Immer noch blind vor Tränen stolperte ich den unebenen Weg entlang, dessen leichte Frostschicht unter meinen Füßen immer wieder knackste, in der Hoffnung irgendwann bei einem Dorf oder Haus anzukommen, von wo aus ich jemanden anrufen könnte. Denn natürlich hatte ich sowohl mein Handy, als auch das Geld und den Ausweis in meiner Handtasche in Bens Auto gelassen. Der Gedanke, vollkommen mittellos zu sein, trieb mich erneut an den Rand des Wahnsinns.
„Was macht denn eine junge Lady so ganz allein am frühen Morgen auf meinem Feld?", riss mich plötzlich eine laute Stimme aus meinen monotonen Gedanken, sodass ich zusammenzuckte.
„Entschuldigung, ist hier betreten verboten?", fragte ich ohne große Anteilnahme und drehte mich zu einem alten, von der Arbeit gebeugten Mann um. In seinem von dreckigen, tiefen Falten umzogenen Mundwinkel steckte ein langer, gelber Grashalm, auf dem er herumkaute, doch seine Augen leuchteten eisblau und vollkommen lebendig. Er hob seinen zerschlissenen Hut und offenbarte einen hellgrauen Kranz Haare, die bis über seine riesigen, von der Kälte geröteten Augen fielen.
„Ganz und gar nicht, auf den Ländereien der Schmidts ist frisches, junges Blut immer willkommen", erwiderte er und musterte mich gründlich.
„Na, dann ist ja alles in Ordnung", antwortete ich und drehte mich wieder um, um weiter zu laufen. „Na, na, na!", rief der Mann plötzlich hektisch und fasste mich leicht an der Schulter, sodass ich herumwirbelte, damit er mich wieder losließ. „Was macht denn es so junges Mädchen ganz allein hier im Nirgendwo? Sie hat ja nicht mal Schuhe an! Ich denke, es ist das Beste, wenn sie erstmal mit zu mir und Ester kommt, hier draußen holt sie sich noch den Tod."
Dass er in der dritten Person von mir sprach, verwirrte mich irgendwie ganz schön und allgemein machte dieser Typ einen nicht ganz koscheren Eindruck. Aber wie konnte ich das überhaupt beurteilen? Er hatte Recht, ich trug ja nicht einmal Schuhe, aber erst jetzt nahm ich die Kälte wahr, die sich durch meine dünnen, vom Tau durchweichten Socken fraß wie ein Monster. Mittlerweile hatten auch üble Kopfschmerzen meine Tränen ersetzt.
Außerdem hatte ich keine Wahl oder? Es war immer noch besser bei einem Halbverrückten mitzufahren, als wer weiß wie lange noch über diese Felder zu wandern.
„Okay", sagte ich, „wenn es Ihnen keine Umstände macht, würde ich gerne bei Ihnen telefonieren."
„Natürlich, wenn die Lady das wüscht."
Mit diesen Worten drehte sich der kleine Mann um und ging zügig den Weg entlang bis wir hinter einer Biegung einen alten Pick Up erreichten. Die moosgrüne Farbe vermischte sich mit den Rostspuren, von denen der ganze Wagen überzogen war und ich erkannte auf der großen Ladenfläche einen Berg losen Strohs, mehrere, von Hundehaaren eigehüllte Decken und unzählige verrostete Werkzeuge. Auch das Innere des Wagens roch unglaublich stark nach nassem Hund.
Bereits nach wenigen Minuten Fahrt erreichten wir eine Art Bauernhof, dessen riesiges Gelände sich perfekt in die umliegenden Felder schmiegte, als hätte es seit dem Kambrium nichts anderes getan. Kahle Apfelbäume und riesige Ställe mit angrenzenden Weiden umgaben das alte, steinerne Haupthaus. Es war wohl einmal ziemlich winzig gewesen, aber dann wurde immer wieder mal mehr, mal weniger neue Räume und überglaste Terrassen angebaut, sodass das Haus jetzt mehrere Etagen nach oben ragte und so krumm und schief war, das es mich wunderte, dass es überhaupt noch stand. Trotzdem vermittelten die rauchenden Schornsteine, die quietschgelben Gummistiefel und die dicken Hühner, die vor der Haustür friedlich ihre Körner pickten, einen sehr belebten Eindruck.
„Wow", flüsterte ich.
„Eher sehr viel Arbeit", antwortete der Bauer und begann zu erzählen, „Ester und ich hatten sieben Kinder, sodass wir das Haus immer weiter ausbauen mussten. Aber mittlerweile sind sie alle in die Stadt gezogen, sodass ich jetzt alles allein bewirtschaften und warm halten muss. Seit Ester nicht mehr so gut auf den Beinen ist, wird das Ganze immer schwieriger."
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Of Foxes and Failure
Genel Kurgu"Bücherfanatikerin, Bleistiftliebhaberin, Morgenmensch und Teetrinkerin. Kaffeehasserin. Einzelgängerin. Doch bin das ich? Wenn ihr das jetzt gelesen habt, wisst ihr, wer ich bin?" Die einzige Bezugsperson von Marta ist ein Fuchs. Doch nach einem s...