Louisé's POV
Das Telefon klingelt schon den ganzen morgen. Eingekuschelt in meiner Bettdecke gehe ich zu "Highway to Hell" ab, sodass meine Haare nur so durch die Gegend fliegen. Plötzlich mitten im Refrain bricht das Lied ab. Anscheinend hat das Sekretariat wohl aufgegeben mich ans Telefon zu holen. Ich erinnere mich an gestern zurück:
"Nach dieser Blutabnahme gehst du nach Hause. Morgen kommstbdu wie gewohnt zur Schule", hatte die hochnäsige Tusse erklärt und mich allein im Erdkunderaum sitzen lassen. Vergeblich habe ich versucht mich zu wehren, zum einem, weil ich mir nicht gefallen lassen wollte wie sie dort mit einem umspringen, zum anderen habe ich generell extreme panische Angst vor Blutabnahmen. Im Endeffekt hat diese Tusse, nachdem ich mich geweigert habe mich pieken zu lassen, mit einer sonderbaren Fernbedienung zwei Kerle anmaschieren lassen, nachdem mich der behandelne Artz umhilfe gebeten hatte. Da konnte ich mich austoben wie ich wollte, einer hielt meine Beine, der andere meine Arme. Das Einzige wozu mein Zappeln genutzt hat, war mir einen fetten Bluterguss um das Einstichsloch zu kassieren.
Lange Rede kurzer Sinn:
Die Leute können mich mal.
Ich streck mich und betrachte den Sonnenaufgang. Ob ich wohl noch Erdbeeren im Kühlschrank habe? Oder Trauben? Ich hätte ja voll Lust auf ein Müsli. Ich seufze.
Ich gehe zur Küche, sehe in den Flur und entdecke den Schatten durch das matte Glas der Eingangstür. Zu spät. Shit.
Schnell husche ich zurück in mein Zimmer, doch schon wird auf die Tür einghämmert. Fuck, fuck, fuck!
Ich raufe mir die Haare, ein Plan muss her! Woher wissen die überhaupt wo ich wohne? Ich schlage mir auf die Stirn. Idiot. Deine Schulakte mit all deinen Daten. Ich ziehe mir ein Sweatshirt an, eine bequeme Jeans und stopfe etwas zu essen, zu trinken, Geld, meinen Schlüssel und mein Handy in die Tasche. Im vorbei gehen kralle ich mir noch meinen Spraybeutel mit meinen Farben und stelle die automatische Weiterleitfunktion des Telefons bei der Ladestation ein.
Ich öffne das Fenster über meinem Bett und höre nochmal in den Flur. Das Klopfen hat aufgehört. Lange Zeit bleibt es still, dann auf einmal kracht es mehrmals an der Tür und auch Gebrüll ist zu hören.
Vor Schreck wäre ich fast aus dem Fenster gefallen.
Kurzerhand kletter ich aus dem Fenster auf das alte Gerüst der Feuerschutzleiter. Ich muss mit irgenwas das Fenster schließen oder so aussehen lassen als wäre es zu... Am anderen Ende der Hauswand hängt eine alte Plastiktüte am Geländer. Die Tüte ist dünn und reißt wahrscheinlich schnell aber es wird reichen.
Ein alter Nagel ragt aus dem Fensterrahmen und das andere Ende der Tüte hake ich unter die Fensterbank. Dann höre ich wie die Tür drinnen aufgebrochen wird. Ich muss weg!
Schnell kletter ich die Feuerwehrleiter herunter und renne die Gasse entlang.
Erstmal verstecken, leider gibt es nur einen Ort wo ich das kann.
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Ich sitze in der Ecke der Garage und beobachte die anderen bei der Arbeit. Ich selbst bin noch zu unruhig, um mit zu helfen. Es fiel mir schon schwer genug die Tasse von Thomas entgegen zu nehmen, ohne dass er mein Zittern mitbekam. Mein Herz schlägt noch viel zu schnell vom Adrenalin. Auf die Frage warum ich so abgehätzt aussehe, antwortete ich nur mit einem beleidigten "Danke auch" und seitdem sitze ich hier. Währenddessen haben Ed und ich kein Wort gewechselt, dass haben wir seit Heilig Abend nicht mehr. Ich habe die ganze Zeit seinen Blick gesehen, ihn gespürt wie eine Brandnarbe im Gesicht, aber ich wollte mich nicht mit den Fragen herumschlagen, die dann kommen müssten:Er:Warum gehst du nicht ans Telefon.
Ich:Weil du dann unangenehme Fragen stellst.
Er:Welche denn?
Ich:Genau das meinte ich.
Er:Warum redest du nicht mit mir?
Ich:Weil du wahrscheinlich was für mich empfindest.
Er:...
Ich:Ja...Ungefähr so würde das Gespräch ablaufen, jedenfalls bin ich mir da ziemlich sicher. Dann würden wir uns wohl anschweigen, er würde dann irgendwann doch fragen, ach, und ich müsste dann die Böse sein, ihm das Herz brechen, nebenbei unsere Freundschaft ruinieren.
Also nope. Kein Gespräch bevor diese Spannung weg ist, die wir seit Heilig Abend zwischen uns haben.
Zwei schwielige grobe Hände legen sich auf meine Schultern. Das plötzliche Gewicht schleudert mich aus meinem Tag-Albtraum und ich sehe in Dave warme braune Augen. "Kleines, was ist los? Du siehst jämmerlich heute aus."
Ich schnaube mit der Nase und makiere die Zicke, obwohl ich das ungern tue, so bin ich nicht.
David setzt sich neben mich und säubert seinen Schraubenschlüssel an einem öligen Tuch.
"Wir machen uns sorgen. Du bist normalerweise die Erste an einem Auto. Du bist so still und in dich gekehrt auf einmal. Als..."
Er zieht langsam meine Hand von meinem Arm. Meine Nägel sind Blut verschmiert.
"... als hättest du gewaltig' Angst."
Er winkt jemanden zu und ich starre entsetzt auf meinen Arm, den ich blutig gekratzt habe. Ich habe es noch nicht mal bemerkt.
"Shit!", höre ich jemanden fluchen, sehe aber nicht auf. So viel Blut. Mein Atem wird schneller und flacher.
"Ganz ruhig!" Ich spüre Davids festen Griff um meine Schulter.
"Louise, schau weg"
Es geht nicht! Mein Blick ist wie fest gefroren, dabei versuche ich es doch wirklich!
"Hier, verbinde sie. Ich lenke sie ab"
Es ist Ed. Seine Hände packen mein Gesicht. Wir starren uns gegenseitig in die Augen.
"Beruhig dich. Seh nur mich an"
Er betont jede einzelne Silbe und verleit ihnen damit einen gebieterischen Nachdruck, der kein Nein duldet. Seine Sturm-Augen wollen Zuversicht ausdrücken, aber auch ich sehe die Nervosität in seinen Augenwinkeln.
Mein Atem wird langsam ruhiger.
Er kniet sich auf den Boden, ich folge ihm mit meinen Augen und drückt meine frei Hand.
"Fertig", verkündet David. Ich seh auf meinen Arm runter, wo nun ein strahlend weißer Verband ist.
"Danke", hauche ich. David tätschelt mir den Kopf beim aufstehen und humpelt mit dem Restverband davon. Unschlüssig steht Ed vor mir, als wüsste er nicht was er sagen soll, oder ob er das Etwas sagen sollte.
"Ich hole dir was zu trinken."
"Danke", sage ich noch, aber das hat er schon nicht mehr gehört.
Die Klospülung wird betätigt und Thomas kommt aus dem Klo. Verwirrt sieht er mich an.
"Was ist mit dir passiert? Plötzlich so blass und- woher hast du den Verband?"
Ich wollte gerade zu einer Antwort ansetzten, da klingelte es an der Tür. Thom sieht mich mit dem typischen gleich-reden-wir-weiter-Blick an und geht wiederwillig zur Tür.
Hektisched Gemurmel kommt von der Tür. Ed kommt mit einem Glas Wasser zurück und deutet nickend zur Tür. "Was ist los?"
Ich nehme ein paar Schluckwasser.
"Ich weiß nicht."
Thomas kommt zurück und im Schlepptau zwei Polizisten.
"Louisé Grubenbrück?", fragt der eine bevor er richtig im Raum steht. Fuck. Gefunden.
"Ja?"
"Sie sind noch schulpflichtig, dürften wir sie bitte zur Schule begleiten?"
Ich seufze, drücke Ed mein Glas in die Hand und er stützt mich beim Aufstehen bis ich sicher stehe.
"Danke", flüster ich.
"Ruf mich an", flüstert er zurück in mein Ohr. Dann gehe ich aus der Tür und steige ins Auto, ohne auf die Bullen zu warten.
---
Es ist fünfte Stunde. Ich bin müde, hungrig und scheiße schlecht gelaunt. Links und rechts neben mir stehen Mädchen aus verschieden Jahrgängen und treiben ihre Hysterien gegenseitig in die Höhen oder ignorieren es total, darüber dass sie an einem Sondertest teilnehmen dürfen.
Bisher habe ich nur eine vernünftige Person gefunden, die dem allem misstraut, aber nun wie ich sie mir jetzt so ansehe, scheint sie mir doch gar nicht mehr so vernünftig, sondern eher paranoid.
Mit einem Emo-Pony und fiese fettigen Haaren sieht sie ekelhaft aus, ja, aber paranoid, nicht wirklich. Stattdessen ist es ihre Angewohnheit alles zu belauschen, es erst zu glauben, es dann zuverdrehen und einen tieferen Sinn dahinter zu suchen. Ihr Name ist Hanna und sieh kaut gerne an ihren Nägeln.
Da stehe ich also in der Sporthalle und ausgerechnet sie! Sie muss mir gegenüber stehen.
Ich fletsche mit den Zähnen und balle meine Fäuste. Das ist das Mädchen mit dem sich Chris gestern so ausgiebig unterhalten hat. Sie schaut sich verstohlen in der Turnhalle um und scheint nach etwas oder jemanden Ausschau zu halten. Wohl eher jemanden und ich muss mir auf die Lippe beißen, um nicht viele böse Schimpfwörter loszulassen.
Plötzlich bleibt der Blick von Blondie an etwas hängen. Es ist die Tusse. Mit Kittel und Klembrett steht sie am Rand der Halle mit strengen roten Dutt und langen Hacken an den Versen.
Ich erinnere mich an ihre süffisante Begrüßung, als die Polizisten mich ins Schulgebäude brachten.
Oh wie ich diese Schlampe hasse.
Anscheinend hatte die Polizei nichts dagegen, dass man Versuche an Minderjährigen gegen ihren Willen macht.
Sie klopft vorsichtig an ein Mikro.
"Also, meine lieben Teilnehmer, das ist der letzte Test für heute. Wir haben euch in vierer Teams eingeteilt und ihr werdet nun Basketball spielen jedes Team drei mal. Ich weiß ihr seid kaputt und es tut uns wirklich leid",-sicher nicht-, "euch an eure Grenzen zu treiben. Genießt es und tut einfach so als ob ihr im Unterricht spielt."
Damit geht sie zu den anderen Forschern auf ein Podest mit provisorischen Schreibtischen und Laptops. In der Ferne sehe ich einen kleinen Typen herumlaufen und Chips mit Nummern verteilen. Irgendwann kommt er auch zu mir und ich bekomme eine grüne sieben.
Grimmig starre ich durch die Gegend. Dann patscht mir plötzlich jemand einfach auf den Kopf.
"Hey, Prinzessin. Wieder einmal verlaufen?"
Lachend fahre ich herum und umarme ihn kräftig.
"Woah, nicht so stürmisch! Louise",
lacht Chris und erwidert die Umarmung. Dabei drückt er auch auf meine Wunde und ich jaule auf. Verwirrt sieht er den Arm an.
"Was hast du denn da gemacht?", er sieht mir nun direkt in die Augen als wollte er mich durchschauen, "Was ist passiert?"
Der ganze Stress kommt mit einem Mal hoch und Tränen sammeln sich in meinen Augen, ich versuche sie weg zu blinzeln, als unser drittes Teammitglied angehopst kommt. Ein kleiner Sechsklässler. Wir sind also das Team sieben.
Die Tusse meldet sich wieder zu Wort.
"Zuerst spielen Team sieben und Team drei."
Als Team drei uns dann auf dem Feld gegenüber steht, kann ich mein Glück kaum fassen.
Chris, Sechsi und ich gegen Hanna, einer Fünftklässlerin und Blondie.
Oh Blondie, du bist tot.
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Forever Young
Mystery / ThrillerEs ist diese Flüssigkeit, die unsere Gene nicht altern lässt und uns für immer jung hält. Diese eine Flüssigkeit nimmt uns unsere Zukunft und gibt uns eine Neue. Elisabeth und Louisé zwei Mädchen, die unterschiedlicher nicht sein können, werden zum...