Stöhnen und Grunzen ertönte aus der kleinen Kammer, nur ganz leise war ihr Wimmern zu hören.
Stille Tränen liefen über Chardas Gesicht als ihr Hausherr ihr die Kleider zu warf.
"Zieh dich an, Dreckstück!", schrie der schwitzende Mann während er sich an ihrem Leid ergötzte.
Mit zittrigen Fingern zog sich das Mädchen ihre Uniform an.
"Geht das nicht schneller, scheiß Flüchtlichgschlampe?"
"Entschuldigen Sie, Herr Müller", unterwarf sich Charda. Sie hatte den Blick abgewandt und band sich ihre Schürze um.
Schnell befestigte sie die pechschwarzen Strähnen im Dutt, die sich gelöst hatten und huschte aus der kleinen Kammer, die ihr Zuhause war. Herr Müller folgte ihr provokant und ergriff ihren Arm. Grob zog er sie zu sich. Seine blauen Augen starrten kalt in die ihren: "Du weißt, dass es dir hier viel zu gut geht?"
Scheu nickte das dunkelhäutige Mädchen, darauf bedacht dem Blick des kaltherzigen Mannes auszuweichen.
"Dann beweg deinen Arsch in die Küche. Meine Frau kommt bald nach Hause und hat es verdient, dass das Essen auf dem Tisch steht."
Energisch stieß er das Mädchen von sich weg. Charda stolperte beinahe und flüchtete sich schnell in die Küche, um den aggressiven Anfällen ihres Hausherrn zu entfliehen.Mit Mühe unterdrückte das Mädchen ein Schluchzen als sie den Schweinebraten ins Rohr schob. Das Sauerkraut köchelte leise vor sich hin und Charda deckte gewissenhaft den Tisch für ihre Peiniger. Gutes Silberbesteck und drei Teller aus filigran verzierten Porzellan legte das Mädchen in perfekten Abständen auf das weiße Tischtuch.
Der Fernsehr hallte aus dem Wohnzimmer: "Unsere Soldaten an der Front kämpfen tapfer... Ein weiterer Sieg wurde errungen... Einundfünfzig Flüchtige und vierundreißig Systemverweigerer werden heute in Wien am Heldenplatz öffentlich hingerichtet..."
Die Stimme der Moderators erlangte freudige Euphorie als er über die Hinrichtungen sprach.
"Charda, hast du das gehört? Einundfünfzig deinesgleichen werden heute umgebracht. Solltest besser nicht weglaufen sonst geht es dir gleich", der blauäugige Mann lachte höhnisch.
"Und jetzt bring mir was zu trinken. Ich bin durstig!"
Charda strich ihre Schürze glatt und füllte einen Krug mit Wasser. Sie nahm sich ein Silbertablett, stellte den Krug und ein Kristallglas darauf und ging ins Wohnzimmer. Der Plasmafernseher flimmerte und ihr Herr saß entspannt im Ledersessel.Darauf bedacht das Bild nicht zu verdecken, stellte Charda das Glas und den Krug auf den kleinen Beistelltisch. Als sie wieder gehen wollte, riss sie die Hand ihres Herrn zurück. Herrisch ergriff er ihr Gesicht und zwang sie damit in seine kalten Augen zu sehen.
"Siehst du wie gut du es hast! Du könntest schon lange tot sein, wenn ich dich nicht gekauft hätte."
Verzweiflung schlich sich in Chardas Gedanken und sie wünschte sich, sie wäre tatsächlich eine der einundfünfzig. Ihre peinvolle Odyssee würde heute Nacht endlich ein Ende nehmen.
"Was stehst du da noch so dumm herum? Dreckige Araberin!"
Charda ging zurück in die Küche und dekorierte die Abendtafel mit blauen Kornblumen.Als Frau Müller nach Hause kam, nahm Charda ihr die Jacke ab und brachte die Schultasche des Jungen ins Kinderzimmer. Die Familie setzte sich an den Esstisch und genoss das Essen, welches Charda gekocht hatte. Charda selbst stand stramm in der Ecke, ihre Uniform ordentlich gerichtet und eine Weinflasche in ihrer Hand. Immer wenn ein Glas sich leerte, schlich sie zum Tisch und schenkte nach. Ihre einzige Hoffnung war es dabei nicht zu viel Aufsehen auf sich zu lenken.
"Wie war es in der Schule, Lukas?", wollte der Vater wissen.
"Sie haben heute einen der Lehrer abgeführt", antwortete der Zwölfjährige.
"Warum das?", fragte die Mutter neugierig.
"Er war anscheinend ein Systemverweigerer. Es soll etwas gesagt haben wie Ausländer und Neger seien auch Menschen."
"Gut das dieser verdammte Gutmensch weg ist. Am besten richten sie ihn heute gleich mit hin", meinte der Vater emotionslos.
"Apropos Hinrichtung. Ich werde heute hingehen, Schatz. Mein Redakteur hat angerufen, wir werden morgen einen großen Bericht darüber bringen."
Die brünette Frau lächelte ihren Mann an: "Kein Problem. Ich freue mich schon darauf den Bericht zu lesen."
Der kleine Lukas schaute auf: "Hoffentlich machen wir diesen Bericht morgen im Unterricht durch. Wir haben morgen wieder Politische Heimaterziehung. Mein absolutes Lieblingsfach."
Der Junge grinste und sein Vater war sichtlich stolz einen so schlauen Jungen zu haben.
Einer nach dem anderen legte das Besteck nieder und Charda bemühte sich die Teller sofort wegzuräumen, doch die Hausherrin unterbrach ihrer Tätigkeit: "Wein, Charda! Hörst du schlecht? Wein für mich und meinen Mann!"
Schnell schenkte das verunsicherte Mädchen den beiden ein. Irritiert sah Herr Müller zu seiner Frau.
"Wir haben etwas worauf wir anstoßen müssen", erklärte die Frau während sie ihr Glas erhob.
"Ich werde befördert. Es ist nur eine kleine Beförderung. Frau Graf die bis jetzt Abteilungsleiterin von 'N2: Nationale Kultur und kulturelle Erhaltung' war, ist in den Ruhestand gegangen. Jetzt werde ich ihren Posten übernehmen."
"Das ist ja toll, mein Schatz", meinte der Mann und wollte bereits anstoßen, doch seine Frau wich mit ihrem Glas zurück.
"Das ist noch nicht das Beste. Zu meiner Angelobung wird er kommen. Er persönlich", strahlte die Frau.
"Hans-Christoph Schönberger kommt persönlich?", fragte der Mann ungläubig.
"Ja, tatsächlich. Im ganzen Nationalen Staatssekretariat wird es drei Angelobungen geben und HCS wird persönlich vorbei kommen um zu gratulieren."
"Das ist wirklich ein Grund zum Anstoßen. Ich freue mich so für dich, mein Engel", meinte der Mann.
Klirrend stießen die Gläser zusammen und Freudentränen zierten das Gesicht der Frau.Als die Hausherrn weiter ins Wohnzimmer gezogen waren, begann Charda aufzuräumen. Ihre Peiniger erlaubten es ihr die Reste zu essen, doch sie aß kein Schweinefleisch. Ihr Magen knurrte erbärmlich als sie die mageren Überreste des Sauerkrauts auf aß. Sie spülte das Geschirr und räumte die Küche auf, der Tisch bekam ein neues Tischtuch und das alte wurde gewaschen, sie bügelte die Wäsche und schrubbte den Boden. Während sie all ihre Aufgaben gewissenhaft verübte, hörte sie wie Herr Müller das Haus verließ. Charda wusste, dass er zur Hinrichtung gehen würde. Sie wusste auch, dass am nächsten Morgen ein makaberer Bericht in der Zeitung stehen würde, verfasst von ihrem Hausherrn. Charda wurde übel als sie daran dachte, dass fünfundachtzig Menschen sterben würden, nur um Macht durch Handeln zu demonstrieren.
Sie beendete ihre Aufgaben und ging in ihre Kammer. Sie war todmüde, doch sie kniete sich in Richtung Mekka auf den kleinen Teppich vor ihrem Bett. Sie legte den Kopf auf den Boden und betete leise.
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2038: Wenn Die Welt Untergeht
Science Fiction2038: Österreich und Deutschland haben sich wieder vereinigt. Der dritte Weltkrieg ist ausgebrochen und Sklaverei und öffentliche Hinrichtungen stehen an der Tagesordnung. Der neue Führer und seine Armee wollen diesen Krieg für sich entscheiden und...