Kael ist nicht mehr neben mir, als ich aus meiner Trance erwache.
Er steht am Fenster, die Hände zu Fäusten geballt. Sein ganzer Körper wirkt angespannt.
Die Türklingel geht und ich schrecke hoch. Wer will uns denn an diesem Abend besuchen? Wer will jetzt mit uns reden?
"Ich geh schon.", krächze ich und setze mich langsam in Bewegung.
In mir tobt ein Sturm.
Was soll das?
Wieso sollen nun Sieger zurück in die Arena? Sie haben versprochen, dass wir sicher sind.
Doch waren wir jemals sicher?
Waren wir überhaupt diejenigen, die in Glück und Zufriedenheit lebten?
Erst jetzt wird mir klar, dass das Kapitol immer und überall Macht über mich hat. Ich bin niemals allein gewesen und schon gar nicht in Glück und Zufriedenheit.
Das habe ich in einem Jahr lernen müssen.
Viel zu spät, wie mir jetzt bewusst wird.
Ich öffne unsere Haustür und Enobaria stürmt freudestrahlend an mir vorbei.
"Hast du das gehört? Das ist der absolute Wahnsinn! Spiele mit Siegern! Wir können endlich beweisen, dass Distrikt 2 der Distrikt ist, in dem die wahren Sieger leben. Aus unserem Distrikt kommt der Sieger über die Sieger!", ihre Stimme überschlägt sich beinahe. Sie scheint überhaupt nicht zu sehen, dass ich alles andere als begeistert von dieser Idee bin.
Wie kann sie sich über eine solche Nachricht freuen?
Sie kennt doch dann all ihre Gegner. Sie kennt die Menschen, die sie töten soll. Das verändert doch alles.
"Du freust dich darüber?"
"Natürlich! Das ist die Chance dem Distrikt für immer und ewig Ruhm und Ehre zu bringen. Wenn ich mir nur vorstelle wie sehr das Kapitol den Sieger über die Sieger feiern wird. Das wird der prunkvollste und glanzvollste Sieg aller Zeiten! Ich muss sofort zu Brutus und mit ihm reden. Ich bin sicher er wird genauso begeistert sein wie ich!", quietschend vor Freude umarmt sie mich kurz und saust dann wieder zur Tür hinaus.
Wie erstarrt blicke ich auf die Straße, von der aus Enobaria nun zu Brutus ging.
Ich kenne ihn und weiß, dass er mit Sicherheit auch einen Reiz darin sieht, gegen die Besten der Besten anzutreten um sich zu beweisen. Doch ob er sich letztlich wirklich dazu bereit erklärt in diese Spiele zu ziehen weiß ich nicht.
Mein Herz schlägt mir bis zum Hals als mich eine Erkenntnis trifft.
Ich werde nicht zurück in die Spiele gehen.
Ich nicht, denn Enobaria wird gehen.
Sie wird jeden töten, der sich ihr in den Weg stellt.
Enobaria ist diejenige, die in die 75. Hungerspiele ziehen wird.
Ich bin sicher.
Plötzlich geben meine Beine unter dem Gewicht meines Körpers nach und ich knalle auf die Knie.
Ein Schluchzer nach dem anderen dringt aus meiner Kehle hervor und ich breche mitten auf dem Fußboden zusammen. Der Schock über die Nachricht der diesjährigen Spiele und gleichzeitig die Erleichterung darüber, dass ich nichts zu befürchten habe treffen aufeinander und überlasten mich völlig.
Ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen und weine einfach hemmungslos, bis Kael mich hochhebt und zum Sofa trägt.
Ruhig lässt er mich in die Kissen sinken und nimmt mich in den Arm, während er beruhigende Worte in mein Ohr flüstert, bis ich gar nichts mehr fühlen kann und irgendwann einschlafe.
Am nächsten Morgen wache ich mit einem Ruck auf und hoffe darauf, dass alles nur ein Traum gewesen ist. Doch natürlich war es kein Traum.
Das 3. Jubeljubiläum wird das Leben von 23. Siegern fordern.
23 Sieger, die ich vermutlich alle kenne, werden sterben.
Nur einer wird überleben und zurück in seinen Distrikt kehren.
Nur einer.
"Konntest du wenigstens einigermaßen gut schlafen?", höre ich Kaels Stimme von der Tür aus und drehe mich zu ihm um.
Er hält ein Tablett in den Händen, welches mit einer Tasse Kaffee und einigen Broten gefüllt ist. Ich nicke und lächle ihn dankbar an.
"Ich weiß, dass ich sicher bin.", flüstere ich und er sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
"Enobaria wird gehen. Das hat sie gestern sehr deutlich gemacht."
Kael nickt, doch sein Blick verrät mir, dass er längst wo anders ist.
"Wenn du dich gewaschen hast und fertig gegessen hast, gehen wir ein bisschen spazieren. Du brauchst dringend frische Luft um deinen Kopf frei zu bekommen.", er sieht mich durchdringend an und ich weiß, dass er mir etwas sagen will. Etwas, das ich bis jetzt übersehen habe.
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Reva Scott 3 - Die 75. Hungerspiele
FanfictionNach den 74. Hungerspielen scheint sich alles zu verändern. Plötzlich wehren die Menschen in den Distrikten sich, lassen sich nicht mehr alles gefallen. Während es in vielen Distrikten Aufstände gibt, verhält sich Distrikt 2 eher ruhig. Bis Kael...