Ich war Pessimistin. In dieser Welt, vollgestopft mit Optimismus, blieb mir gar nichts anderes übrig, denn ich war einfach nicht in der Lage, mich den ganzen Menschen um mich herum, die mit einem Lächeln und strahlenden Augen glücklich umherrannten, anzupassen.
Wenn alles perfekt war, musste auch jeder einzelne perfekt sein. Und ich war definitiv nicht perfekt.
Als ich hinaus auf die Straße trat, blendeten mich Lichter von allen Seiten, so stark spiegelten die meterhohen, metallenen Hausfassaden das grelle Sonnenlicht, das vom gleißend weißen Himmel auf mich herabschoss. Ich zuckte zusammen und aktivierte sofort den tönenden Schutzfilm, der sich wie ein Schleier über meine Augäpfel legte. Jetzt erschien alles grau, farblos, passend zu meiner Seele.
Auf meinen hohen, in zwei Stränge geteilten Absätzen ging ich die leere Seitenstraße entlang und fühlte mich winzig zwischen den gigantischen Häuserriesen, die unendlich in den Himmel ragten, die oberen Enden verschleiert von den tiefhängenden, rötlichen Nebelwolken, durch die trotzdem das pralle Sonnenlicht drang.
Eine lavendelfarbene Haarsträhne fiel mir ins Gesicht und mit einer energischen Handbewegung, bei der meine langen Fingernägel in der Sonne blitzten, schob ich sie aus dem Gesicht und wieder hinters Ohr. Meine Fingerkuppe strich über alle meine Ohrringe - Rose, Dreieck, Drache, Halbmond.
Einen genervten Seufzer ausstoßend beeilte ich mich auf den Platz zu kommen, um so schnell es ging die letzten Einkäufe zu erledigen und in mein Apartment zurückzukehren. Heute würden meine Eltern, zum ersten Mal seit dem Tod meines Bruders vor drei Wochen, zu Besuch kommen und da musste natürlich alles perfekt sein, was für mich Chaosqueen eine echte Herausforderung darstellte.
Als ich auf den Platz einbog, stockte mir wie immer der Atem und ich blieb stehen, als ob mich eine unsichtbare Wand zurückdrücken und zum Stehen zwingen würde. In der heißen Luft lag eine knisternde Spannung, die einen metallenen Geschmack auf meiner Zunge hinterließ und ich ließ meinen Blick nach unten wandern. Meterdicke Glasplatten bildeten den Boden, sodass man die kilometerlangen Züge durch die unterirdischen Tunnel rasen sah wie Ameisen in ihrem weitverzweigten Bau.
Neben mir ragten in einem perfekten Kreis hunderte Etagen aus silbern glänzenden Wolkenkratzern bis in die tiefhängenden Nebelschwaden, als hätte Gott einen Haufen überdimensionaler Stecknadeln in Filia gepiekst und ich fühlte mich kleiner und unbedeutender als ein Staubkorn. Auf dem Platz war allen so gedrängt, dass man nicht ausmachen konnte, wo das erste Haus aufhörte und das zweite begann, denn in den unteren Etagen waren die Riesen bis auf einige Straßen, die vom Platz wegführten, miteinander verbunden. Ihre Fassaden waren teilweise von leuchtenden Plakaten verhängt, spiegelten aber sonst das grelle Sonnenlicht so extrem, das es fast unerträglich heiß wurde und es für niemanden mehr möglich war, länger als ein paar Sekunden ohne Schutzfilter vor den Augen zu leben, weshalb die Augen der Menschen, die auf der Straße umherliefen vollständig grau waren, man konnte nur ab und zu einen dunklen Umriss als Iris erkennen.
Die Fußgänger hatten den ganzen Platz für sich und ich musste wieder an einen sich tummelnden Ameisenhaufen denken. Einen sehr luxuriösen, verzerrten Haufen, denn bei den Wesen hier erinnerte nur noch wenig an normale Menschen. Kurz nach der Geburt jedes Menschen gab es die Möglichkeit ihm Spritzen zu verabreichen, die die natürlichen Entwicklungen veränderten, sodass die Haut-, Haar-, oder Augenfarben beliebig von den Eltern bestimmt werden konnten.
Außerdem gab es so die Möglichkeit, Stimmen zu verändern, oder einige Bereiche des Körpers umzuformen und noch so viel mehr widerliches, unnatürliches, abartiges anzustellen. Meine Eltern hatten mich glücklicherweise fast vollständig davon verschont, nur eine Spritze mit der Aufschrift 'Lavendel' hatte ich bekommen, der ich mein Haar in dieser, Achtung Ironie, unglaublich wundervollen Farbe zu verdanken hatte und die Tatsache, dass ich oft stank, als hätte ich einen Blumenladen überfallen.
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Filia - Morbus
Science Fiction"Jemanden zu finden ist leicht, wenn dieser jemand gefunden werden will. Aber wenn nicht, und wenn man nicht weiß, wen man sucht, wird das Ganze unmöglich, oder?" Zwei Welten, so verschieden wie Tag und Nacht. Juno lebt in der Welt, in der alles pe...