Kapitel 8

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Louisé's POV

"Gut" Herr Goldberg schlägt sein Erdkundebuch zu und nimmt seine Lesebrille ab. "Es wird in einigen Minuten ein Feueralarm losgehen. Keine Panik, es ist bloß eine Übung", er faltet seine Hände zusammen und schaut uns durch seine fältrigen Lider an, "Ich erwarte, dass ihr auch benehmt, wie sich es für einen Elfer Kurs  gehört."
Dann klopft er auf meinen Tisch vor ihm und ich schreck von meiner Zeichnung hoch. "Auch du, Louisé"
Eigentlich mag ich Herr Goldenberg, er ist wirklich ein netter, von den ganzen älteren Lehrer, aber sobald wir im Buch zu arbeiten beginnen schalte ich ab. Vielleicht nicht das Schlauste, wenn man direk vor dem Lehrer sitzt. Ich kratz mich verlegen am Kopf und Goldi schielt lächelnd zu mir.
Dann geht wie erwartet der Feueralarm los. "Jasmina, mach die Fenster zu. Ich nehme das Klassenbuch und Nick? Mach bitte das Licht aus. Kommt, auf geht's, raus!" Goldi schickt uns alle raus und schließt die Tür ab.
"Ihr wist ja wo ihr hin müsst. Also hop!" Gerade als ich mit Hannah weggehen will, meldet sich er nochmal. "Louisé? Würdest du bitte nochmal hier bleiben? Ich muss mit dir etwas wegen deinen Fehltagen besprechen."
Fuck, genau. Da war ja was. Ich habe vergessen, die Entschuldigungen einzureichen.
"Ja, Ok", sag ich zu Goldi und sehe Hannah entschuldigend an. Sie schüttelt nur gespielt den Kopf und lächelnd davon.
Etwas nervös reibe ich mir die Hände. Es ist schon Wochen her, dass ich das letzte Mal geschwänzt habe. Die Entschuldigungen sind mehr als fällig.
"Was ist denn, Herr Goldberg?"
Er steht im Profil zu mir und sein sonst so sonniges Gemüt ist verschwunden, stattdessen sehe ich  in seinen kummervollen Züge mehr denn je, wie alt er doch wirklich ist.
Ich schätze ihn auf fünfzig, vielleicht fünfundfünzig?
Er fährt sich mit der Hand durch sein dünnes graues Haar.
"Louisé, es geht nicht um deine Fehltage. Es geht um was anderes, über das ich mit dir sprechen möchte."
Die Sirene dröhnt über uns hinweg.
Er sieht mir in die Augen und da ist Sorge. Ich verschrenke die Arme und sehe Goldenberg verwirrt an.
Jetzt hat er mir umsonst Schiss eingejagt.
"Was ist es denn?", frage ich herausfordernd uber den Lärm der Sirene hinweg. Herr Goldberg lehnt sich an die Wand und schaut ein paar vorbei laufenden Schülern nach, bis sie um die Ecke gelaufen sind.
"Wenn du gleich zu den anderen gehst, wird dich der Schulleiter abholen. Wir Lehrer wurden darüber informiert, dass ihr, also du und ein paar andere Schüler,  für Testzwecke freigestellt werdet-für heute-, in den nächsten Tagen fällt dann die Schule aus." Er legt die Hände auf sein Gesicht und atmet tief durch, ehe wieder auf sieht. "Ich weiß nicht wofür die Test sind, wer sie macht. Als ich versucht habe mehr heraus zu finden, hatte man mir bloß versichert, dass diese Tests "harmlos" seien und mir ansonsten mit einer Versetzung gedroht."
Sein ernster Blick wird weich und er schenkt mir ein zaghaftes Lächeln.
"Du bist einer meiner Lieblingsschüler, Louisé. Ich möchte, wenn irgendwas ist, egal was, dass du zu mir kommst. Ich traue dem Ganzen nicht. Sie versuchen mit allen Mitteln was geheim zu halten."
Zögerlich nicke ich. Die Informationen sickern in meinen Kopf wie zäher Honig. Das hört sich viel zu sehr nach einem merkwürdigen Mysterie-Thriller an als mein dümpelhaftes Leben.
"Ich versteh das nicht ganz...", stammel ich, aber Goldenberg unterbricht mich als eine Klasse in den Gang einbiegt. Er deutet mir voraus zu gehen und folgt mir.
"Ich verstehe das Ganze doch auch nicht. Aber wir haben keine Zeit mehr."
Wir kommen auf dem Sportplatz an und gehen zu dem Kurs.
"Louisé?"
"Ja?"
"Du kannst immer zu mir kommen, denk dran."
Ich lächele ihn an. Er ist zu recht mein Lieblingslehrer.
"Danke"
Ich stelle mich etwas abseits von den anderen hin und fliege mit meinen Augen über die Menge. Jetzt, da ich allein bin, explodieren die Fragen nur so in meinem Kopf.
Was ist das für ein merkwürdiger Test?
Warum muss dieser so pingelig geheim gehalten werden?
Oder warum muss extra ein Feueralarm ausgelöst werden?
Und warum bin ich eine der Testpersonen? Ich habe mich für nichts bereit erklärt.
Irgendwo in der Menge entdecke ich den Schulleiter gefolgt von Schülern verschiedensten Alters. Einige fünf Klässler hüpfen hinter ihm her, auch aus dem sechsten und siebten Jahrgang sind einige vertreten, die Meisten aber scheinen aus dem zehnten, elften und zwölften Jahrgang zu sein.
Der Schulleiter geht gerade zu einer zehnten Klasse und sammelt dort ein blondes Mädchen auf. Gerade als sich die Truppe wieder in Bewegung setzt, entdecke ich Chris. Heute trägt er ein an den Ärmeln hochgekrempeltes Shirt mit  T-shirt darunter und eine verwaschene Jeans statt dem Santakostüm. Bei dem Gedanken an unserem letzen Treffen muss ich schmunzeln, aber meine Laune schlägt schlagartig um, als ich sehe wie sich Blondie und Chris gegenseitig angaffen.
Er kennt sie doch gar nicht und trotzdem sieht er sie so an.
Plötzlich steht Herr Robenfeld vor mir.
"Fräulein Grubenbrück, kommen sie bitte mit?"
Einen Moment stehe ich perplex da, dann verschränke ich bockig die Arme.
"Wofür?", belle ich.
Der Schulleiter sieht mich überraschd an, als hätte er so eine Reaktion nicht erwartet.
"Wir haben ein paar Fragen an Sie", antwortet er ungerührt.
"Welche Fragen?"
"Welche, die die Öffentlichkeit nichts angehen."
"Fragen, die die Öffentlichkeit nichts angehen, aber an die dreißig Schüler?", konter ich.
Robenfelden rümpft die Nase und ein dünner Schweißfilm wird bei der wachsenden Aufmerksamkeit der umstehenden Schüler sichtbar. Selbst die aufgedrehten Fünftklässler haben aufgehört zu toben und hören unserem Gespräch zu.
"Sie sollen bloß bei einem Gesundheitstest teilnehmen, ist das zu viel verlangt?!"
Seine Brust bebt, seine Nasenflügel blähen sich auf und eine leichte Röte bedeckt seine Wangen. Aber das alles ignoriere ich, während ich immer wieder zu Blondie und Chris schiele, die ein Gespräch führen und alles um sie ausblenden.
"Was für einem Gesundheitstest?", frage ich einfach stumpf.
Als ich auf Chris' Augen starre, fällt mir sein Blick auf. Diesen habe ich immer nur bei Ed gesehen, wenn wir uns getroffen haben. Besitzergreifende Sturm-Augen blitzen in meinen Erinnerungen auf und mir wird mulmig.
"Mein Gott, jetzt reichts!", brüllt Herr Robenfeld und packt mich am Arm.
"Hey, hey!", fauche ich ihn an, "Nicht anfassen! Ich komme ja schon mit."
Mit einem vernichtenden Blick geht der Schulleiter zu meiner Linken und sammelt, die restlichen Schüler ein, die nach meinem Gespräch sich nicht trauten irgendwas zu erwidern. Mit einem traurigen Blick über die Schulter quittiere ich, dass bis zum Schluss Chris von allem nichts mitbekommen hat. Selbst seinen sonst so zuverlässig Großen-Bruder-Job hat er wegen diesem Mädchen vernachlässigt. Wird er sich jetzt überhaupt noch für mich interessieren?

Forever YoungWhere stories live. Discover now