie bereitete die Hundewelpenmilch vor, denn er war erst ungefähr drei Wochen alt und vertrug noch keine feste Nahrung. Sie taufte ihn Versus.

Marta kümmerte sich den Rest des Sommers intensiv um den Fuchs, fütterte ihn, spielte mit ihm, war sein Mutterersatz und beobachtete, wie er aufwuchs. Die Zeit verging, doch der Fuchs war so sehr mit Marta verbunden, dass sich die Auswilderung in den angrenzenden Wald schwierig gestaltete und so kehrte er erst im darauffolgenden Frühjahr in seinen natürlichen Lebensraum zurück.

Doch ihre Freundschaft blieb bestehen. Marta ging anfangs fast täglich zu dem Felsen auf der kleinen Lichtung im Wald und dies wurde ihr fester Treffpunkt. Ihr Vater, der Tierarzt, checkte ihn regelmäßig auf Krankheiten, sonst wusste niemand von ihrem kleinen Freund.

Nein, er war kein 'kleiner Freund'.

Er war der Freund.




Of Foxes and FailureWo Geschichten leben. Entdecke jetzt