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Wenn Lukas könnte, würde er sofort ausreißen und mit Anna abhauen. Wenn er könnte, würde er das dreckige Hamburg hinter sich lassen und eine glückliche Familie gründen. Er würde Tischler werden und Anna würde ihre Kinder groß ziehen. Dagegen hätte Lukas nichts.

Diesen Gedanken hat er, als er mit zusammen gebissenen Zähnen vor seinem Koffer steht und alles, was herum liegt, hinein schmeißt. Er muss fertig sein, bevor sein alter Herr hier ist. Er muss fertig sein und weg. Er geht die Nacht lang dann zu Oliver und dann am nächsten Morgen geht es endlich ins Lager.

Wenn Lukas ehrlich ist, hat er sich nur dort angemeldet, weil er so lange wie möglich von seinen Eltern weg sein will.

Sein Vater fand das großartig. Er hat Lukas danach natürlich trotzdem eine auf's Maul gegeben, weil sich Lukas angemeldet hat, ohne um Erlaubnis zu fragen, aber ja Herr Brenner fand die Initiative seines Sohnes gut.

Lukas geht nur in dieses dämliche Lager, um so lange wie möglich von seiner jammernden Mutter und seinem austeilenden Vater fern zu bleiben.

Er kann seinem Vater nicht einmal böse sein. Herr Brenner war nun mal so aufgewachsen: „Biste unartig, gibt's Schläge. Und ich bin nicht sanft, Lukas, also pass auf, was du sagst und tust, Junge."

Das hatte er gesagt. Ach ja, wie oft hatte er das schon gesagt.

Nüchtern, betrunken, im Sommer, im Winter, in guter wie in schlechter Stimmung, aber immer genau diese Sätze.

„Ja, das weiß ich. Du warst noch nie sanft", murmelt Lukas dann immer. Manchmal kriegt er dann schon wieder eine ins Gesicht, weil er geantwortet hat. Manchmal auch, weil er eben nicht geantwortet hat.

Er versteht seinen Vater nicht. Aber wer versteht schon seine Eltern...

Lukas stellt nach einiger Zeit fest, dass nicht alles in den Koffer passt. Vielleicht lässt er doch einiges hier. Wozu braucht er in einem Lager Bücher? Also raus damit. Wozu die Winterjacke? Es ist Sommer, verdammt. Also Scheiße nochmal auf den Boden neben's Bett. Und was ist mit den Schuhen? Er kann barfuß gehen, oder?

Lukas lacht fast über sich selbst. „Ich hab doch Schuhe an", murmelt er. Holt sein Lieblingspaar hervor, schnürt es sich zu und schmeißt die anderen in irgendeine Ecke.

Wie er das hier hasst. Hamburg ist so dreckig und alt und langweilig.

Mit diesem Gedanken und einem Grinsen im Gesicht, das sicher bis zur Nordsee glänzt, knallt er den Koffer zu, den wohl schon der Kaiser bei sich hatte.

Lukas zieht sich eine dünne Jacke über, bevor er den Koffer vom Bett nimmt und das Haus verlässt.

Im Treppenhaus stinkt's wie immer nach Pisse und irgendwo hinter irgendeiner Tür kläfft ein Köter.

„Scheiß Hund", mault Lukas und rennt die Stufen hinab ins Sonnenlicht.

Da es Sommer ist, ist es noch hell und da es Hamburg ist, ist es noch voll. Und da es Deutschland ist, sehen alle gleich scheiße aus.

Lukas duckt sich förmlich und macht seinen Weg zum nächsten Block. Er klingelt und Oliver Stolz öffnet die Tür.

„Wie siehst du denn aus?" Dann geht Lukas einfach rein.

„Hab geschlafen."

„Ich hab gesagt, dass ich so um halb acht komme. Wieso schläfst du schon?"

„Freizeitlager, Lukas. Warst du noch nie in einem Lager?"

„Nein... Und das weißt du." Fast will Lukas Oliver eine reinhauen. Das ist immer eine gute Art sich zu wehren.

„Wieso hast du jetzt geschlafen?" Lukas schmeißt seinen Koffer auf den Boden neben Ollies Bett.

„Weil man in einem scheiß Lager keine  Ruhe kriegt. Du bist die ganze Zeit von Vollpfosten umgeben, die sich wie die letzten Arschlöcher benehmen und nie schlafen. Ich sag es dir: Du kommst mit so einem Schlafmangel zurück, dass du nachher das Schlafen verlernt hast."

„Wenn du es so scheiße findest, wieso gehst du nochmal hin?", motzt Lukas und pflanzt sich neben Oliver auf das Bett. Er lehnt sich hinten gegen die kühle Wand und sieht Ollie zu, wie er mit den Schultern zuckt.

„Weiß nicht. Ist schön. Sowas vergisst man nie."

Er lächelt Lukas an, welcher nur schnaubt. „Sicher. Das wird der Sommer meines Lebens."

Nachts, wenn ich nicht dran denken muss | boyxboy  ✔️ #WattpadOscars2017Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt