"Ich werde ihn nie, nie wieder sehen!", jammerte ich in den Telefonhörer. Am anderen Ende räusperte sich Kiran: „So hab ich dich ja noch nie erlebt, mach mal halb lang. Ihr liegt im selben Krankenhaus, da wirst du ihn einfach finden. Außerdem will er dich bestimmt auch wieder sehen."
„Aber ich kenn nicht mal seinen Namen!", beschwerte ich mich, „Wir haben uns nur ganz kurz unterhalten und dann bin ich umgeklappt. Toller erster Eindruck!"
Als ich mich jetzt im Spiegel musterte fiel mir auf, wie 'toll' mein erster Eindruck wirklich gewesen sein musste. Meine Haare hingen in verknoteten Strähnen aus meinem dicken Kopfverband, den ich gestern Nacht nicht mal bemerkt hatte, heraus und züngelten wie Medusas Schlangen um meinen Kopf. Dazu hatte ich total rote, zugeschwollene Augen mit dunkelvioletten Ringen darunter und drei kurze, aber tiefe Schnittwunden an meinem rechten Wangenknochen, sowie ein blaues Kinn. Als ob ich mich geprügelt hätte... Und dann trug ich auch noch dasselbe hässliche Nachthemd wie er, das mich dreimal so fett aussehen ließ, als ich wirklich war.
Ich musste zugeben, dass mein Körper mehr abbekommen hatte, als ich dachte. Neben meinem lädierten Gesicht waren meine Hände und Füße total zerschnitten und durch den gestrigen Sturz aus dem Krankenhausbett war meine Hüfte geprellt. Wegen der Gehirnerschütterung bin ich auch des Öfteren umgekippt, deshalb blieb ich, sehr zu Freude der Schwestern, im Bett.
Einzig und allein mit der Tatsache, ich sei unterernährt, konnte ich mich nicht abfinden. Natürlich hatte ich in den letzten Tagen nicht den größten Appetit gehabt, aber das hieß nicht, dass ich nicht ausreichend gegessen hatte!
Papá hatte heute Morgen besorgt an meinem Bett gesessen. Unter seinen Augen lagen tiefe Schatten und er stank erbärmlich nach Rauch und wir haben nicht viel geredet, bis ich ihn nachhause geschickt hatte.
Ich hatte den Schock einigermaßen gut verarbeitet und mir wurde auch meine Umgebung und Situation bewusster als gestern Nacht.
Das änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass ich keinen blassen Schimmer hatte, wer der goldäugige Junge war. Ich war mir immer noch nicht sicher, ob er wirklich existierte oder nur eine Wahnvorstellung in meinem Medikamentenrausch war, aber erstens traute ich meinem Gehirn nicht zu sich etwas so Tolles auszudenken und zweitens hab ich von der Schwester, die heute Morgen Dienst hatte, erfahren, dass ich heute Nacht tatsächlich versucht hatte zu gehen. Das Ganze war mir unglaublich peinlich, vor allem da die neue Schwester Mutter Teresa persönlich zu sein schien. Zum Glück konnte ich alles auf die Medikamente schieben.
„Du solltest die Schwester fragen, die kennt ihn bestimmt!", meinte Kiran am anderen Ende und riss mich aus meinen Gedanken.
„Die Schlachterin?", ich war empört, „Auf gar keinen Fall!"
„Dooch, das ist wohl die einzige Möglichkeit wenn du nicht allein auf die Suche gehen willst." Er zog das 'Doch' unnatürlich in die Länge und ich konnte mir förmlich vorstellen wie er jetzt mit den Augenbrauen wackelte: „Wie wär's, wenn du ihn mir dann mal vorstellst? Meine letzte Beziehung mit Franco ist schon Ewigkeiten her... wie hast du seine Augen nochmal beschrieben? Wie flüssiger Honig, so süß und sanft..."
Ich hustete empört: „Kiran, hör sofort auf, oder ich leg auf. Ich wusste ich hätte dir nichts erzählen dürfen... Du musst immer so übertreiben!" Ich grinste in mich hinein, doch als er erwiderte, wie zuuuckersüüüß er sein musste, drückte ich enthusiastisch auf den roten Hörer. Mein Finger blieb noch einen Moment liegen und ich begutachtete den halb abgelösten, dunkelblauen Nagellack. Ich musste das wieder hübsch machen, wenn ich ihn wieder sah. Falls... Ich hatte da meine Zweifel.
Ich legte das Blackberry vorsichtig auf den kleinen Tisch neben meinem Bett, auf dem auch schon ein hübscher Blumenstrauß von Papá, der aus vielen weißen und hellvioletten Blüten gebunden war und eine Wasserflasche befanden. Ich lag in einem Einzelzimmer, es war so klein, das ich vom Bett aus das Fenster erreichen konnte und es nur fünfeinhalb Schritte bis zum Badezimmer waren. Gerade als ich beschloss mich in diese Richtung zu begeben wurde die Türklinke heruntergedrückt.
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Of Foxes and Failure
General Fiction"Bücherfanatikerin, Bleistiftliebhaberin, Morgenmensch und Teetrinkerin. Kaffeehasserin. Einzelgängerin. Doch bin das ich? Wenn ihr das jetzt gelesen habt, wisst ihr, wer ich bin?" Die einzige Bezugsperson von Marta ist ein Fuchs. Doch nach einem s...