Faith kam es vor wie in Zeitlupe. Asha fiel zu Boden und regte sich nicht mehr. Was war passiert? Was hatte sie getroffen? Oh Gott, bitte lass sie nicht tot sein! Faiths Schritte wurden langsamer, sie ignorierte die Templer, die immer näher kamen. Sie wollte nur zu Asha und sehen, ob sie noch am Leben war. Doch als sie stehenblieb packte sie jemand am Arm und zog sie weiter. Kurz stolperte Faith hinterher, wollte denjenigen anschreien, sich losreißen und zurückrennen. Doch da erreichten die Templer Asha bereits, sodass Faith stumm blieb und nach vorn sah. Kadir war es gewesen. Er hatte sie mitgezogen, und das trotz seines verletzten Arms. Faiths Blick war glasig und abwesend. Sie bekam ihre Umwelt kaum noch mit. Sie starrte perplex auf den Boden, der nun wieder mit einer dünnen Schicht Schnee bedeckt war. Ihre Beine rannten wie von selbst, auch als Kadir sie wieder losgelassen hatte. Die Geräusche um sie herum schienen von weit weg zu kommen. Es war alles nur noch dumpf und grau. Nach der Wut und dem Entsetzen kam die Gleichgültigkeit. Die Abwesenheit.
Die restlichen Assassinen waren aus Synva entkommen. Der Schneefall hatte nicht zugenommen, jedoch schien es auch nicht mehr aufzuhören zu schneien. Keiner der Assassinen freute sich über ihr Entkommen. Es herrschte bedrücktes Schweigen. Jeder wusste, dass sie gute Männer verloren hatten. Die, die im Gefängnis zurückgeblieben waren. Die, die in den Straßen Synvas umgekommen waren. Ebenso bedrückend war das Wissen, dass zwei Novizen, die noch halbe Kinder gewesen waren, ihr Leben gelassen hatten. Und niemand wusste, was diesen Knall verursacht hatte. Das Schweigen der Gruppe ließ das Ganze aussehen wie einen Trauermarsch. Und es war nichts anderes. Faith starrte ins Leere. Es war wie verflucht. Ihr Vater war gestorben, ihr Onkel war gestorben, ihre Mutter und ihre Tante waren Gefangene und nun war vermutlich sogar ihre Schwester tot. Konnte es noch schlimmer werden? Die Ordensmitglieder sah sie längst auch als Brüder und Schwestern an, sodass jeder tote Assassine wie ein Stich im Herzen war. Nun war es doch passiert. Sie hatte Gyth dazu überredet, diese Mission zu erlauben, und nun hatte sie mehrere Leben auf dem Gewissen. Es war ein schreckliches Gefühl.
Irgendwann kamen sie im Dorf an, wo sie sich ein paar Pferde nehmen konnten. Inzwischen waren die Schneeflocken kleiner geworden, jedoch waren es so viele dass es fast schon Nebel glich. Die Sicht war stark beeinschränkt, sodass die Assassinen nicht schnell reiten konnten. Erst als die Wolken aufrissen, der Schneefall sich verringerte und der Mond die winterliche Landschaft beleuchtete, kamen sie dem Hauptquartier näher. Ein beunruhigendes Gefühl hatte sich unter die Gruppe gemischt. Was war im Quartier passiert, solange sie weg gewesen waren? Gar nichts? Oder hatten die Templer nur auf so eine Aktion gewartet?...
Als sie die Unterstände erreichten fiel ihnen nichts Besonderes auf. Sie ließen die Pferde dort, sie mussten sie bald zurückbringen und ihre eigenen aus Synva zurückholen. Dann traten sie ins Hauptquartier ein. Als sie das Zentrum erreichten durchlief sie eine allgemeine Erleichterung. Endlich waren sie in Sicherheit. Endlich waren sie zurück. Nachts war nur wenig los, doch einigen fiel die Gruppe sofort auf. Kadir war so erschöpft dass er sich auf eine der Bänke setzte, während Leith mit ihm sprach und versuchte, ihn wachzuhalten. Jemand hatte wohl Gyth und Heath verständigt, denn beide Frauen tauchten kurz darauf auf. Als Eadgyth ihren Bruder erblickte wurden ihren Augen groß. Sie lief zu ihm und umarmte ihn herzlich. Kadir entfuhr ein leiser Schmerzenslaut, doch er lächelte ruhig und umarmte Gyth ebenfalls sogut es ging. Irgendwann löste sich Gyth wieder. Tränen glänzten in ihren Augen. "Ich hatte Angst", hauchte sie, um nicht vollends in Tränen auszubrechen. "Angst, dass du nicht zurückkehrst." Kadir nickte verständnisvoll, schwieg aber um Kraft zu sparen. Die anderen standen schweigend um die Bank herum. Viele waren noch zu sehr beschäftigt mit ihren letzten Erlebnissen, manche wollten die berührende Szene auch nicht unterbrechen. Gyth hatte sich wirklich schreckliche Sorgen gemacht. Einige Zeit stand sie noch mit Tränen kämpfend da, dann sah sie sich zwischen den Gestalten um. "Wo sind die anderen, die gerettet werden sollten?" Ace trat ein wenig vor. Er hielt den Blick gesenkt. "Sie wurden nicht im Gefängnis festgehalten." Wieder ließ Gyth einen scharfen Blick über die Reihen der Assassinen schweifen. Sie öffnete den Mund, zögerte aber, die Worte auszusprechen. "Wart ihr nicht viel mehr, als ihr losgegangen seid?", fragte sie mit belegter Stimme. Ace sah sie kurz stumm an. Dann nickte er bedächtig und sah zu Boden. "Wo sind sie?" Ace schluckte. "Tot, Ma'am." Gyths Blick blieb an Faith hängen. "Wo sind die anderen beiden Novizen?" Gyths Stimme zitterte ein wenig. Ace hob den Kopf wieder und starrte Gyth mit einem undefinierbaren Blick an. Er wollte es nicht aussprechen und fragte sich, wieso sie ihn gerade nach dieser offensichtlichen Sache fragte. "Ebenfalls tot, Ma'am." Erneutes betretenes Schweigen erfüllte den Raum. Heath drängelte sich durch die Reihen und beäugte kritisch Kadirs Wunden, dann sah sie zu den anderen Assassinen. "Das wird eine lange Nacht", seufzte sie. "Ich werde ein paar Hilfsärzte wecken, damit die Patienten schneller versorgt werden. Sie sehen aus als bräuchten sie Schlaf. Ihr übrigens auch." Sie bedachte Gyth mit einem sachlichen Blick. Die Frau nickte nur, ihr Blick war trüb von schlechten Nachrichten. Die Freude über das Wiedersehen ihres Bruders war längst vergangen. Faith wusste, wie es ihr ging. Beide gaben sich die Schuld dafür. Heath lief los um ihre Ärzte zu wecken, während Gyth fortging um sich den nötigen Schlaf zu nehmen.
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Red Snow
AdventureDer Boden dieses Landes wird seit Jahrhunderten vom Blut eines endlosen Krieges getränkt. Zwei Fraktionen, Assassinen und Templer, beide überzeugt von ihren Idealen, kämpfen seit jeher mit dem Ziel, Frieden auf Erden zu erreichen. Die junge Faith ah...