Einmal, da bin ich mit meinen Eltern und meinem Bruder in den Urlaub gefahren. Wir reisten in den Nordosten von Filia, ins Gebirge, damit sich meine Eltern von ihrem Über-Leben-Und-Tod-Entscheidenden Job erholen konnten. Ich war erst zehn Jahre alt und mein Bruder gerade geboren. Ich hatte die beste und wunderschönste Zeit meines Lebens und in meinem ersten und einzigen Urlaub erlebte ich viele erste und einzige Male.
Zum Beispiel das erste Mal Schnee.
Das einzige Mal rodeln.
Tannen, die sich unter den Schneelasten bogen, wie ich mich unter der Implantatkontrolle.
Gespräche mit meinen Eltern, die nicht gehetzt oder von wichtigen Telefonaten unterbrochen waren.
Ein Brettspiel, das bis zum Ende gespielt wurde.
Meinen ersten Kuss von einem Jungen, wenn auch nur auf die Wange, weil er eine Wette verloren hatte.
In einer dicken Decke eingekuschelt vor dem Kamin sitzen.
Das war mein erster, letzter und einziger Urlaub gewesen, denn seitdem waren meine Eltern wieder damit beschäftigt lebensrettende Entscheidungen zu fällen und seit ich ausgezogen war, hatte ich nie wieder das Verlangen gespürt, zu reisen.
Aber ich bezweifelte, dass die Reise, die ich jetzt unternehmen würde, auch nur halb so schön sein könnte, wie mein erster und einziger Urlaub.
Als die Züge außerhalb der Städte oberirdisch fuhren und es endlich hell wurde, beobachtete ich, wie die unterschiedlichsten Landschaften an mir vorüberzogen. Je weiter ich mich nach Westen bewegte, desto ungewöhnlicher wurde alles. Oder war es das nur für mich, die bis jetzt nicht mehr als eine Großstadt, ein Gebirge und ab und zu eine Wiese zu Gesicht bekommen hatte?
Ich hatte nie das Gefühl gehabt, etwas verpasst zu haben. In meiner Stadt gab es alles, was man sich wünschen konnte, sodass ich nie das Bedürfnis verspürt hatte, wegzugehen oder anderes zu sehen.
Aber jetzt, wo ich dazu gezwungen war, wurde mir die Schönheit dieses Planeten bewusst. Die Welt zog an mir vorbei wie ein Daumenkino und ich saß manchmal sogar mit an die Scheibe gepresster Nase da.
Von Wäldern, dessen dunkelgrün leuchtende Bäume sich wie Riesen in den Himmel schraubten, bis sie in den tiefhängenden Wolken verschwanden und die von den buntesten Pflanzen überwuchert wurden, über ungewöhnliche Felsformationen, wunderschönen Wasserfällen und Seen, bis hin zu einsamen Schlössern mit unzähligen Türmchen, die gen Himmel ragten, als wollten sie sich zur Sonne strecken, nahm ich zum ersten Mal die wahre Schönheit der Natur und Kultur wahr.
Das war auch der Zeitpunkt, in dem ich beschloss, meine Reise bis nach Nyanza zu genießen, denn ich konnte mich ja sowieso nicht auf das vorbereiten, was dann kommen würde - lebe das Leben solange du kannst!
Wenn ich jetzt darüber nachdachte, hatte ich keine genaue Vorstellung mehr davon, wie ich nach Runako gekommen war, aber Fakt war, dass ich jetzt mit meinem Rucksack auf dem Rücken, vollkommen entkräftet, stinkend und hungrig in dieser wundervollen Stadt auf der Straße stand.
Auch wenn es paradox klang, so war es doch ziemlich anstrengend den ganzen Tag im Zug zu sitzen. Obwohl die Strecke an sich nicht wirklich lang war, ging durch das Umsteigen doch einen Haufen Zeit drauf, sodass ich jetzt seit bestimmt zwanzig Stunden unterwegs war.
Die kreisrunde Sonne begann gerade hinter den kleinen Häuschen zu versinken und färbte den Himmel in eine Feuersbrunst, die kein Künstler und keine Kamera je hätte einfangen können und ich war todmüde, schließlich hatte ich in der Nacht im Zug so gut wie gar nicht geschlafen.
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Filia - Morbus
Science Fiction"Jemanden zu finden ist leicht, wenn dieser jemand gefunden werden will. Aber wenn nicht, und wenn man nicht weiß, wen man sucht, wird das Ganze unmöglich, oder?" Zwei Welten, so verschieden wie Tag und Nacht. Juno lebt in der Welt, in der alles pe...