Unruhig rutschte Emma auf Lucs Schoß herum, sich wohl bewusst, dass es eine herzlich ungünstige Position war, um so herum zu zappeln. Er hatte sich lässig zurück gelehnt, sodass sie praktisch auf ihm lag.
Obwohl er wieder jede ihrer Grenzen, die sie eben noch so lautstark hinausposaunt hatte, überschritt, wusste sie, dass sie dies hier wahrscheinlich brauchten würde. Sie hatte die Angst - soweit es ging- aus ihren Gedanken gedrängt, aber was würde sein, wenn man sie damit konfrontierte ?
Es musste endlich Klarheit in diese so komplizierte und seltsame Situation kommen. Das reine Chaos schien in ihr zu toben - Angst, Verlegenheit und auf einmal auch Neugier gaben sich einen erbitterten Kampf.Stumm wartete Emma darauf, dass Luc endlich begann. Geistesabwesend hatte er ihre Hand genommen und drückte sie leicht.
„Du weißt doch, was gestern in der Gasse geschehen ist?" Bei der Erinnerung daran zuckte Emma zusammen, nickte aber unsicher. Luc wich ihren Blicken aus, was sie noch ungeduldiger werden ließ. „Die Männer, die uns gestern angegriffen haben, gehören zu einer Dämonengruppe, die schon seit Jahrtausenden versucht die Ordnung dieser Welt aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sie verachten die Menschen und verbreiten Leid und Angst zu ihrem Vergnügen. Wir kämpfen schon seit Urzeiten gegen sie."
Die plötzliche Verwirrung in Emma übernahm die Oberhand, bevor sie sich stoppen konnte unterbrach sie ihn. „Moment, warum bekämpft ihr sie? Ich meine du bist ein Dämon und warum solltest du gegen sie kämpfen, wenn ihr doch..."
Mitten im Satz stockte sie. Es schien ihr unmöglich ihren Gedanken laut auszusprechen. Luc konnte einfach keiner 'der Bösen' sein und Emma wollte und konnte es nicht glauben.
„Wenn wir was doch sind?", eine seltsame Bitterkeit lag in dieser trügerisch ruhigen Frage und Emmas Kehle schnürte sich zu. Wie erstarrt saß sie da und traute sich nicht ihn anzusehen. Als sie ihm nicht antwortet und sich das Schweigen immer weiter in die Länge zog, beantwortete Luc seine Frage selbst. „...das wir für das Böse, für das Leid und das Ende der Menschheit sind, meinst du das?", seine Stimme klang schrecklich müde, als wäre er es Leid die Worte auszusprechen. Emma hätte sich am liebsten selbst geschlagen. Wieso musste sie von einem Fettnäpfchen ins Nächste treten?
Zaghaft sah sie in sein Gesicht und was sie darin erkannte, ließ sie ihre eigene Unüberlegtheit ein weiteres Mal verfluchen. Er fuhr sich mit einer Hand über die Augen, die eine bodenlose Trostlosigkeit widerspiegelten und seufzte tief.
Lucs Stimme klang bei seinen nächsten Worten um einiges Rauer, verschiedene Emotionen schwangen darin mit.
„Auch dafür sind sie verantwortlich. Von Anfang an manipulierten sie die Sicht der Menschen auf uns. Töteten und quälten in unserem Namen. Brachten die Menschen dazu uns zu fürchten und zu Hassen. Wir wurden zu den Schatten vor denen sich alle fürchteten - zu den gestalten vor denen man seine Kinder beschützte. Dabei verehrten sie das wahre Grauen und die wahren Monster."
Ihr Inneres wand sich bei den Worten und sie hatte das Bedürfnis ihm Trost zu geben. Emma kam sich neben den unzähligen Jahren seines Lebens, wie ein dummes Kind vor. Er war um einiges mehr, als sie in ihm zu sehen geglaubt hatte. Sie erkannte, dass er mehr gesehen und verloren hatte, als sie sich je vorstellen könnte. Er besaß eine eiserne Stärke, die heute kaum ein Mann vorzeigen konnte und wollte, den mit dieser Stärke kam auch die Verantwortung und Bereitschaft alles für eine Sache zu geben - im Ernstfall auch das eigene Leben.
Genauso wusste sie, dass er ihren Trost wahrscheinlich nie annehmen würde – nicht, wenn sie es offensichtlich zu geben versuchte.
Emma schmiegte sich an ihn und zum ersten Mal wehrte sie sich nicht gegen die so extremen Impulse, ihm nahezukommen. Im nächsten Moment des Schweigens fragte sie vorsichtig nach: „Aber ihr habt es nicht? ... ihr habt niemals Menschen gequält, verletzt oder umgebracht?"Lucs Züge verhärteten sich und er blickte finster in die Ferne „Wir haben die Menschheit beschützt - haben unser Bestes getan , um das Übel und Leid , welches sie bedrohte, von ihnen Fern zu halten. Doch trotzdem mussten Menschen ihr Leben lassen, auch durch unsere Hand. Den Gefahren drohte nicht nur von dieser Dämonengruppe. Es gab auch viele andere Gruppierungen und wir konnten nicht überall zu jeder Zeit sein, außerdem gab es im Laufe der Geschichte einige Tyrannen und Monster in den Reihen der Menschen... um die mussten wir uns auch kümmern. Aber wir haben uns immer für das kleinere Übel entschieden."
„Wie kann es sein, dass die Wahrheit nie ans Licht gekommen ist? Eine so große Lüge kann man doch nicht geheim halten." , Ungläubigkeit schwang in Emmas Stimme mit, obwohl sie wusste, dass er ihr die Wahrheit sagte - etwas in ihr erkannte es einfach.
„Es ist um einiges leichter, als du denkst. Es wird immer ein Sündenbock gesucht, jemand der für das Unglück der anderen verantwortlich ist. Man muss nur einen Funken dazu legen und es wird zu einem ausgewachsenen Waldbrand. Die Menschen wollten immer ein Bild des Bösen und als es einmal bekommen hatten, hielten sie mit allen Mitteln daran fest. Machten es für ihre eigenen Schandtaten und Sünden verantwortlich und schmückten es immer weiter aus. Dieses Bild zu verändern ist daher unmöglich."
Seine silbernen Augen flackerten, als er wieder ihr Gesicht betrachtete und sanft über ihre entblößte Schulter strich. Aus einem Impuls heraus kam sie einer Berührung entgegen. Sie spürte, dass er es so sehr brachte, wie sie. Ihr schwirrte der Kopf von den neuen Erkenntnissen und Emma fragte sich , ob er wirklich so ehrenhaft sein konnte. "Ich weiß, es ist dumm zu fragen, aber ihr hab so viel auf euch genommen und da frage ich mich einfach warum? Warum das ganze? Warum beschützt ihr die Menschen?"
"Niemand hatte so etwas verdient, weder Menschen, noch andere Wesen. Und wir wurden gelehrt, dass jedes Leben einen Sinn hat. Die Menschen existieren, weil sie es müssen, genauso ist es mit uns. Sollte es eines Tages dazu kommen, dass auch der letzte Dämon aus der Welt verschwunden ist, dann würde alles aus dem Gleichgewicht geraten. Jedoch wissen wir nicht, was geschehen würde und hoffentlich wird das auch in Zukunft niemand erfahren müssen."
Emma hatte seinen Worten andächtig gelauscht und ließ sich alles nochmal durch den Kopf gehen. All das, wofür sie ihn vorher verurteilt hatte , war nun nichtig. Ihr kam der Kampf von gestern wieder in den Sinn und sie zuckte zusammen.
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Gefährliche Versuchung
RomanceEmma erwachte langsam aus der süßen Umarmung des Schlafes. Etwas wollte an ihr Bewusstsein dringen, doch sie schob es bei Seite und genoss noch die letzten Momente ihrer Benommenheit. (...)Als sie einen warmen Atem an ihrer Wange spürte, erstarrte s...