15.02.2016
3 - Millionen
Mit gekonntem Griff drehte ich den Deckel wieder auf die Plastikflasche in meinen Händen. Meine Augen glitten dabei kurz auf den Bühnenboden und meine Füße. Ich hatte die falschen Schuhe an, wenn Lou das sah wäre das nur neuer Stoff bei dem sie sich erneut über mich aufregen konnte.
Das was so weh tat kam aus meinem Inneren, nicht von meinem Körper. Klar, der Schlag gegen die Wand hatte einiges bewirkt, aber das was mich wirklich quälte und so auf den körperlichen Schmerz anspringen ließ, war meine demolierte Seele.
Meine Gedanken diesbezüglich meines Schmerzes mussten weichen. Ich war in meinem Job, in meiner Arbeit und in meinem Element. Ich musste singen und mich darauf konzentrieren. Denn so wie ich jetzt nach bereits dem ersten Lied etwas getrunken hatte, hielt ich alles nur auf. Ich stellte die Flasche auf dem Boden ab. Ein Konzert war eine Show – hieß man musste auch eine abziehen.
Ich lächelte in die Kamera die mich auf die riesige Leinwand projizierte und winkte einmal. „Hallo Dublin!", die Menge tobte, sie schrien alle durcheinander. Ich zwang mich weiter zu lächeln und über meine pochende Schläfe hinwegzusehen. The Show must go on. Ein starres, unechtes Lächeln war den Fans doch lieber als eine Flappe. Hinterher konnte ich sowieso noch sagen, dass ich krank geworden war. Dann würde ich als der Held dastehen wenn das als Grund für mein aufgesetztes Lächeln bekannt gegeben wurden war.
Durch Arzt spielen zum Helden. Das klang mal nach einem guten Buchtitel oder einer kreativen Schlagzeile. Ein echtes Schmunzeln schlich sich diesmal auf meine Lippen. Ich drehte mich zu den anderen herum die in den wenigen Sekunden zwischen Best Song Ever und dem Umdrehen meinerseits angefangen hatten, mich verwirrt anzusehen. Ich nickte einmal um ihnen zu bestätigen, dass alles okay war. Mein Innerstes randalierte, mir kam die Galle hoch und ich würgte einmal. Wahrscheinlich interpretierte ich viel zu viel in die undefinierbaren Gefühle und den Drang das Mädchen kennen zu lernen, hinein.
Herzschmerz konnte kein körperliches Leiden auslösen. Das war absurd. Ich schüttelte über mich selbst den Kopf. Ich hatte eine Gehirnerschütterung. Daran musste es im Allgemeinen liegen. Meine Gefühle hingen lediglich mit der aufkommenden Verwirrung von der Gehirnerschütterung durch den Schlag gegen die Wand ausgelöst zusammen. Nur deswegen dachte ich, ich würde das Mädchen kennen lernen müssen. Nur deswegen konnten meine Gedanken nicht von ihr loslassen.
Meine Gedanken kreisten unaufhörlich um die Willensstarke Frau, die mir nicht ihren Namen verraten wollte, weil ich eine Gehirnerschütterung hatte. Das war der eigentliche Grund. Meine Arztspiele wurden immer besser und ich von mir überzeugter. Was ich dabei überspielte und in den Hintergrund schob war, dass es erlogen war.
Lügen war falsch, das sagte man uns jedenfalls andauernd. Tatsache war allerdings, dass Lügen eine Notwendigkeit war. Wir belogen uns alle immer und immer wieder selbst, weil die Wahrheit weh tat. Sie schmerzte und wir wollten sie nicht einsehen. Wir wollten Fakten nicht für wahr erachten, wenn sie uns verletzten. Reinster Selbstschutz.
Doch egal wie sehr wir versuchten all die Lügen aufrecht zu erhalten, die wir mit der Zeit wie eine Schutzmauer um unser selbst aufbauten – irgendwann brach dieses Konstrukt zusammen. Ignoranz und Verleugnung waren keine Lösung. Denn die Wahrheit kam immer ans Licht. Spätestens dann, wenn wir zu kraftlos waren die Lügenmauer aufrecht zu erhalten. Ob uns das nun gefiel oder nicht, so war es. Denn die Wahrheit über die Wahrheit war: Sie tat weh. Also logen wir.
Also belog ich mein selbst. Denn ich war nicht körperlich verletzt. Mein Ego war weit mehr angeknackst und das war es, was mich fertig machte. Getarnt als sei es körperlicher Schmerz wurde es erträglicher. Denn die Wahrheit schmerzte immer mehr als die vielen kleinen Lügen die man über die Lippen brachte. Mein Herz war ihr verfallen, in dem Moment indem sie mir in die Augen geschaut hatte. Und zu wissen sie konnte mich nicht leiden, brachte mich schier um den Verstand.
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Million Faces √ - Wattys2016
Fanfiction»Rastlos ließ ich meinen Blick durch die Masse vor der Bühne gleiten, während ich sang. Millionen von Gesichtern, verschiedene Facetten und doch waren alle gleich. Dann sah ich sie. Die Eine, unter Millionen. Sie stach völlig aus der Masse heraus u...