Kapitel 9- Thea

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Als ich in Annas und meinem Zimmer im Studentenwohnheim ankam, rechnete ich mit allem. Damit, dass sie heulend auf dem Boden saß. Damit, dass das Zimmer in Flammen stand oder sie eine schlechte Note auf eine Hausarbeit bekommen hatte. Aber nicht damit, dass der Inhalt ihres gesamten Kleiderschrankes überall verteilt war. Sogar ihre Unterwäsche flog durch das Zimmer.
„Anna, was ist hier los?", fragte ich schockiert. So ein Verhalten sah ihr gar nicht ähnlich, spielte sie doch immer die, die nie aus dem Konzept gebracht werden konnte. Nun schien es jemand oder etwas geschafft zu haben.
„Ich suche einen Comic", kam es von ihr, während sie tiefer in ihren Schrank krabbelte.
Deswegen sah unser Zimmer wie ein Schlachtfeld aus? Wegen einem verdammten Comic? Vorsichtig lief ich in das Zimmer und achtete darauf, auf nicht zu viele Sachen zu treten. Denn nicht nur Kleidung lag auf dem Boden verstreut, sondern auch ihre kostbaren Comics wurden, so wie es aussah, einfach aus dem Bücherregal geworfen.
Anna war verrückt nach Comics und gerade die Marvel Comics hatten es ihr angetan. Von Batman bis Wolverine las sie alles und hatte auch eine Menge in ihrem Regal stehen.
„Warum suchst du einen Comic?", hakte ich weiter nach.
„Ich treffe mich heute Abend mit Christian und da wollte ich meinen Comic mitbringen, weil er den noch nicht kennt. Wenn ich den aber nicht finde, dann raste ich wortwörtlich aus."
Ich überlegte kurz und lief dann zu ihrem Bett. Meistens schlief sie während dem lesen ein und das Comicheft ‚verschwand' dann zwischen der Wand und ihrem Bett. Es sollte ihr eigentlich nicht unbekannt sein, doch vor lauter Hecktick schien sie dies vergessen zu haben. Kräftig zog ich ihr Bett von der Wand weg und schaute durch die Ritze die entstanden war. Und siehe da, da lag ein Comicheft. Jetzt musste ich nur noch hoffen, dass das das Richtige war.
„Anna?"
„Was?", fragte sie in pampigem Ton.
Ich verdrehte meine Augen und sagte zu ihr, dass sie doch mal herschauen sollte, ich hätte etwas gefunden. Sie drehte sich um und ihre Augen begannen wie funkelnde Sterne zu strahlen, als sie das Cover sah. Meine beste Freundin stieß einen kurzen lauten Schrei aus und hastete zu mir. Ungläubig riss sie mir den Comic aus der Hand und fiel mir dankend um den Hals.
„Ich weiß nicht, was ich ohne dich gemacht hätte, Thea."
„Verzweifelt?", antwortete ich lachend.
„Ich sollte gleich mal das Chaos hier aufräumen, nicht, dass bis morgen früh alles in einem Müllbeutel zum verbrennen gesteckt wird", zwinkerte sie mir zu.
„Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich deinen Krempel für dich auch noch aufräume. Nein, ich nehme jetzt eine schöne warme Dusche und wenn ich zurück komme will ich, dass alles wieder auf seinem Platz steht", befahl ich ihr grinsend. 

3 Wochen später
Wie jeden Donnerstag, wollte ich heute wieder ins Café Chaos. Zwar wollte sich Max heute mit mir treffen, jedoch sagte ich ihm ab, denn auf meine donnerstags Besuche im Café konnte und wollte ich einfach nicht verzichten.
Mit meiner schwarzen Lederjacke in der Hand und meinen Lernsachen sicher in meiner Tasche verstaut, lief ich gemütlich zum Café. Auf dem Weg dorthin war ich froh, die Jacke mitgenommen zu haben, denn heute war es ziemlich frisch auf dem Campus.
Als ich die Glastür zu meinem Lieblingscafé öffnete, strömte mir sofort der Duft von Kaffee in meine Nase. Auch wenn ich nicht gerne Kaffee trank, liebte ich den Duft frischgemahlener Kaffeebohnen. An der Theke war nicht viel los, es stand nur der Freund des Lockenkopfes da und unterhielt sich mit der Barista. Schon seit ein paar Wochen versuchte er an ihre Nummer zu kommen. Erfolglos. Sein Freund war seit dem ‚Vorfall' nicht mehr im Café, vielleicht war es ihm peinlich, obwohl ich das nicht glaubte. Dafür wirkte er viel zu selbstsicher. Nachdem ich endlich meine heiße Schokolade in der Hand hielt, blickte ich durch den großen Raum nach einem freien Tisch. Sekunde! Da saß er und schaute mich an. Ich hatte nicht mit ihm gerechnet, weshalb ich keinen kurzen Moment brauchte, um mich von seinem Blick zu lösen.
Hastig lief ich zu einem Tisch, der zwar weit weg von ihm war, aber ich ihn trotzdem noch im Blickwinkel hatte. Völlig in meinen Gedanken versunken, hatte ich meine heiße Schokolade vergessen, welche nun nur noch eine kalte Schokolade war. Ich nahm die Tasse in meine Hand und schaute zu dem Lockenkopf. Er saß nicht mehr auf seinem Platz, deswegen schaute ich mich heimlich im Café um, in der Hoffnung, dass er noch nicht gegangen war. Und dann lief er schon an meinem Tisch mit einer Bierflasche in der Hand vorbei. „Thea", sagte er mit tiefer Stimme und einem Grinsen im Gesicht. Auch ich konnte mir mein Grinsen nicht verkneifen und lachte schelmisch. Als er wieder an seinem Tisch saß, prostete er mir mit seiner Flasche zu. Dies erwiderte ich und riss mich aus seinem Blick.
Doch lange konnte ich mich nicht mehr auf meine Arbeit konzentrieren, denn der Mann am anderen Ende des Raumes war interessanter. Sein Hemd war an den Ärmeln aufgekrempelt und ich sah viele Tattoos. Ob er wohl noch mehrere hat?, fragte ich mich selbst. Ich stellte mir vor, wie sein Oberkörper übersät war mit verschiedenen Motiven und ich eines nach dem anderen genauestens begutachten würde. Mit meinen Fingern über seine nackte Haut fahren würde und ihm eine Gänsehaut verschaffen. Plötzlich hob er seinen Kopf und schaute ohne Verzögerung in meine Richtung. Ich versuchte es zu überspielen ihn so unverhohlen angestarrt zu haben, doch es war zwecklos. Er wusste mit Sicherheit, dass ich ihn schon länger anstarrte. Wieder blickte ich ihm in seine grünen Augen und fragte mich, wer sich hinter dem mysteriösen Mann verbarg. Es war unfair, dass er meinen Namen kannte, ich seinen dafür nicht. Er war der Erste der den Blickkontakt unterbrach. Er stand auf, brachte seine Flasche zur Theke und verließ das Café ohne sich umzudrehen.
Mit seinem Verlassen des Cafés löste sich meine Anspannung auf. Fast schon erschöpft ließ ich mich in dem gemütlichen Sessel zurückfallen. Ich würde ihn nur zu gerne kennenlernen. Da gab es eine Anziehung die nicht zu leugnen war, denn unter seinen so intensiven Blicken, fühlte ich mich fast schon wohl. Nicht einmal bei Max war dies so. Ich mochte ihn, doch war es nichts besonderes mit ihm. Mit dem tätowierten Mann schien das anders zu sein. Ich konnte es nicht beschreiben, doch früher oder später würden wir, hoffentlich, in ein Gespräch kommen. Die Frage war nur, wer den ersten Schritt wagen würde.
Ich trank noch den letzten Rest meines Kakaos und packte dann meine Sachen zusammen. Heute Abend wollten wir auch nicht ins Café Chaos zur Karaoke gehen, sondern einen gemütlichen Mädelsabend machen.
Doch was war, wenn er extra wegen mir heute Abend kommen würde und ich nicht da war?

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