Kapitel 2

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Maria arrangierte die weißen Nelken sorgfältig in der Vase und zündete die rote Kerze an, die einsam neben den Blumen stand. Mit feuchten Augen starrte Maria den Grabstein an:

Markus & Katharina Schweiger
geb. 1990 gest. 2035

Es war der dritte Todestag ihrer Eltern und der Schmerz durchbohrte ihr Herz noch immer wie am ersten Tag. Sie war damals auf der Uni als sie die Nachrichten im Radio hörte: "Gutmenschen rebellieren gewaltsam gegen das Regime; Beamte der Nationalen Sicherheit gingen bewaffnet gegen die Systemverweigerer vor. Fünfzehn Rebellen fanden dabei den Tod."

Die Bilder die darauf hin im Fernsehen gezeigt wurden, verfolgten Maria noch heute in ihren Träumen. Die Ringstraße vor dem Parlament war mit Menschen überfüllt gewesen und die Beamten der NS gingen in voller Kampfausstattung auf die Demonstranten los. Schreie erfüllten die Straßen und die 'Gutmenschen' versuchten verzweifelt zu fliehen, doch die NS Beamten schlugen und schossen auf die Leute ein. Es gab hunderte Verletzte und fünfzehn Menschen mussten sterben, darunter Marias Eltern. Sie wurden von einem Beamten zu Tode geprügelt. Marias Mutter starb noch vor Ort, ihr Vater erlag im Krankenhaus den schweren Verletzungen.

Eine leise Träne bahnte sich den Weg über Marias Wangen und fiel sanft auf den Grabstein. Bevor der Schmerz unerträglich wurde, wandte sich Maria ab. Sie legte drei Finger auf ihre Lippen und gab ihnen einen salzigen Kuss. Liebevoll legte sie die selben Finger auf den Grabstein und ging schnellen Schrittes zurück zu ihrem Auto. Ihr beiger Trenchcoat flatterte dabei grazil im Wind.

Maria hielt das Erbe ihrer Eltern in Ehren. Sie hatte sich vorgenommen das weiter zu führen, was ihre Eltern und Tausend andere begonnen hatten. Doch das Risiko war hoch; wurde man erwischt galt man als Systemverweigerer und die Zelle im Arbeitslager oder der Tod wartete auf einen. Maria war allerdings bereit dieses Risiko einzugehen. Sie konnte nicht einfach ruhig dasitzen und abwarten bis alles endlich zu Ende war. Sie war bereit für ihre Ideale und gegen all die Ungerechtigkeiten zu kämpfen.

Wer eine Revolution will, muss alles auf eine Karte setzen; was das anging war Maria sich sicher. Die NS Beamten saß ihr bereits im Nacken, das Internet und alle Sozialen Medien wurden strengstens überwacht und zensiert, die Möglichkeiten Widerstand zu leisten waren begrenzt, doch Maria würde sich davon nicht aufhalten lassen. Sie stand auf der Liste der NS Behörde nur weil ihre Eltern sogenannte Gutmenschen waren. Maria hatte seit ihren Tod keinen Finger gerührt und trotzdem wurde sie regelmäßig überwacht. Doch nun war es an der Zeit aktiv gegen HCS und sein Terror-Regime vorzugehen.

Maria hielt es einfach nicht mehr aus, Arbeitslager, Sklaverei und Hinrichtungen zur öffentlichen Belustigung. Sie wollte kein Mittäter sein, sie wollte lieber sterben als ein Teil dieses menschenunwürdigen Ganzen zu werden. Es war an der Zeit!

Durch die Heckscheibe warf sie einen letzten Blick auf das Grab ihrer Eltern, danach startete sie entschlossen den Elektromotor und fuhr los. Auf halber Strecke merkte sie, dass ihr wieder ein blauer Volkswagen folgte, aber sie wollte ihn nicht abhängen. Gemächlich fuhr sie nach Hause, der Motor ihres Elektroautos summte dabei unmerklich. Sie stellte den Wagen in die Einfahrt und ging zum Haus. Im Augenwinkel merkte sie, wie der blaue Wagen gegenüber parkte. Die Scheiben waren verdunkelt, doch sie wusste dass NS Beamte darin saßen. Unbeeindruckt schlenderte sie durch die Haustüre, die sie sorgfältig hinter sich verriegelte. Ordentlich hing sie ihren Trenchcoat auf die Garderobe und ging entschlossen in ihr Büro, welches durch die zugezogen Vorhänge im mordrigen Licht erstrahlte. Maria schaltete den Laptop ein und das grelle Licht erleuchtete das dunkle Zimmer.

2038: Wenn Die Welt UntergehtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt