Kapitel 1

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Auf dem Schlachtfeld hätte man den Flügelschlag eines Schmetterlings gehört, wäre denn einer durch die blutgetränkte, dampfende Schneise geflogen, die der Kampf hinterlassen hatte, so leise war es. Ausnahmslos jeder Schattenreiter und Schattenhund, hatte die Augen auf das Geschehen gerichtet.

Cam stand Jatu regungslos gegenüber. Seine silbernen Augen blickten glasig in die des Alphadämons. Er bewegte keinen Muskel, blinzelte nicht einmal, aus Angst, die Fassung zu verlieren, wenn er sich aus seiner Starre lösen würde.

Der schwarze Dämon legte den Kopf schief und seine milchigen Augen schienen zu leuchten, wie dreckige Glühbirnen. Dann fing er leise an zu lachen. Es klang wie das Knarren alter Dielenbretter und Cam bekam eine Gänsehaut. „Du willst mir sagen, du hättest es nie geahnt? Nie vermutet?", krächzte Jatu, doch er bekam keine Antwort.

„Du denkst, alles was du kannst, alles was du bist, wäre Zufall? Ist es nicht. Deine Gabe, die Gestalt zu wandeln, wer besitzt sie noch?", fragte der Alpha und beantwortete nach einer langen Pause seine Frage selbst, indem er sich in einer fließenden Bewegung in ein Ebenbild von Cam verwandelte.

„Wir, Cameron. Die Dämonen. Du bist wie wir. Dein Vater hat uns erschaffen und dich auch. Nur bist du mächtiger als unsereins, weil deine Mutter noch dazu eine Schattenreiterin war. Du besitzt seine Macht, gebündelt mit der eines Schattenreiters. Doch nur dein Vater kann dir diese Macht wieder nehmen und deswegen werde ich dich zu ihm bringen, damit er dich töten kann!", zischte er mit einer Stimme, so kalt, dass sie in der Luft klirrte.

„Denn nur wenn er dich tötet, geht deine Macht an ihn über und ich kann sie mir von deinem Vater nehmen, in dem ich ihn töte. Nur so funktioniert es", gab er seinen Plan preis und näherte sich Cam langsam. Dabei verwandelte er sich in einen zerfressenen, riesigen Geier und bewegte sich hüpfend auf Cam zu.

Einzelne Federn hingen dem großen Vogel von seiner grauen Haut, die aussah, als wäre sie gerupft worden. Lediglich an den Flügeln waren genügend Federn, um den Vogel möglicherweise tragen zu können. Doch auch sie waren zerfranst und verschmutzt. Messerscharfe Krallen bohrten sich nach jedem Sprung in den Boden und rissen ihn auf.

Er kam Cam immer näher. Doch Cam bewegte sich nicht. Sein Sichtfeld war unscharf. Sein Körper wie versteinert. An seine Ohren drang kein Geräusch. Er war wie in Watte gepackt.

Da rissen ihn Schreie aus seiner Starre. Allison! Gehetzt sah er sich um und ignorierte den immer näher kommenden Geier. „Cam! Beweg dich! Was machst du denn?", schrie seine Gefährtin verzweifelt, die von mehreren Kriegern mit steinernen Minen zurückgehalten wurde.

Wut baute sich in seinem inneren auf. Wieso ließen diese Krieger seine Freundin nicht zu ihm? Und wieso hielten sie sie fest? Allison wehre sich immer stärker, doch die Krieger schlossen ihre großen Fäuste um ihre zierlichen Oberarme.

Sie taten ihr weh! Niemand tat seiner Gefährtin weh. Cam sah rot.

Er erlaubte dem Kribbeln in seiner Haut, die Oberhand zu übernehmen und kurz darauf zerriss es ihn förmlich. Mit einem animalischen Schrei landete er auf allen Vieren und visierte zuerst den überraschten Geier an.

Cam sah an sich hinunter. Er hatte Pranken wie ein Löwe, doch vor seinen Augen prangte ein großer Schnabel, wie der eines Adlers. Federn zierten seine Brust und gingen in sandfarbenes Fell über, das seine muskulösen Beine umgab.

Doch seine Gedanken richteten sich nur auf den Alpha, der wenige Meter vor ihm halt gemacht hatte. Er konnte sich noch später fragen, was er gerade verkörperte. Bedächtig setzte er seine Pfoten auf den unebenen Boden. Seine scharfen Augen visierten den verletzlichen, dünnen Hals des übergroßen Vogels an. Ein gezielter Biss und der Hals des Geiers würde nicht mehr länger an einem Stück sein.

Cam war angespannt, wie die Sehne eines Bogens, bereit los zu schießen und den Kopf des Geiers rollen zu sehen. Jatu erkannte anscheinend die drohende Gefahr und sprang krächzend rückwärts. Schließlich verwandelte er sich in seine eigentliche Gestalt und stellte sich breitbeinig und halt suchend hin.

Herausfordernd hob er seine schwarzen Arme und öffnete sie begierig. „Das ist es doch, was er will, Cam! Greif ihn nicht frontal an. Er wird dich entführen", rief Allison panisch. Sie schrie ihre Worte und ihre Stimme schallte schrill und panisch über die Anhöhe. Sie wand sich wie ein Fisch in den Armen der Krieger und schlug verzweifelt auf sie ein.

'Lasst sie in Ruhe', brüllte er wütend in seinen Gedanken. Durch seine Wut auf die Krieger war er einen Moment abgelenkt und höllische Schmerzen, begleitet von Allison's fassungslosen Schreien, holten ihn ins Hier und Jetzt zurück.

Wie dicke Seile, bewehrt mit Saugnäpfen, schlangen sich Jatu's Arme um Cam's Oberkörper und drückten ihn zusammen. „Hab ich dich", krächzte der Alpha in die Ohren seines Opfers. Cam krümmte sich vor Schmerzen und biss wild um sich. Seine Pranken holten immer wieder aus und schließlich erwischte er den Dämon.

Schwarzes Blut tropfte von Cam's ausgefahrenen Krallen, doch Jatu schien es nicht mal wahrgenommen zu haben, dass er verletzt wurde. Immer enger schloss sich die Umarmung und immer schlimmer wurden die Schmerzen.

„Er wird sterben!", schrie Allison außer sich und biss einen der Krieger in die Hand. Gleichzeitig trat sie dem anderen beherzt zwischen seine Beine. Dieser lockerte seinen Griff, während er sich keuchend zusammenkrümmte. Zusätzlich zu dem Biss, schlug sie dem übrig gebliebenen noch kräftig ins Gesicht.

Dann rannte sie mit tränen überströmtem Gesicht auf das Schlachtfeld und zog ein Messer aus ihrem Stiefel. Blitzschnell schleuderte sie es in Cam's Richtung und er schloss abwartend die Augen . Die Schmerzen benebelten seine Gedanken und er wurde leer. Machtlos. Hilflos. Seelenlos.

Kreischend lockerte Jatu genau in dem Moment seinen Griff, als Cam dabei war, sich aufzugeben. In einem letzten Aufbegehren, wand er sich aus den schmierigen Armen seines Gegners. Keuchend fiel er in seiner menschlichen Gestalt auf alle Viere.

Die Schmerzen waren unerträglich, doch mit jedem rasselnden Atemzug verflüchtigten sie sich. Zogen sich zurück. Ließen ihn mit seiner Schwärze allein. Warme, weiche Hände umschlossen sein Gesicht und er öffnete langsam die Augen. Das von Tränen nasse und gerötete Gesicht seiner Gefährtin erschien in seinem verschwommenen Blickfeld und sein Herz setzte einen Schlag aus.

Sie hatte ihn gerettet. Und ihr ging es gut. „Wo ist Jatu?", flüsterte er besorgt und rappelte sich keuchend auf. Allison stützte ihn und zeigte auf den Waldrand, wo in diesem Moment der Alphadämon in den Schatten der Tannen verschwand. „Mein Messer war mit den Tränen einer Sylphe benetzt gewesen. Es hat ihn schwer verletzt", erklärte sie und er sah sie erstaunt an. „Ich dachte diese Tränen wären so selten?" „Sind sie auch. Alanya hat um dich geweint", flüsterte Allison.

Wie aufs Stichwort kam die kleine Sylphe auf ihn zugeflogen und umarmte sein Gesicht. „Wehe ich muss nochmal um dich weinen", flüsterte Alanya und knuffte ihn gegen das Kinn. „Ihr zwei habt mich gerettet", sagte Cam leise, mehr zu sich, als zu den beiden. Dann sah er auf und suchte Allison's Blick.

„Du hast mich gerettet." „Gefährten, weißt du noch?", sagte sie liebevoll und strich ihm eine Strähne aus der Stirn. „Ich will dich nicht verlieren, Cam. Nicht jetzt und nicht in Zukunft." Ihre Worte wärmten ihn von innen heraus und er nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände. Bedächtig küsste er sie. Er legte all seine Dankbarkeit und Liebe in diesen Kuss und sie vergrub ihre Hände in seinen Haaren.

„Ich dachte, ich würde dich verlieren", wisperte sie an seinen Lippen und er spürte ihre warmen Tränen, die von ihren Wangen auf seine übergingen. „Shh nicht weinen. Du bist doch meine Löwin! Ich bin noch da und ich liebe dich", sprach er beruhigend und die Tränen hörten auf, sich ihren Weg zwischen ihren Gesichtern hindurch zu bahnen.

Plötzlich wurden sie unsanft auseinander gerissen und er fand sich einige Zentimeter über dem Boden strampelnd wieder. Zwei Krieger umfassten seine Oberarme und ihre kräftigen Finger schlossen sich eisern um seine Haut. „Was soll das?", rief er und bekam kurz darauf einen kräftigen Schlag in den Magen.

Würgend ließ er sich hängen und versuchte den sengenden Schmerz in seinem Bauch zu ignorieren. Allison schrie und spie wüste Beschimpfungen aus, doch ihre Stimme wurde immer leiser. Alarmiert sah Cam auf und bekam noch mit, wie seine zappelnde Freundin in ein naheliegendes Zelt getragen wurde.

The eyes of the shadows - VerstoßenWhere stories live. Discover now