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Faith spürte keine Schmerzen mehr. War es so, tot zu sein? Noch immer hatte sie Cades Gesicht vor ihrem inneren Auge. Doch sie wusste, dass es nur noch eine Erinnerung war. Sie fühlte sich leicht, fast schwerelos. Es begann, ihr zu gefallen. Sie wusste, dass es ihr eigentlich schwer im Magen liegen müsste, Cade verlassen zu haben. Doch so sehr sie sich bemühte - es funktionierte nicht. Sie sah nur weiß um sich herum. Bewegte sie sich? Schwebte sie? Irgendwann wurde es wieder etwas gewohnter für sie. Sie spürte eine Art Boden unter sich. Erkannte, dass sie stillstand. Nach und nach bildete sich um sie herum so etwas wie weißer, reiner Nebel, der etwas zurückwich. Vor sich in einiger Entfernung erkannte sie eine weiße, schlichte und ebenso reine Brücke, die elegant geschwungen nach oben führte. Wohin genau, das konnte Faith nicht erkennen. Aber es war der einzige Weg, den sie gehen konnte. Sie setzte sich in Bewegung, sah nicht an sich herunter sondern folgte einfach ihrem Gefühl, das sie dorthin führte. Der Nebel umgab sie weiterhin. Als sie nur noch geschätzte 10 Meter von der Brücke entfernt war bildeten sich Silhouetten im Nebel ab. Sie nahmen menschliche Gestalt an. Es waren mehrere. Einige traten nun aus dem Nebel hervor. Faith stockte der Atem. Sie blieb stehen und musterte die Personen. Konnte das sein? Eine von ihnen war Ríona. Also hatte sie den Kampf auf dem Galgenplatz wirklich nicht überlebt. Sie lächelte Faith traurig an. Neben ihr stand ein groß gewachsener Mann mit dunklen Haaren und einem aufmerksamen Blick. Seine Miene zeigte pure Freude. Er hielt Ríonas Hand. War das Gavin? War das ihr Vater? Sie starrte ihn eine Weile unschlüssig an. Dann entdeckte sie weitere, bekannte Gesichter. Kadir stand bei ihnen und winkte Faith halb bedauernd, halb lächelnd zu. Außerdem erkannte Faith einige, die sie ehrlich gesagt gar nicht hier erwartet hätte oder sich wünschte, nicht zu wissen, dass sie auch tot waren. Zoé stand bei ihnen, genauso wie Cyril, Donna und einige weitere Assassinen und Milwyn, die sie kannte. Leider entdeckte sie in der hintersten Ecke auch Aed. Er sah jedoch nicht mehr so kalt aus, sondern irgendwie betrübt. Ebenfalls wunderte sich Faith über die Familie am Rand. Ein junger Mann mit roten Haaren, eine Frau mit fast schon ebenholzfarbenen Haaren und ein kleines Mädchen... Sie kamen ihr nicht bekannt vor. Wieso waren sie hier? Moment. War das Cades Familie? Jedoch wurde sie sofort abgelenkt von Ríona, Gavin und Kadir. Sie waren zu ihr getreten. Ríona ließ die Hand ihres Mannes los und rannte die letzten Meter zu Faith, um sie dann zu umarmen. "Ich würde ja gern behaupten, dass ich es schrecklich finde, dich hier zu sehen, aber... ich bin froh." Sie löste sich wieder von Faith und trat zurück, sodass Gavin und Kadir sich zu ihr gesellen konnten. Allen drei waren Bedauern sowie unglaubliche Freude ins Gesicht geschrieben. Gavin musterte sie außerdem fast schon stolz. "Du bist groß geworden, Faith", meinte er und wuschelte ihr kurz durch die Haare. Faith lächelte zaghaft. Sie sah ihren Vater zum ersten Mal. Zumindest so, dass sie sich daran erinnern konnte. Von ihm schien sie die blauen Augen zu haben. Gavin lächelte und legte einen Arm um Ríona, die sich ebenfalls mit einem Lächeln an ihn lehnte. "Ich bin stolz darauf, so eine Tochter zu haben. War es ein Templer?" Faith stockte kurz. Meinte er ihren Tod? "Es war Aed. Also ja." Sie verbot es sich, zu ihm hinüber zu sehen. "Und ... wie?"
"Gavin, hör auf sie so zu löchern!", tadelte Ríona ihn. Er lachte leicht. "Ach komm, was soll schon noch passieren?" Faith seufzte leise. "Ist schon gut. Er hat mir ein Schwert in den Bauch gerammt. Und dann mit dem Leben bezahlt..." Nun warf sie dem Templer doch einen finsteren Blick zu, den er anscheinend bemerkte. "Hast du ihn getötet?" Sie verneinte. "Cade war es wahrscheinlich." Sie hatte es ja kaum noch mitbekommen. Nun mischte sich Kadir ein. "Das heißt Cade lebt noch?" Faith nickte stumm. "Bis ihn die anderen Templer finden. Aber er hat erzählt, dass Viola, Ace und noch ein paar andere ebenfalls überlebt haben." Kadir atmete erleichtert aus. "Was überlebt?" Gavin sah die beiden abwechselnd misstrauisch an. "Das erzähle ich dir später. Faith, du musst zurück." Die Assassine sah ihn entgeistert an. "Was? Wie? Und wieso?" Kadir lachte schwach. "Mit Hilfe des Amuletts. Weil du noch etwas zu erledigen hast." Faith sah ihn mit einem schiefen Blick an. "Das Amulett kann..."
"...jemanden vom Tod zurückbringen, ja." Sie zögerte. Dachte er, sie hatte es inzwischen gefunden? "Ich habe das Amulett nicht..." Kadir lächelte warm. "Du hattest es schon die ganze Zeit. Aber du musst dich jetzt auf Cade verlassen." Sie sah ihn nur verwirrt und entgeistert an. Hatte er es gewusst? Die ganze Zeit schon? Oder hatte er es erst hier erfahren? Von Benji vielleicht? Als hätte der Assassine ihre Gedanken gehört trat er zu ihnen. "Faith, nehme ich an?" Er musterte sie kurz mit einem prüfenden Blick. Sie nickte. "Sobald du wieder aufwachst - sag' Cade, dass wir stolz auf ihn sind. Bitte." Er lächelte nun schwach, aber ein trauriger Glanz lag in seinen Augen. Gavin und Kadir warfen ihm kurz Blicke zu, die er jedoch nicht bemerkte. "Das werde ich", bestätigte Faith nachdrücklich. Doch sie wusste nicht, ob er ihr glauben würde. Benji lächelte nun erleichtert. "Danke. Ich habe ihn viel zu früh verloren..." Er warf einen kurzen Blick über die Schulter, dorthin, wo seine Frau und seine Tochter standen. "Benji, du kannst nichts dafür. Ich habe euer Schicksal besiegelt...", setzte Gavin mit einer bedrückten Stimme an, doch Benji unterbrach ihn kopfschüttelnd. "Nicht jetzt, mein Freund. Das können wir später noch diskutieren." Er nickte und nun sahen alle wieder Faith an, die nur schwieg. Das war eine Generation vor ihr gewesen und trotzdem schnappte sie so viele Dinge davon auf. "Benji, wo ist nun das Amulett?" Doch der rothaarige Assassine grinste nur verschwörerisch. "Das erfährst du bald. Schön, dich kennengelernt zu haben." Mit einem weiteren, ehrlich erfreuten Lächeln verneigte er sich leicht und lief zurück zu seiner Familie. Faith sah ihm nur missmutig nach. Selbst jetzt wollte es ihr niemand verraten. Das war schrecklich. Und unnötig. Sie ließ sich Kadirs Antwort nochmal durch den Kopf gehen. Was hatte sie denn seiner Meinung nach noch zu erledigen? Die meisten Assassinen waren tot, ihre ganzen Freunde, ihre Familie... Der Orden war zerbrochen. Selbst wenn Cade herausfand, wie er sie zurückholen konnte, was sollte sie dann groß verändern? Sie zweifelte. Und das schienen viele zu bemerken. Sie sah kurz hinüber zu Zoé und lief dann einfach zu ihr, da ihre Eltern und Kadir nichts mehr zu sagen zu haben schienen. Die Assassine sah sie mit einem traurigen Lächeln an. "Ich bin froh, dass du noch nicht endgültig hier festhängst", murmelte sie und senkte den Blick. "Ich habe Elora nirgendwo gesehen. Lebt sie noch?" Faith nickte. "Laut Cade schon." Sie musterte Zoé besorgt. "Alles klar bei dir?" Sie hob den Kopf wieder und lächelte nun wieder weniger traurig. "Ja, schon. Ich finde es nur schrecklich dass der Orden jetzt so zerissen ist...", nuschelte sie. Faith seufzte leise, sah sie mit einem mitleidigen Blick an und nahm ihre alte Zimmergenossin in den Arm. Sie erinnerte sich daran, wie viel sie mit ihr erlebt hatte. So wie mit vielen anderen hier auch. Eine Weile umarmten sich die beiden und Faith hörte Zoé leise schniefen. Dann musste sie Zoé aber wieder loslassen. Wie viel Zeit hatte sie noch? Oder würde sie doch hierbleiben? Sie warf einen kurzen Blick über die Schulter, doch Kadir, Gavin und Ríona redeten bereits wieder miteinander. Viele schemenhafte Gestalten waren auch bereits wieder im Nebel verschwunden. Zoé tat das ebenfalls mit einem letzten Winken, dann tauchte sie im Nebel unter. Faith fuhr sich kurz durch die Haare und sah sich um. Es war merkwürdig. Sie war tot. Endgültig tot eigentlich. Aber doch sollte sie etwas zurück ins Leben holen. Und dabei musste sie sich auf Cade verlassen. Natürlich vertraute sie ihm, aber... was, wenn er es nicht herausfand? Oder gar nicht erst darüber nachdachte? Würde sie dann Ewigkeiten in diesem endlosen Weiß festsitzen und vergeblich warten? Sie seufzte frustriert und spürte dann plötzlich eine Berührung an der Schulter. Überrascht drehte sie sich um und starrte in Aeds Gesicht, das - wie sie es von früher kannte - von einem frechen Grinsen gekennzeichnet wurde. Faith rang sich ein Lächeln ab. Er hatte sie töten wollen. Und Cade. Und hatte den ganzen Orden verraten. Die meisten waren hier, nur wegen ihm. Doch sie wollte trotzdem nicht unfreundlich sein. Er wirkte nicht mehr so kalt und grausam wie eben noch. Und vielleicht war das eine einmalige Chance zur Versöhnung. "Das mit diesem Hand-auf-die-Schulter solltest du dir echt abgewöhnen", tadelte sie ihn gespielt und lächelte schief, jedoch immer noch nicht ganz überzeugt. Aed, der seine Hand längst wieder hängen ließ, grinste nur kopfschüttelnd. "Ich wollte nur sagen - ihr habt gewonnen. Glückwunsch." Ein leises Bedauern lag in seiner Stimme, und gleichzeitig Erleichterung. Faith konnte sich das nicht erklären. Als wäre er eigentlich noch auf der Seite der Templer aber war doch froh darüber, dass es Hoffnung für die Assassinen gab. Er war ihr definitiv ein Rätsel. Sie musterte ihn ruhig. Die Narbe überzog sein Gesicht immer noch. "Danke, aber... du hast gezögert. Nachdem du mich... getötet hast. Das war der Moment in dem auch dein Tod besiegelt wurde", begann Faith zögernd. Wäre er wirklich so kaltherzig wie er sich am Ende gegeben hatte hätte er nicht gezögert. Er hätte sofort seine Chance erkannt und Cade auch umgebracht, ohne auf sie zu achten. Vielleicht sah sie aber auch einfach nur immer das Gute in den Menschen, selbst wenn es nicht da war. Bei Cade jedoch hatte es auch niemand glauben wollen. Aed sah sie kurz nachdenklich an. "Du hast recht", murmelte er fast schon verblüfft, als hätte er noch gar nicht darüber nachgedacht. Faith zögerte immer noch. Hieß dass, dass er sie vielleicht doch nicht so leicht hätte umbringen können? Und es eben nur passiert war, weil sie sich selbst in die Situation gebracht hatte? "Hättest du mich denn getötet, wenn es anders gekommen wäre?" Aed sah kurz an ihr vorbei ins leere Weiß. "Ich weiß nicht." Faith sah ihn mahnend an. "Aed." Als er ihre scharfe Stimme hörte sah er sie fast schon erschrocken an. "Was? Was erhoffst du dir denn für eine Antwort?" Faith zwang sich zu einem hoffnungsvollen Lächeln. "Vielleicht warst du ja nie ganz ein Templer... Vielleicht hättest du mich nicht töten können sondern hättest mir geholfen?" Auch wenn das keine wirklich gute Alternative gewesen wäre. Aeds Miene zeigte für einen Moment pure Entgeisterung, doch nach weniger als einem Wimpernschlag schlug das in ein finsteres Gesicht um. Er trat einen Schritt zurück. "Nein, Faith. Das hätte ich nicht. Ich bin Templer und ich hätte auch so gehandelt. Du wärst jetzt so oder so tot", erwiderte er trocken und verzog abschätzig das Gesicht. Doch Faith erkannte eine Spur Unbehagen darin. "Also alles nur kalte Politik", stellte Faith fest, doch ihre Stimme hörte sich mehr an wie bei einer Frage und war leicht belegt. Sie hatte noch gehofft. Aber für Aed schien es wirklich keine Hoffnung zu geben. Aed nickte knapp und schluckte. "Alles nur Politik", bestätigte er, machte aber keinen weiteren Schritt zurück sondern blieb stehen. Faith senkte den Blick. "Und alles, was du je als Assassine getan hast war auch nur dafür? Um ans Ziel zu kommen?", fragte sie dann mit schmerzlicher Stimme und hob den Kopf wieder. Aed stand kurz wie erstarrt da, seine Gesichtszüge wirkten eisern. Er biss die Zähne zusammen und sah Faith kurz mit einem undeutbaren Blick an. "Ja", war seine einfache Antwort. Zu mehr konnte er sich nicht durchringen. Für Faith wirkte es eher, als sei es die einzige Antwort, die er benötigte zu sagen. Sie öffnete kurz den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn dann aber wieder. Ihre Hoffnung war am Ende angelangt. Für Aed gab es nichts mehr. Wenn das hier der Himmel war, wieso war er dann da? Oder war es einfach nur das Jenseits? Keine Ahnung. Heute würde sie das ja noch nicht herausfinden. Sie blickte erneut über die Schulter. Wie lang würde es dauern, bis sie zurückgeholt wurde? Kadir und ihre Eltern redeten immer noch und sahen dann skeptisch zu der Treppe. Als Faith wieder zu Aed sah stand er plötzlich wieder näher bei ihr, griff er nach ihrem Kinn und küsste sie ungeniert. Faith riss erschrocken die Augen auf und stieß ihn im nächsten Moment reflexartig weg. Was war eigentlich los mit ihm?! Er würde ihr immer ein Rätsel bleiben. "Was zur Hölle..?!" Sie wischte sich kurz über den Mund. Sie wollte das nicht. Besonders nicht jetzt, wo herauswar dass Aed Templer war und Cade sie liebte. Ihre Miene war gleichzeitig überrascht und angewidert. Aed lachte nur amüsiert. "Das sagt vieles. Und das war es wert. Auf Wiedersehen, Faith." Mit einem weiteren Grinsen drehte er sich um und verschwand ebenfalls wieder im Nebel. Faith sah ihm nur irritiert hinterher. Es schien ihn nicht einmal zu jucken dass es sie so störte. Auch egal. Sie würde ihn nie wieder sehen. Mit einem Seufzen drehte sie sich wieder um. Jetzt hieß es wohl warten. Und hoffen.

Red SnowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt