3. Kapitel

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Neben mir schrillte ein Wecker. Müde schubste ich ihn von dem Nachttischchen und er hörte sofort auf zu klingeln. Vorsichtig lugte ich über die Bettkannte. Hoffentlich hatte ich ihn nicht kaputt gemacht. Ich schälte mich aus meiner Bettdecke und schlüpfte in meine Hausschuhe. Ich zog den Vorhang zur Seite und Sonnenstrahlen fielen ins Zimmer. Ich schnappte mir mein Handtuch und mein Shampoo und spazierte zum Badezimmer. Auf dem Flur kam mir meine beste Freunden Julia entgegen und wir unterhielten uns über die Referate die heute in Geschichte vorgetragen werden würden. Besonders gespannt waren wir auf Lerrys Vortrag, die normalerweise nie redete. Ich glaube, ich hatte Lerry noch nie reden hören.

Julia und ich duschten und sangen dabei sehr laut und sehr schief. Doch das störte uns nicht, denn das Duschen und Singen war ein tägliches Ritual von uns. Nachdem wir uns abgetrocknet hatten, gingen wir frühstücken. Auf dem Weg schloss sich uns Tamara an, die erst seit diesem Jahr auf der Schule war, wir uns aber sofort gut verstanden hatten.

Als es zur ersten Stunde klingelte gingen wir zum Klassenzimmer indem wir Geschichte hatten. Der Raum füllte sich langsam und der Unterricht begann wie jeden Tag mit der Anwesenheitsliste. "Amy Windholz?", fragte Frau Grint. "Ja", sagte ich und hob meine Hand. Sie machte einen Haken neben meinen Namen und rief andere  auf. Doch ich hörte nicht zu. Genauso wie die meisten anderen. Überall wurde getuschelt und die, die in den vorderen Reihen saßen drehten sich immer wieder um. Frau Grint merkte das jedoch nicht.

"Lerry Kämpfe?"

Stille. Frau Grint hob den Kopf. Jetzt hatte auch sie es bemerkt. Die Klasse war mucksmäuschen still. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Frau Grint stand auf und ging zur Tür. "Ich werde zum Direktor gehen. Ich möchte keinen Mucks von euch hören."  Sobald unsere Lehrerin die Tür geschlossen hatte, plapperten alle auf einmal los. "Lerry hat noch nie gefehlt." "Ob sie krank ist?" "Bestimmt hat sie sich umgebracht." "Quatsch, die will sich nur vor dem Referat drücken!"

Stirnrunzelnd schaute Julia mich von der Seite an. "Da stimmt was nicht." Ich nickte nur. "Na los kommt schon, wir gehen zu ihrem Zimmer!", sagte Tamara aufgeregt. "Spinnst du? Das ist verrückt!", warf Julia ihr an den Kopf. Ich grinste nur schelmisch und stand auf. "Na los, worauf wartet ihr noch? Wir müssen doch nicht immer die braven sein, oder?" Julia stöhnte, stand aber ebenfalls auf. Die Klasse protestierte als wir aus dem Zimmer schlüpften. Doch wir ließen uns nicht beirren. Zu dritt schlichen wir uns durch die Schule. Es fühlte sich an wie in einem Bond-Film, wie wir geduckt von einer Ecke zur anderen huschten.

Vor Lerrys Zimmertür angekommen, wussten wir nicht genau was wir tun sollten. Tamara klopfte vorsichtig. Nichts geschah. Sie klopfte nochmal. Stille. "Was soll das??!" Erschrocken fuhren wir herum und ich fürchtete schon eine wütende Lerry, doch es waren eine wütende Frau Grint und ein seufzender Schuldirektor, Herr Grünewald. Frau Grint verdrehte die Augen. "Können Schüler nicht einmal das tun was man von ihnen verlangt?", fragte sie niemand bestimmten und rang die Hände. "Sie antwortet nicht.", sagte Tamara zu Herrn Grünewald. "Das ist ja nichts Neues.", murmelte er leicht ironisch. Er schritt an uns vorbei und klopfte an die Tür. "Lerry, würdest du bitte die Tür öffnen?" Nichts. Jetzt hämmerte Herr Grünewald gegen die Tür "Lerry Kämpfe!!"

Am Ende des Ganges , wo die Treppe begann, sammelten sich immer mehr Schüler, die langsam näherkamen, wobei sie erfolglos versuchten, so zu tun als ob sie sich brennend für die Bilder an der Wand interessierten, oder immer wieder auf die nicht vorhandene Uhr schauten. Julia verdrehte neben mir die Augen.

"Wir werden die Tür aufbrechen, wenn du nicht rauskommst!", rief Herr Grünewald verzweifelt. Keine Antwort. Lehrer drängelten sich zwischen den Schülern hindurch und schauten Frau Grint fragend an. Doch sie schüttelte nur den Kopf. Mittlerweile hatte sich die halbe Schule in dem Flur versammelt, und versuchte einen Blick auf die Tür zu erhaschen.

Der Direktor hämmerte mit den Fäusten gegen dir Tür, bis Frau Grint ihn schließlich zur Seite schob. "Das kann ja nicht so weiter gehen.", sagte sie mürrisch. "Ich habe schon der Köchin bescheid gesagt." Herr Grünewald runzelte fragend die Stirn, doch da öffnete sich eine Schleuse durch die Schülermenge und "Oh", und "Ach du  Scheiße"- Rufe wurden laut.  Katrina, die Köchin kam zwischen den Schülern hindurch, ein riesiges Fleischermesser in der Hand. Herrn Grünewalds Augen  weiteten sich geschockt. "Frau Grint, das ist nicht ihr Ernst!" "Doch! Es sei denn sie wollen die Feuerwehr rufen , damit sie die Tür aufbrechen können." Herr Grünewald seufzte resigniert und nahm das Messer entgegen.

Nach einigen Versuchen hatte er es tatsächlich geschafft, die Türklinke zu entfernen. Die Tür schwang einen Spaltbreit auf. Sofort drängelten sich die Schüler näher, um einen Blick in das Zimmer werfen zu können. Die Lehrer  schoben sie zurück. Tamara, Julia und ich standen immer noch neben dem Direktor und linsten jetzt gespannt ins Zimmer. Herr Grünewald öffnete die Tür ganz und ging hinein. Das Zimmer war leer, dass konnte ich sehen. Leer im wahrsten Sinne des Wortes. Keine Bilder an der Wand, keine Kleider auf dem Boden. Das einzige was auf einen Bewohner hindeutete, waren die Hefte auf dem Schreibtisch. Das Fenster war offen und der Vorhang wehte leicht hin und her. Es war kalt im Zimmer und das Bett war unberührt.

Ich wechselte einen besorgten Blick mit Julia. Tamara folgte Herrn Grünewald in das Zimmer und schaute sich genauer um. Auch Frau Grint und wir drängelten uns in den kleinen Raum. "Schaut mal hier!", rief Tamara auf einmal. Sie kniete am Boden und starrte auf etwas vor ihr, was ich nicht sehen konnte. Frau Grint bückte sich ebenfalls und sog scharf die Luft ein. "Was hat das zu bedeuten?"  Julia und ich stellten uns hinter Tamara, und da sah ich es auch. Im Schein der Sonne waren deutlich Fußabdrücke zu erkennen. Kleine Wasserpfützen, die sich schwer erkenntlich zu Schuhsohlen formten, die in Richtung Fenster führten.

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