10| Anders als normal

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Carlos Sicht

Mit einem leichten Lächeln setzt ich mich wieder zu den anderen hin.
Ein paar verdutzte Blicke starren mich an.
Gekonnt ignoriere ich sie.
"Was hat Blöck gesagt?", fragt Tim.
Ich schnaufe auf und sehe durch die Runde.
Joe ist nicht da. Ich runzle die Stirn, denke aber nicht darüber nach.
Soll sie doch machen was sie will.
Immer kann ich auch nicht auf sie aufpassen.
Ich muss auch einmal an mich denken.
Schließlich werde ich auch nicht ewig leben und für sie da sein können.
Eigentlich ja schade.
"Er meinte nur, dass das Lied unangemessen war und das ich jetzt Nachsitzen muss", meine ich leise.
Die ganze Klasse muss es ja auch nicht gleich erfahren.
Tim nimmt einen Schluck aus seiner Cola und nickt dann.
Es wirkt alles so normal, wenn sie nur wüssten was im Moment in mir vor sich geht.
Sie würden mich nicht mehr schätzen. Nicht mehr zu mir auf schauen.
Die Mädchen würden gehen, kein Mensch wäre mehr für mich da.
Ich meine, wer will schon eine Person als Freund haben die Innerlich ein Frack ist?
Genau, richtig, niemand.
Deshalb helfe ich lieber den anderen aus unserer Gruppe und beleidige die Menschen von außerhalb.
So merkt man nicht das ich zerbreche .
Doch lange halte ich es nicht mehr aus.
Noch diese Woche, dann steige ich endgültig aus der Gang aus.
Tim wird der neue Anführer werden.
Bei diesem Gedanken zieht sich alles in mir zusammen.
Ich und Josi waren fast 6 Jahre befreundet und jetzt muss ich sie zurück lassen.
Aber meine Oma soll auf mich Stolz sein.
Ich will sie nicht enttäuschen.
Letztens war ihr Blick so leer gewesen.
"Junge du willst mir doch nicht sagen, dass du nicht weißt was du machen willst? Ich will doch stolz auf dich sein können. Du willst doch nicht ein Kiffer werden?" , sie hatte gelächelt, aber innerlich hat sie geweint.
Ich weiß es.
Ich kenne diesen Blick von Joe, sie hat ihn immer wenn sie am Abgrund steht und nicht mehr weiter weiß, aber Stark bleiben will.
Dieses verdammte Lächeln hatte ich ihr eine Zeit lang sogar abgekauft, aber dann wurde ich reifer.
Mit der Zeit lernt man dazu.
Man sieht das schlimme an der Welt und das zerstört die Illusion.

"Aber Mensch Carlo der Song war echt genial", sagt Markus plötzlich gänzlich überrascht.
Ich zucke mit den Schultern, bedanke mich für das Kompliment. Doch ich passe bei dem Gespräch nicht auf, mein Blick schweift durch den Raum und bleibt bei Josi stehen welche lächelnd auf uns zu kommt.
Schon wieder dieses falsche Lächeln.
Langsam schüttele ich meinen Kopf.
Diese Maske, die sie sich angefertigt hat wird nicht mehr lange halten.
Sie wird zerbrechen und wieder am Boden liegen.
So wie ich.

"Wo warst du so lange?", fragt Johannes, als sie sich neben mich setzt.
Sie antwortet schnell, so fällt die Lüge nicht so leicht auf.
Doch ich kenne sie zu gut. Dieses "Mir ging es nicht so gut", kaufe ich ihr nicht mehr ab.
"Können wir nachher noch reden?", frage ich sie und sehe ihr tief in die Augen, in denen ein paar Tränen glänzen.
"Klar"
Unwillkürlich starre ich ihr lange Zeit in ihre Augen. Sie fesseln mich richtig.
Diese wunderschönen blauen Augen.

"Willst du auch ein Lied singen?", fragt Frau Löser Josi und lächelt.
Ich schmunzele leicht.
Schon oft hat mir Joe erklärt, dass singen nicht ihr Ding ist.
Also ist diese Frage ziemlich unnötig.
Doch Joe wendet sich zu Löser, steht dann auf und nimmt das Mikro in die Hand.
Verblüfft sehe ich sie an.
Was passiert hier eigentlich?
Was macht sie jetzt?
Wirft sie jetzt ihr Prinzip auf den Haufen?

Unsicher stellt sie sich auf die Bühne, sieht zu uns und fängt dann an zu singen.
Es ist ein Englisches Lied mit viel Gefühl und erst jetzt bemerke ich wie schön ihre Stimme beim Singen doch klingt.
Einfach Hammer.
Die Stimmung im Raum schlägt um. Dieser Song ist viel zu Traurig um noch lachen zu können.
Nicht einmal Jojo lächelt ein wenig, als ich zu ihm hinüber blicke.
Ich sehe Tränen in den Augen von Chantal.
Jeder ist von der wunderschönen Stimme von Joe geflasht.
Sogar ich.
Gänsehaut kommt auf und sie hatte mir gesagt, dass sie nicht singen kann.

Der letzte Tackt spielt und sie senkt das Mikrofon, schaut auf den Boden.
Applaus ertönt und als Joe aufblickt, strahlt sie richtig.
So habe ich sie noch nie gesehen.
Sie scheint einfach wirklich glücklich zu sein und das ohne meine Hilfe.
"Zugabe", schreien einige.
Menschen, Leute, die sich nie mit ihr verstanden. Diese Menschen wollen sie jetzt noch einmal singen hören.

Doch sie schüttelt nur den Kopf und geht von der Bühne hinunter, setzt sich wieder zu uns, gegenüber von mir hin.
"Das war echt nice", meine ich und lasse meinen Blick auf dem Tisch ruhen.
"Danke"
Ihre Stimme, sie klingt so abweisend.
Mag sie mich den nicht mehr?
Oder nehme ich es einfach falsch war?
Doch als sie sich den anderen widmet stehe ich auf und verschwinde für eine Zeit an der Bar.
"Etwas starkes", murmele ich dem Barkeeper entgegen, doch dieser gibt mir nur eine Cola. Davor war es noch Vodka.
"Heute gibt's nur Cola"
Nur wegen Blöck.

Fremde [CroFf]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt