Kapitel 10

279 23 11
                                    


Blendend weißes Licht umhüllte Z, nachdem die geheimnisvolle Stimme verklungen war. Durch seine zusammengekniffenen Lider bemerkte er eine Veränderung des Lichts und langsam öffnete er sie. Er stand in einem Zimmer. Seinem Zimmer.

Die gemusterte Tapete, deren Raketen und Planeten von Kinderkritzeleien ergänzt wurden und die Lampe in Form eines Astronautenhelmes. Blaue Vorhänge wehten im seichten Wind, der durch das offene Fenster strich, durch welches man die Vorgärten der Nachbarhäuser auf der anderen Straßenseite sehen konnte. Ein kleines Holzbett mit Superheldenbettwäsche auf dem sich ein Kuscheltier neben dem anderen aufreihte. Auf dem Boden lagen Bauklötze und Spielzeugautos verstreut und in der Ecke neben der mit Aufklebern verzierten Tür stand ein Schulranzen. Er war nagelneu.

Die verdrängten Erinnerungen pochten gegen ihr Gefängnis aus Verleugnung, welches er über die Jahre errichtet hatte. Sie traten, bissen und kratzten sein Innerstes wund. Schutzlos gegen den Krieg in seinem Inneren musste er seine Gefühle gewähren lassen. Sie nutzten seine Kapitulation und rissen die Mauern nieder. Die plötzliche Flut an Erinnerungen und Eindrücken, die ihn überkam, schnürte ihm die Luft ab.

Geschlagen kniete er sich hin und barg sein Gesicht in seinen Händen. „Ich will es nicht nochmal erleben", zischte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Junger Mann, es ist Zeit für's Bett. Du willst doch morgen nicht verschlafen an deinem ersten Schultag?" „Aber Mama..." Eine nörgelnde Kinderstimme, die ganz und gar nicht mit den Ansichten der Frau einverstanden war, meldete sich zu Wort. „Keine Wiederworte mein Schatz." Ihre Stimme war weich und beruhigend. So wie er sie in Erinnerung hatte. Und sein Herz blutete, bei dem Gedanken an sie.

Die Tür ging schwungvoll auf und da stand sie. Schwarze, lange Haare fielen ihr über die Schultern. In ihren zarten Armen trug sie einen kleinen Jungen. Er war seiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten mit seinen grünen Augen und den weichen Lippen. Seine Haare standen in alle Richtungen ab und sein Körper steckte in einem viel zu großen Schlafanzug. Er hatte ihn unbedingt anziehen wollen, weil er sich darin wie ein Astronaut fühlte, der eine wichtige Mission im Weltall zu erledigen hatte.

Liebevoll bettete die Frau den Jungen in sein Bett und deckte ihn bis zum Kinn zu. „Weißt du was? Du wirst einmal der beste Astronaut von allen sein, Zachary." Seine schmollenden Gesichtszüge wandelten sich in Sekunden in pure Verzückung um. „Meinst du wirklich?" „Da bin ich mir ganz sicher. Aber dazu musst du jetzt schlafen, damit du morgen nicht verschläfst und gut in der Schule mit machen kannst. Ein guter Astronaut muss erst einmal ein guter Erstklässler sein, mein Schatz."

Noch während sie sprach, hatte der kleine Zachary seine Augen geschlossen und schnarchte nun lauthals. „So?", flüsterte er zwischen zwei besonders lauten Schnarchern, bei denen er sich offensichtlich große Mühe gegeben hatte. Seine Mutter fing an zu lachen und drückte ihrem Sohn einen Kuss auf den Scheitel. „Ein wenig leiser vielleicht. Wir wollen doch nicht die Geräte der NASA stören."

Langsam stand sie auf und machte sich daran, das Zimmer zu verlassen. „Mami?" „Ja mein Schatz?" „Ich habe Angst vor der Schule." „Mein Kleiner, du brauchst vor nichts und niemandem Angst haben. Du bist mein starker Mann im Haus, weißt du? Du beschützt mich so oft vor Aliens und Spinnen. Ohne dich hätten sie mich schon längst gegessen." Mit diesen Worten drückte sie ihren Jungen an sich und begann ein Lied zu summen.

Z beobachtete die Szene und die Tränen bahnten sich brennend ihren Weg aus seinen Augen, seine Wangen entlang. Ein schmerzender Knoten in seinem Hals erschwerte ihm das Schlucken und er hatte Mühe, ein Schluchzen zu unterdrücken. „Ich kann das nicht noch einmal miterleben." Seine Mutter und der kleine Zachary sahen ihn unvermittelt an. „Das musst du aber. Es ist ein Teil von dir", sagten die beiden gleichzeitig, bevor sie sich wieder einander widmeten und sie ihr Lied weiter summte.

The eyes of the shadows - VerstoßenWhere stories live. Discover now