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Um sie herum herrschte Dunkelheit. Der Sack, den sie ihr übergestülpt hatten, kratzte unangenehm auf der Haut. Sie saß auf einem Stuhl in einem Raum, so viel war klar. Ihre Hände waren hinter der Lehne des Stuhls zusammengebunden. Das raue Seil scheuerte schmerzhaft an ihren Handgelenken. Sie wusste nicht, wieso sie hier war. Oder was sie von ihr wollten. Sie wusste nur, dass dieser Tag eine ganz andere Wendung genommen hatte als sie eigentlich gedacht hatte.

Drei Stunden zuvor

Faith lief durch die Straßen Synvas. Es war Herbst und die Luft strich angenehm frisch über ihr Gesicht. Sie genoss es, hier in den einsamen Gassen einmal etwas Frieden zu finden. Und das, obwohl es hier nicht gerade so sauber war als könne man vom Boden essen. Der Boden war schmutzig und sie war froh, dass sie nicht zu den Armen gehörte, die die Straße ihr Zuhause nannten. Sie lebte bei ihrer Tante, einer adligen Frau der Stadt. Ihre Mutter lebte in einer Hütte  weit entfernt - den Grund kannte sie nicht - und ihr Vater war früh gestorben. Wieso und an was wusste sie auch nicht. Ihre Tante hatte nie viel für dieses Thema übrig gehabt.
Sie lief weiter durch die Gassen und sah sich interessiert um. Sie kam nicht so oft aus dem Haus heraus. Ihre Tante war recht wohlhabend und kannte somit die Tücken der ärmeren Viertel. Für Faith spielte beides aber keine Rolle, weder der Reichtum noch das Risiko.
Sie sog entspannt die frische Luft ein und bog dann in eine der Nebengassen ein. Hier hielt sich kaum eine Menschenseele auf. Die meisten waren um diese Zeit zu Hause beim Essen. Das Mädchen spazierte seelenruhig durch die Straßen und genoss die Stille. Irgendwann bemerkte sie aber Schritte, die sich weder entfernten noch näherten. Sie wurde etwas unruhig und lief automatisch schneller. Man wusste nie, wer sich auf diesen Straßen herumtrieb, das hatte ihre Tante ihr klargemacht. Die Schritte schienen sich ihrer Geschwindigkeit anzupassen... Wie entkam sie am besten dem Blick der Person? Sie hatte keine gute Idee. Faith bog in die nächste Straße ein, doch da spürte sie plötzlich einen starken Schlag auf den Hinterkopf und alles um sie herum wurde schwarz...

Nun saß sie hier in diesem Raum. Ihr Kopf schmerzte noch von dem Schlag und sie hatte keine Ahnung, wie spät es war oder was das für eine Person gewesen war. Sie wartete einfach mit einem unwohlen Gefühl in der Magengegend.
Irgendwann hörte Faith Geräusche und eine Tür, die sich öffnete und wieder schloss. Dann lief jemand in den Nebenraum. Sie hörte leise, aber heftig diskutierende Stimmen.
"Und du bist dir sicher, dass es seine Tochter ist?", fragte die eine tiefe und sehr raue Stimme.
"Ja, hundertprozentig", bestätigte die zweite, weichere.
"Ich wusste nichtmal, dass er Kinder hatte", murmelte die erste daraufhin, und das Mädchen hörte Schritte, die auf sie zukamen.
"Na, Kleine? Wie geht's dir?", fragte dann diese raue Stimme mit kaltem Ton. Gleichzeitig wurde ihr der Sack unvorsichtig vom Kopf gezogen. Das Licht blendete sie, sodass sie blinzeln musste. Ein Mann stand vor ihr. Er war groß, kräftig gebaut - wortwörtlich ein Schrank. Seine matten braunen Haare hingen schlaff an seinem runden Kopf. Sie klebten ihm seitlich am Gesicht, als wären sie nass. Waren sie etwa wirklich nass? Hatte es inzwischen geregnet? Sie wusste nicht, wie lang sie nun schon hier war, und im Zwielicht konnte Faith das kaum erkennen. Einige graue Strähnen zeigten sich in seinen Haaren wie auch in seinem ebenfalls mattbraunen Bart. Er lächelte grimmig und musterte Faith abfällig. Sie fühlte sich noch unwohler als vorhin. Ihr Herz klopfte nervös, ihre Hände begannen zu schwitzen und ihre Amtung wurde flacher.
"Wie heißt dein Vater, Kleine?"
Sie sah ihn entgeistert an. Jedes andere Kind hätte diese Frage sicher beantworten können. Aber nicht Faith. Er war so früh gestorben... Sie erinnerte sich kaum an ihn. Eigentlich gar nicht.
"Ich... ich weiß es nicht", stotterte sie verwirrt. Wieso wollte der Typ das überhaupt wissen? Der Mann wurde ungeduldig.
"Na gut... Hat er dir irgendwas hinterlassen? Ein... Amulett vielleicht?", fragte er weiter und hatte dabei einen lauernden Klang in seiner rauen Stimme. Faith runzelte nachdenklich die Stirn.
"Nicht, dass ich wüsste."
Auch diese Antwort schien ihm nicht gerade zu gefallen. Sie sah ihn nur mit großen Augen an. An ihre gefesselten Hände dachte sie nicht. Und sie bemerkte schon gar nicht, dass im Hintergrund die Person stand, der die andere Stimme gehörte. Der Mann vor ihr atmete tief durch, als müsste er sich beherrschen, sie nicht sofort zu schlagen.
"Denk nochmal nach, Schätzchen. Irgendwo hast du doch sicher ein Amulett...", setzte er nochmal an. Wieder musste Faith stumm den Kopf schütteln. Ihr fiel an seiner Kleidung nur das Kreuz auf. Es prangte auf seiner Brust, ein rotes Kreuz, dessen Arme gleich lang waren, auf einem weißen Hintergrund. Darunter konnte man ein Kettenhemd sehen. Dieses merkwürdige Kreuz... Es kam ihr so vertraut vor, doch sie wusste nichts darüber. Wie eine Erinnerung auf die sie nicht zugreifen konnte. Diesmal wurde der Mann vor ihr aber wirklich wütend. Er holte aus und verpasste ihr eine heftige Ohrfeige. Faith sah kurz Sterne und spürte ihre linke Wange brennen. In ihren Augen sammelten sich durch den Schmerz Tränen, aber vor diesem Dreckskerl wollte sie definitiv nicht weinen. Sie beherrschte sich also und sah ihm nur mit finster funkelnden Augen entgegen. Ihre Wunde am Hinterkopf pochte wieder unangenehm. Vielleicht war sie durch den Schlag wieder aufgerissen...
"Habe ich deine Erinnerungen etwas aufgefrischt, Kleine?", fragte er nun und seine Stimme klang drohend und giftig, als wäre er eine Schlange. Faith schüttelte knapp den Kopf. Sie war eher kurz davor, in Ohnmacht zu fallen, als dass sie sich wieder an mehr erinnerte. Er bekam ein rötliches Gesicht und holte wieder aus. Sie bereitete sich schon auf den Schmerz vor - aber der kam nicht. Eine Hand hielt seine Faust dort, wo sie war. Bevor der Mann sich umdrehen konnte ragte eine silberne, mit Blut befleckte Klinge aus seiner Brust. Der Mann gab einen kurzen Laut von sich, dann kippte er um. Faith hing nun eher auf dem Stuhl anstatt auf ihm zu sitzen. Sie kämpfte mit der Ohnmacht und immer mehr schwarze Flecken sammelten sich vor ihren Augen. Sie erkannte nur noch eine Gestalt in einer weißen Montur und Kapuze. Dann sah sie nur noch verschwommen und direkt danach nichts mehr.

Red SnowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt