Zuhause hatte ich mich wieder an meinen Arbeitsplatz im Atelier gesetzt und Theas Bilder bearbeitet. Das spontane Shooting war nicht nur sehr anregend gewesen, auch die Bilder waren atemberaubend schön geworden. Der laszive Blick, den sie nicht erzwungen hatte, sondern der so natürlich aus ihren Augen herausleuchtete. Die Lippen leicht geöffnet, oder zu einem breiten Grinsen geformt. Ich hatte ihre besten Eigenschaften auf Film festgehalten, unabänderlich, eingefroren in ihrer jetzigen Erscheinung. Während des Bearbeitens hatte ich mich verloren. Es war nicht viel zu ändern, da ich die Fotos so real wie möglich halten wollte, doch kleine Details mussten hervorgehoben werden. Immer wieder klingelte mein Telefon, doch ich ignorierte es. Egal wer es jetzt war, musste warten Selbst Thea persönlich könnte mich nun nicht aus meiner Arbeit reißen, dazu war ich viel zu sehr fasziniert und gefangen. Auch auf meinem Desktop ploppte immer wieder eine Benachrichtigung auf, die ich nach kurzer Würdigung wieder bei Seite schob. So mussten mindestens zwei Stunden vergangen sein, bis eine weitere Nachricht hereinrollte.
Sehr geehrter Herr Flynt,
wir freuen uns Ihnen mitteilen zu dürfen, dass Sie aus 1073 Fotografen ausgewählt wurden, um das Projekt „Kalender machen Leute" zu leiten. Ihre bisher sehr ambitionierten Arbeiten haben unseren Klienten sehr imponiert und ihre überaus professionelle Art hat ihr übriges getan. Wie in unserer Ausschreibung beschrieben, werden sie das 100 köpfige Team leiten, ihre Sets selbst bestimmten und über 24 Models verfügen, um den Kalender anzufertigen. Ihre Unkosten werden selbstverständlich für Sie getragen.
Wir bitten Sie um eine kurze Bestätigung unserer E-Mail, anschließend vereinbaren wir einen Termin zur Unterzeichnung des Vertrages. Ihren Flug in die Hauptstadt Brasiliens werden wir dann noch am selben Tag buchen. Ihre Unterkunft für das nächste halbe Jahr wird ein Hotel in Strand Nähe sein, in dem sie volle Verpflegung erwartet. Ebenso an jedem der ihren gewünschten Sets.
Wir freuen uns Sie in unserem Team begrüßen zu dürfen.
Susi Raider
Stellv. Geschäftsführerin
O. G. Q. – FotoentertainmentFür die nächsten Minuten lief mein Hirn auf Sparflamme, um die eingegangene Mail verarbeiten zu können. Ich hatte tatsächlich diesen oberhammermäßigen Job erhalten, für den ich mich vor vier Monaten beworben hatte. Ich hatte absolute Narrenfreiheit was Set und Leute anging. Letztlich ging es nur darum, dass ein Kalender für eine Firma der Automobilbranche entstand. Es sollte an den Pirelli-Kalender angelehnt sein und ich hatte nun die Chance, mich zu beweisen. Es wäre eine unglaubliche Erfahrung, es würde mich weiterbringen mit meiner Kunst und es wäre ein Abenteuer, das sich nicht oft im Leben bot. Abermals klingelte mein Telefon, doch ich war noch immer im Schockmodus, der die nächsten Tage erst einmal nicht vergehen würde, denn ich würde mein Leben die nächsten paar Tage neu organisieren müssen und dann für ein halbes Jahr Brasilien packen. In dieser Sekunde legte sich ein Schalter um und ich hätte am liebsten sofort mit den Vorbereitungen begonnen. Ich öffnete meinen Terminkalender, schrieb die Kunden an, die ich vertrösten musste, bot andere Kollegen zur Hilfe an, oder dass ich die Arbeiten in einem halben Jahr ausführen könnte. Mit den späteren Terminen hatte ich begonnen, die konnte ich mit einer E-Mail absagen, doch die Shoots, die die nächsten vier Wochen anstanden, musste ich telefonisch benachrichtigen, doch das würde ich auf Montag verschieben, wenn alle in ihren Büros saßen und die Chance zu reagieren hatten. Es war atypisch für mich, mir Zettel zu schreiben, mir darauf Dinge zu notieren, doch zum ersten Mal im meinem Leben hatte ich das Gefühl, dass mir eine Sache über den Kopf wuchs. Es war ein leichtes meinen Alltag zu gestalten, schließlich gab es nur mich und die meisten Shootings wurden mit strikten Vorgaben abgehalten, doch in Brasilien würde ich auf eigene Faust arbeiten, also musste ich jetzt lernen erwachsen zu werden und eine gewisse Ordnung in mein Leben bekommen. Als ich die Absage für den nächsten Kunden notierte, um ihm am Montag Bescheid geben zu können, stürzte die Vorfreude wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Theos Bandshooting hatte ich total verdrängt. Nicht nur, dass wir am Abend der Party nicht klären konnte, wie er sich das Shooting vorstellte, auch die Zeit mit Thea hatte mich davon abgelenkt. Noch in der Sekunde, in der ich an sich dachte, wurde mir das nächste Hindernis schlagartig bewusst – Thea. Das war einer der Gründe, warum ich lockere Treffen einer Beziehung vorzog, denn sie verkomplizierten nicht alles. Es war Sex, meist einmalig, der nichts bedeutete und der keinerlei Konsequenzen mit sich zog. Doch mit Thea war es anders gewesen, es war nicht nur Sex gewesen. Mit 16 war ich das letzte Mal mit einem Mädchen auf einem Jahrmarkt gewesen, was mich entweder zum Idioten oder zum Weichei machte und ich selbst war mir noch nicht sicher, was ich lieber sein wollte. Diese Sache, was auch immer es sein mochte, die ich mit Thea hatte, musste ich jetzt entweder vertiefen oder es abbrechen. Sollte ich wegen einer Frau meine Träume von Brasilien aufgeben? Sollte ich Thea aufgeben? Musste ich überhaupt jemanden aufgeben, oder konnte ich vielleicht doch beides unter einen Hut bekommen? So abgelenkt wie ich nun war, konnte ich nicht weiterplanen und als mein Handy ein weiteres Mal klingelte, nahm ich genervt an.
„Flynt."
„Junge, das hat ja ewig gedauert. Wo bist du, Alter?", dröhnte Jessies Stimme durch den Hörer.
„Zuhause. Was willst du?"
„Zuhause? Lass dir Eier wachsen und komm ins Café Chaos. Die Kassiererin ist echt ne harte Nuss und ich brauche einen Wingman. Wir sehen uns in 10 Minuten!" Und damit hatte sich jedes Widerwort erübrigt. Ich griff nach meiner Jacke und wählte gleichzeitig die Nummer eines Taxi-Unternehmens. An einem Abend wie diesem musste man sich einfach betrinken. Zu was auch immer ich mich entscheiden sollte, für jetzt war es nicht wichtig. Es zählte nur, wie viel Bier dafür sorgen konnten, dass ich nicht einmal mehr wusste, dass es ein Jobangebot oder Thea gab.
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Café Chaos
ChickLitEs begann mit unschuldigen Blicken, und endete in einer leidenschaftlichen Beziehung. Was als einmalige Begegnung zwischen der Studentin Thea und dem Fotografen Harry begann, wurde zu einem festen Ritual im Café Chaos. Jeden Donnerstag suchen sie e...