11. Das Dach

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Natürlich hatte ich keine date-tauglichen Klamotten hier. Selbst wenn ich welche besessen hätte, ging wohl niemand davon aus, man würde während eines Krankenhausaufenthaltes in die Versuchung kommen, sich hübsch zu machen.

War das, wohin ich in einer halben Stunde aufbrechen würde, überhaupt ein Date? Warum mussten auch immer alle so kompliziert und undurchschaubar sein...

Letztendlich entschied ich mich für eine einfache Jeans und meinen dunkelblauen Lieblingspulli. Wahrscheinlich würde ich eh meinen Mantel anbehalten wenn wir uns wirklich mitten in der Nacht draußen trafen, denn er wollte ja sicher nicht seine Zeit in einem Patientenzimmer verbringen.

Im Bad versuchte ich so gut es ging den blauen Fleck am Kinn und meine Augenringe zu überschminken, aber die tiefen Schnitte an meinem Wangenknochen rührte ich nicht an. Dann trug ich Mascara auf, zog meine Augenbrauen in einem hellbraunen Ton leicht nach, da sie sonst ziemlich hässlich und unscheinbar hellorange leuchteten. Meine Haare bürstete ich so lange bis sie glänzten und der Blick auf die roten Ziffern, die 23:46 auf der Digitaluhr anzeigten, ließen mich aufschrecken. Ich wollte auf keinen Fall zu spät kommen, und es war ein weiter Weg bis in den Ostflügel des sechsten Stocks.

Im Vorbeigehen schnappte ich mir meinen schwarzen Mantel und zog ihn im Gehen über. Meine Hände zitterten und mein Herz flatterte, als würde darin ein Schwarm Vögel nisten. Welche mit goldenen Augen und roten Hipsterbrillen.

Nervös wippte ich auf den Zehenspitzen hin und her, während ich im dunklen Flur auf ihn wartete und vergrub die Hände in den Taschen. Es war vier Minuten vor Mitternacht.

„Wie ich sehe, hast du den sechsten Stock gefunden!", rief eine fröhliche, klare Stimme hinter mir. Ich wirbelte herum, als Ben gerade eine schwere, ziemlich versteckte Tür zu zog. Ich versuchte herein zu linsen, doch da viel sie schon ins Schloss. Das Schildchen daneben zeigte nur die Zimmernummer: 3026.

„Wo kommst du denn her?", fragte ich ihn. „Das spielt keine Rolle", grinste er mich an, kam auf mich zu und warf sich stürmisch in meine Arme.

Mein Herz setzte kurz aus, und fing dann, ungefähr so schnell wie ein Mäuseherz, an zu schlagen. Ich stand stocksteif da, viel zu überrumpelt um mich zu bewegen und nahm nur die Wolke aus Pfefferminz, frisch gebrühtem Kaffee und einem Hauch Seife, die mich nun einhüllte, wahr.

Dieser Typ war so unvorhersehbar wie das Aprilwetter und ich wusste noch nicht, ob mir das wirklich gefiel. Im nächsten Moment ließ er mich auch schon wieder los und ich stand, verlassen und seiner Wärme beraubt, vor ihm.

„Hey?", fragte ich unsicher.

„Guten Abend, Mylady. Ich hoffe sie haben gut hergefunden?", fragte er gespielt schnöselig und deutete eine Verbeugung an.

„Ausgezeichnet", erwiderte ich und knickste sehr unelegant, aber mit einem Lachen im Mundwinkel.

Einen Moment lang blieben wir so stehen, er musterte mich von oben bis unten und auch ich nahm seine verstrubbelten Haare, das hässliche Nachthemd, über das er nur eine zerrissene Jeansjacke geworfen hatte, und die roten Wollsocken wahr.

Hatte er sich seit gestern Abend nicht umgezogen oder besaß er von diesem Outfit mehrere Ausführungen? Allerdings passte das ganz gut zu dem Bild des sorglosen, sprunghaften Jungen.

Dann wanderte sein warmer Blick wieder zu meinen Augen: „Wollen wir?". Er bot mir seinen Arm an und auch wenn ich mir unglaublich lächerlich vorkam, hakte ich mich unter und legte meine Hand vorsichtig auf seine. Jede kleinste Bewegung spürte ich unglaublich intensiv, sodass sie sich in meinem gesamten Körper auszubreiten schien.

Of Foxes and FailureWo Geschichten leben. Entdecke jetzt