Kapitel 10

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"Charda, ist mein blaues Cocktailkleid eingepackt?", wollte Frau Müller von ihrer Leibeigenen wissen. 
Charda stand zwischen dem üppigen Reisegepäck und versicherter ihrer Herrin, dass sich das Kleid im grünen Koffer befand: "Ich habe Ihnen auch noch andere Abendbekleidung eingepackt, damit Sie eine Auswahl haben."
"Gut. Wir werden in etwa zwei Stunde aufbrechen. Es wäre nett vor der Abreise noch einen kleinen Brunch einzunehmen. Ebenfalls möchte Arnold noch mit dir reden bevor wir fahren. Ich sage ihm, du wirst nach dem Brunch zu ihm kommen."
Mit gesenkten Blick nickte Charda und machte sich sofort auf den Weg in die Küche. Schnell bereitete sie ein paar Kleinigkeiten zu. Sie machte Rührei mit Speck, Arme Ritter und eine kleine Käseplatte mit Trüffelhonig. Sie arrangierte alles auf dem großen Tisch und stellte noch eine Karaffe mit frisch gepressten Orangensaft dazu. 

Als die Müllers aßen, stand Charda ruhig in ihrer Ecke. Die Hände hatte sie hinter ihrem Rücken verschränkt und ihre Uniform war sorgfältig glatt gestrichen. Fast wirkte Charda wie eine zierliche Statue weil sie so bewegungslos und still da stand. Aber der Schein trügte, denn innerlich brodelte es in Charda. Sie hatte die letzten Tage keinen Schlaf gefunden. Sie war zu aufgeregt. So eine Chance würde sich ihr nicht noch einmal bieten. Deshalb hatte sie die letzten Tage mit Planen statt mit Schlafen verbracht. Sie trug alles zusammen was sie wusste und versuchte daraus schlau zu werden. Leider wusste Charda nicht viel. Sie hatte dieses Haus zu lange nicht verlassen und sie wusste nicht ob es irgendwo Unterschlupf für Menschen wie sie gab. 
Sie wusste, dass sie durch ihre dunklere Haut wahrscheinlich auffallen würde. Deshalb wäre es vermessen zu glauben, die Flucht würde einfach werden. Charda war durchaus bewusst, dass sie für eine erfolgreiche Flucht einen guten Plan brauchte, aber um nach der Flucht nicht sofort wieder in ein Sklavenlager zu kommen, brauchte sie Glück. Sie brauchte Verbündete, doch sie hatte keine Ahnung, wo sie diese hernehmen sollte. Ja, sie wusste ja nicht einmal, ob es überhaupt noch Menschen gab, die sich mit einem dunkelhäutigen Flüchtlingskind solidarisieren würden. Zwar hatte Charda trotz all ihrer traumatisierenden Erfahrungen noch Hoffnung, dass es auch gute Menschen geben würde, doch sicher sein konnte sie nicht. Im Gegenteil, wenn man die Fakten betrachtete, war es eher unwahrscheinlich auf gute Menschen zu treffen. Von allem was Charda wusste, wurden guten Menschen ebenso bestraft und ermordet wie Ihresgleichen. Sie wusste nicht woher sie ihre Hoffnung nahm, sie wusste nur, dass das Gegenteil ihrer Hoffnung die Hoffnungslosigkeit der letzten Jahre war. Und diese Hoffnungslosigkeit könnte sie nicht weiter ertragen. Sie könnte einfach nicht länger in dieser Hölle bleiben, denn selbst der Tod erschien ihr als erbarmungsvoller Verbündeter. Der Tod war keine Hoffnung von Charda, aber falls ihr die Flucht nicht gelingen sollte, war der Tod eine Alternative. Ein Verbündeter, der das Leid zumindest in Nichtigkeit auflösen würde. Sei wollte Leben, aber der Tod war immer noch besser als dieses Leben...

"Räum den Tisch ab, und dann komm zu mir ins Büro", befehligte Herr Müller seine Sklavin. 
Charda tat wie ihr geheißen und räumte mit flinken Fingern alles weg. Sie machte ihre Arbeit gewissenhaft, auch wenn sie die letzten Tage nicht bei der Sache war. Ständig dachte sie darüber nach, wie genau sie ihre Chancen zu entkommen steigern könnte. 

Als sie ins Büro kam, saß Herr Müller mit dem Rücken zu ihr. Sie tätigte ein kleines Klopfen am Türrahmen um ihm unaufdringlich ihre Ankunft mitzuteilen. 
Herr Müller drehte sich nicht um und sagte: "Mach die Tür hinter dir zu."
Sobald die Tür ins Schloss gefallen war, drehte sich Herr Müller um und schaute Charda in die braunen Augen.
"Eine Woche ist ein lange Zeit. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich dir Vertrauen kann."
Zögernd und unterwürfig meinte Charda: "Ich kann Ihr Misstrauen verstehen, aber ich würde Sie nicht hintergehen, Herr Müller."
"Ach, ist das so?", fragte Herr Müller rhetorisch und schaute dabei kurz auf die Uhr.
"In fünfzehn Minuten kommt unser Fahrer und bringt uns zum Railjet. Wenn ich dir vertrauen kann, sag mir doch, wie wir diese Minuten verbringen sollten. Was meinst du, kleine Araberin?"
Herr Müller schmunzelte dabei und veränderte seine Sitzposition auffällig.
Charda wusste was er wollte, denn das wollte er ständig. Normalerweise hielt er sich aber zurück wenn seine Frau da war. Diese sollte nicht wissen, dass Herr Müller es liebte sich an Charda, einem Flüchtlingskind, zu vergehen. 

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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 03, 2018 ⏰

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