Chapter 6

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Ich ging in den Flur und umarmte May kurz. "Komm rein. Ich hab frischen Chaitee und selbstgebackene Kekse im Wohnzimmer stehen." "Gerne. Moment, ich ziehe mir kurz die Schuhe aus.", sagte sie, zog die Schuhe aus und stellte sie neben meine. Wir gingen ins Wohnzimmer und setzten uns aufs Sofa. Ich goss den Tee ein und bot ihr einen Keks an. Sie wies ihn dankend ab, ich zuckte kurz mit den Schultern und griff in die Dose. "Du hast es hier echt schön", sagte sie und nippte an ihren Tasse. "Ftimmt fon", sagte ich mit dem Keks im Mund, was ich sofort bereute, denn ich verschluckte mich an den Krümeln. May lachte kurz und hustete ebenfalls. Lachend und hustend klopften wir uns gegenseitig auf den Rücken, bis wir uns nach und nach beruhigten und wieder atmen konnten. May räusperte sich und nahm noch einen Schluck Tee. "Der ist echt lecker. Welcher ist das?" "Ein Kirsch-Chaitee.", sagte ich und nahm ebenfalls einen großen Schluck. "Du sagtest eben, dass du noch etwas für mich hast?" Sie nickte, griff in ihrer Handtasche und holte ein kleines Päckchen hervor. "Dies wurde für dich hier abgegeben...ich glaube, das ist von einem Freund von dir..." Ich betrachtete das weiße Päckchen und erkannte, dass auf der einen Seite eine Falkenfeder geklebt war, wie sie Satoshi immer im Haar hatte. "Ja, das ist wirklich von einem Freund...", sagte ich und betrachtete es genauer. Aber warum sollte Satoshi hier ein Paket abgegeben, wenn ich doch gerade erst in seinem Laden war...Habe ich vielleicht etwas vergessen...? Was könnte nur drin sein... In meinen Gedanken versunken betrachtete ich das Päckchen und bekam nicht mit, dass mich May ansprach. "Yume?! Erde an Yume?!", sagte sie und winkte vor meinem Gesicht, um mich wieder ins hier und jetzt zurück zu holen. "Ähm...was? Oh, danke." Ich legte das Päckchen beiseite und schaute sie an. "Kann ich dir noch etwas anbieten?", fragte ich sie, doch sie schüttelte kurz mit dem Kopf. "Nein, danke. Ich muss jetzt auch schon wieder los, meine Schicht beginnt gleich wieder." Wir standen auf und ich begleitete sie zum Aufzug. Sie zog sich die Schuhe an, betrat den Aufzug und winkte mir zu. "Tschüss Yume und danke für den Tee." "Kein Problem, May. Bis die Tage!", sagte ich und winkte ihr zu. Dann schlossen sich die Türen und der Aufzug machte sich auf den Weg ins Erdgeschoss.
Ich lief zurück ins Wohnzimmer, nahm das Tablett mit dem Teeservice und ging in die Küche, um das Geschirr zu spülen. Mein Blick wanderte immer wieder zu dem weißen Päckchen, welches im Wohnzimmer auf dem Boden lag und meine Gedanken zu dem Bild in der Taschenuhr. Schnell stellte ich das Geschirr zurück in den Schrank und ging wieder zum Sofa. Ich setzte mich im Lotussitz hin und griff nach dem Päckchen. Während ich es betrachtete, ruhte es in meinem Schoß und ich sah, dass es abgesehen von der Feder keine Hinweise auf Absender oder Empfänger gab. Vorsichtig öffnete ich das Päckchen und stoppte. Was soll das? Irgendwie gefällt mir das nicht... Das Päckchen war mit pechschwarzem Samt ausgefüllt und in der Mitte lag ein hellblauer Umschlag mit dem gleichen filigranen Rankenmuster wie auf der Taschenuhr. Das ist nicht von Satoshi...definitiv nicht... Mit zitternden Händen nahm ich den Umschlag von dem Samt und drehte ihn um. Der Brief war mit einem blauen Siegel verschlossen und ich konnte in den Ranken die Letter WL erkennen. Abgesehen von meinem Namen, der in einer schönen, geschwungenen Handschrift auf der Vorderseite des Umschlags stand, gab es keine Hinweise zum Absender außer dem Siegel. Wofür steht WL...? Und was wollen die von mir...? Ich atmete nochmal tief durch und öffnete den Umschlag. Das Siegel zerbrach und hellblauer Staub flog um mich herum. Seltsam...wie ist das möglich? Erstaunt wendete ich den Blick von dem Staub und schaute zurück zum Brief. Das Siegel war komplett weg! Nichts deutete darauf hin, dass da ein Siegel vorher war. Verwundert nahm ich dem Brief raus und schaute nochmal kurz auf den Umschlag, bevor ich ihn entfaltete und betrachtete. Der Text war in der gleichen geschwungenen Handschrift geschrieben wie mein Name auf dem Umschlag. Ich wanderte den Wörtern hinterher und begann zu lesen:

Fräulein Yume,

Es wäre mir eine Ehre, wenn Sie der Wonderland Corporation beitreten und damit das Erbe Ihrer Eltern antreten würden.
Ich weiß, dass Sie unter dem Verlust ihrer Eltern immer noch leiden, würde ich mich freuen, wenn ich Sie finanziell unter die Arme greifen könnte und möchte Ihnen somit eine Ausbildung in der Firma anbieten. Ich haben Sie seit geraumer Zeit beobachtet und bin an Ihren Fähigkeiten sehr interessiert.

Falls Sie noch Fragen haben, melden Sie sich bei mir persönlich.

Mit freundlichen Grüßen

Caterpillar Absolem

P.S. Mc Twisp würde sich freuen, wenn er seine Taschenuhr wieder bekommen würde.

Mc Twisp ist doch der Typ gewesen, der bei Satoshi im Laden war...Ich drehte den Brief wieder und wieder um, suchte nach Hinweisen auf den Absender oder der Firma, fand aber nichts, weder auf den Brief noch im Päckchen. Meine Gedanken kreisten um Satoshi und seinen offensichtlichen Verrat, denn nur er wusste, dass ich die Uhr hatte. Satoshi würde mich aber nicht verraten... Da fiel mir wieder die Zeile ein. Ich hob den Brief vom Tisch auf und laß ihn abermals. Als ich bei der Zeile angekommen war stoppte ich und ging sie nochmal durch. Ich haben Sie seit geraumer Zeit beobachtet und bin an Ihren Fähigkeiten sehr interessiert... Wer ist er? Warum spricht er von meinen Eltern? Und welches Erbe soll ich antreten? Meine Gedanken rasten im Kreis und mir wurde leicht übel. Ich legte mich auf das Sofa und ließ den Brief zu Boden fallen. Damit ich von dem Licht nicht geblendet wurde, bedeckte ich meine Augen mit einem meiner Arme und blieb so liegen, bis die Übelkeit langsam nachließ. Während ich den Arm von meinen Augen nahm und mich langsam  an das Licht wieder gewöhnte, bemerkte ich, dass der hellblaue Staub nicht mehr in der Luft war. Ich hab Durst und mir ist immer noch etwas schlecht...ein Glas Wasser...Wasser... Als ich mich aufrichtete, um wie ein Zombie in die Küche zugehen, fiel mein Blick auf den hellblauen Satz, der auf meinem Fußboden stand:

The Gates of Hell are the Entrance of the Wonderland

Welcome To My WonderlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt