9. Von Bademänteln und Kirchenglocken

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9. von Bademänteln und Kirchenglocken

„Na Kleine, haste ausgeschlafen?", fragt mich Marius, nachdem ich mir mindestens zehn Minuten die Finger an der Tür wundgeklopft hatte.

„Sie anscheinend nicht", erwiderte ich trocken, denn er stand nur im hastig umgeschlungenen, dreckigem Bademantel vor mir. Wir waren wohl beide keine Morgenmenschen, aber dass ich fast eine Stunde gebraucht hatte, um aus dem Bett zu kommen, brauchte er ja nicht zu wissen.

„Haste das Geld?", erkundigte er sich weiter.

Meine Antwort fiel genauso knapp aus: „Natürlich."

„Na dann, komm rein und mach's dir bequem, bis ich fertig bin", murrte er.

Also ich hatte ja mit allem gerechnet. Aber dass er mich in sein Haus einlud - damit nun wirklich nicht. Ich hoffte inständig, dass er mich nicht vergewaltigen würde und trat hinter ihm durch die Tür.

Was von außen nur als Dunkelheit wahrzunehmen war, entpuppte sich als ein kurzer Flur, in dem die alten Möbel nicht an den Wänden standen, wie man es eigentlich erwartet hätte, sondern kreuz und quer im Raum, sodass man sich hindurchschlängeln musste.

Obwohl alles, was einmal weiß gewesen sein musste, jetzt in einem tristen steingrau, das mich an den Nebel über meiner Heimatstadt erinnerte, erschien, jede Oberfläche unter Müll begraben war und dringend mal gelüftet werden sollte, strahlte der Raum doch eine Atmosphäre aus, die man überall sonst vergebens suchte.

Marius deutete auf eine halboffene Tür, die mich in das Wohnzimmer, zumindest nahm ich an, dass es das sein sollte, führte. Auch hier standen die Möbel überall, nur nicht an den Wänden, alte Fotos standen auf Kopf in ihren Rahmen und die antike Uhr tickte mit der Zwölf Richtung Boden gerichtet.

In dem hellen Lichtquadrat vor dem Fenster stand ein alter, graublauer Ohrensessel, in den ich mich sinken ließ. Gerade als ich begann, das Interesse an meiner sonderbaren Umgebung zu verlieren und die winzigen Staubwirbel in der Luft, die wie tanzende Ballerinen herumwirbelten, zu beobachten, gesellte sich Blondie aus einem der angrenzenden Zimmer zu mir.

Ich hatte zwar ihren Namen vergessen, aber ihre Vorliebe für ein Minimum an Kleidung am Körper war mir noch gut in Erinnerung geblieben, sodass ich nicht überrascht war, dass sie nur eine knappe Hotpants und ein Top, das kaum ihren künstlich vergrößerten Busen zu verdecken vermochte, trug.

Ihr Gesicht war von unzähligen Schönheits-OPs so verzerrt, dass sie auch gleich eine Maske hätte tragen können. Vielleicht war sie einmal schön gewesen, doch jetzt erinnerte nichts mehr an ein natürliches Mädchen, wie auch sie es einmal gewesen sein musste. Selbst ihre Augen wurden von übergroßen, himmelblauen Kontaktlinsen verdeckt.

„Was machst du denn hier?", fragte sie mich entgeistert. Langsam fragte ich mich, ob nicht selbst ein Goldfisch ein längeres Gedächtnis hatte, als sie.

„Ich", erwiderte ich genervt, „werde heute deinen Mann entführen, falls du dich erinnerst."

„Marius ist doch nicht mein Mann!", rief sie entgeistert.

„Dann deinen Vater?", fragte ich zuckersüß. Dumme Leute zu reizen, war schon immer eine meiner Lieblingsbeschäftigungen gewesen.

Die kleine Barbie zischte nur, was mich eher an einen Luftballon mit Loch, als an eine Schlange erinnerte und verschwand aus dem Zimmer.

Wer hätte gedacht, dass ich von Marius mehr Gastfreundschaft erfahren würde, als von ihr?

Irgendwie konnte sich mein Kopf nicht ganz entscheiden, ob ich mich vor Angst verkriechen, oder lieber vor Stolz jauchzen sollte, weshalb ich mich ständig im Wechselbad der Gefühle befand. Angst. Wut. Trauer. Stolz. Freude. Neugierde. Verwirrtheit. Und manchmal auch alles gleichzeitig.

Filia - MorbusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt