Die drei liefen die Treppe nach oben, wobei Faith immer wieder auf die Lautstärke ihrer Schritte achtete. Sie wollte unbedingt auch so leise laufen können wie die beiden jungen Männer. Oben angekommen klopfte Aed kurz an die Tür und trat ein. Kadir, der gerade am Fenster stand drehte sich zu den dreien um. Faith bekam große Augen. Er trug seine Kapuze nicht mehr. "Meister? Wieso...", setzte Aed mit verwirrter Stimme an aber Kadir brachte ihn mit einer fließenden Handbewegung zum Schweigen. Cade schloss die Tür und schien nicht sehr froh darüber zu sein, was der Großmeister da tat. Er blieb an der Tür stehen und schwieg mit finsterem Gesicht. Die Vorhänge waren immer noch zur Seite geschoben, aber hinter den Gläsern sah man nur Schwärze. Es musste schon spät am Abend sein. Eine Öllampe flackerte an der Wand und leuchtete mit einigen anderen den Raum in einem warmen Licht aus. Faith setzte sich auf eines der Betten und musterte Kadir. Seinen Bart hatte sie ja schon gesehen. Er war dunkelbraun, fast schwarz, und durchzogen von einigen grauen Strähnen. In derselben Farbe hielten sich auch seine Haare, die so lang waren, dass sie ihm gerade bis zu den Ohren reichten. Sie waren voller als man es für sein Alter vermutet hätte - welches Faith aber nicht genau kannte. Außerdem hatte er ruhige, blaue Augen in die sich etwas Stahlgrau mischte. Kadir sah mit ruhigem Blick zu Aed und Cade. "Setzt eure Kapuzen ab. Vor Faith werdet ihr sie in Zukunft sowieso gefahrlos abnehmen können. Immerhin wird sie bald eine von uns sein." Kadir lächelte Faith kurz aufmunternd an und lief dann ins Nebenzimmer. Faith machte sich zu seinen Worten einige Gedanken. Ja... Vielleicht würde sie das irgendwann sein... Eine von ihnen. Aber sie konnte das einfach nicht glauben. Mit unsicherem Blick sah sie zu Aed und Cade. Aed sah noch Kadir nach und wusste nicht was er tun sollte. Schließlich setzte er aber doch die Kapuze ab und sah zu Faith. Er lächelte. "Also wirst du auch ein Assassine?", wollte er wissen und setzte sich auf eines der Betten neben ihrem. Faith nickte stumm und musterte Aed. Er sah irgendwie anders aus als sie es sich vorgestellt hatte. Obwohl - sie hatte sich keinen von ihnen bis jetzt ohne Kapuze vorgestellt. Aed war ein flachsblonder Lockenkopf mit frechen, hellgrünen Augen und leicht dunkler Haut. Er legte den Kopf schief und sah Faith unschlüssig an. "Findest du das denn gar nicht toll?" Faith sah ihm nun direkt in die Augen. Vorher hatte sie das nie tun können. Und sie hatte keine Ahnung, was sie antworten sollte. Natürlich wäre es ein Traum, so zu werden wie ein Assassine. Leichtfüßig, schnelle Reflexe, hohe Ausdauer, gefährliche Waffen - das alles war echt verlockend. Aber mit dem vielen Blut... dem Töten... damit hatte sie sich noch nicht wirklich abgefunden. Sie war es einfach nicht gewöhnt. Sie hatte ihr voriges Leben in einer ruhigen Atmosphäre mit ihrer adligen Tante verbracht. "Ich lasse es auf mich zukommen", erwiderte Faith nur mit abwesendem Blick. Als Aed dann auffordernd zu Cade sah schaute auch Faith den distanzierten Assassinen an. Er hatte seine Kapuze noch nicht abgenommen und schien es auch nicht vorzuhaben. Aed stand auf und legte ihm brüderlich eine Hand auf die Schulter. "Komm schon, Cade. Selbst der Meister hat seine Kapuze abgenommen." Cade drehte seinen Kopf zu Aed. "Ich weiß manchmal nicht, was ich von ihm halten soll", knurrte er abfällig. Aed schien erst erschrocken, lächelte dann aber hinterhältig. "Wenn du sie nicht abziehen willst tu ich es..." Und schon griff Aed nach Cades Kapuze. Doch bevor er das Gesagte durchführen konnte hielt Cade seinen Arm mit eisernem Griff fest. Faith war plötzlich um einen Tag zurückversetzt. Diese Geste... Als der Templer zum Schlag ausholen wollte und jemand ihn aufgehalten hatte... Aber das hätte jeder tun können, nicht nur Cade. "Da mache ich es lieber selber", zischte Cade und drückte Aeds Hand weg. Mit einer schnellen Bewegung nahm er seine Kapuze ab und funkelte Aed vorwurfsvoll an. Der wirkte nun eher zurückhaltend. Faith prägte sich nun auch Cades Aussehen ein. Sein Gesicht war umrahmt von schwarzen, leicht gewellten Haaren die ihm höchstens bis in den Nacken reichten. Die Augen waren dunkel - aber man erkannte trotz allem, dass sie braun waren. Und seine Haut war blass. Das alles schien wie perfekt zu seinem Charakter zu passen. So dunkel wie der war... Aber irgendwie gefiel Faith diese Kombination. Das machte Cade doch wieder sympathischer. Gerade wandte er seinen Blick ihr zu. "Was starrst du denn so?", fragte er mit giftiger Stimme und lief mit schnellen, aber leisen Schritten auf eines der Betten am Rand zu und setzte sich so darauf, dass er den Rücken an die Wand lehnen konnte. Dann fing er wieder an, mit seinem Holzstäbchen zu spielen und ignorierte die beiden. Okay - doch wieder unsympathisch... Aed sah schulterzuckend zu Faith. "Der ist immer so. Keine Ahnung woran das liegt...", erklärte er entschuldigend und mit leiser Stimme. Im nächsten Moment betrat Kadir wieder den Raum, ließ seinen Blick über die Gesichter seiner Untergebenen gleiten und sah dann Faith an. Danach setzte er sich an die Bettkante des vierten Bettes und stützte die Unterarme auf den Oberschenkeln ab. Faith sah zu Aed. Es herrschte eine unangenehme Stille im Raum. Man hörte nur die leisen Geräusche, die Cades Spielchen mit dem Stäbchen machten und die der Öllampen. Aed legte sich daraufhin auf sein Bett, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schloss die Augen. Faith war aber zu wach um sich auch nur ausruhen zu können. Stattdessen beschloss sie, Kadir endlich zu fragen, wieso er soviel über sie wusste. Also sah sie den Großmeister fragend an, der gerade wieder mit misstrauischem Blick aus dem Fenster sah. "Kadir, wieso wisst Ihr eigentlich so viel über mich?" Der Mann ließ seinen Blick zu ihr wandern und musterte sie ruhig. "Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich deine Eltern kannte", antwortete er mit einer ruhigen Stimme, die auf seine eigene Art weise klang. Faith runzelte die Stirn. Er hatte ihre Eltern gekannt? Alle beide? Vielleicht konnte er ihr etwas über ihren Vater sagen. Immerhin hatten die Templer das von ihr wissen wollen. "Wisst Ihr etwas über meinen Vater?" Faith sah Kadir neugierig an. Ihr Gegenüber fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, als würde diese Frage ihn bedrücken. "Tut mir Leid, Faith. Ich kann dir nichts dazu sagen." Das Mädchen sah ihn kurz ungläubig an, dann starrte sie mit glasigem Blick auf den Boden. Immer mehr Fragen schwirrten in ihrem Kopf herum. Wieso durfte Kadir ihr das nicht sagen? Wieso hatte er Aed und Cade befohlen, jetzt schon die Kapuzen abzuziehen? Aber am allermeisten beschäftigte sie diese Frage: Wer war ihr Vater?
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Red Snow
AdventureDer Boden dieses Landes wird seit Jahrhunderten vom Blut eines endlosen Krieges getränkt. Zwei Fraktionen, Assassinen und Templer, beide überzeugt von ihren Idealen, kämpfen seit jeher mit dem Ziel, Frieden auf Erden zu erreichen. Die junge Faith ah...