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Der Ford klappert auf der Straße und Daniel wird hin und her geschüttelt. Er hat den Kopf ans Fenster gelehnt und sieht der Landschaft zu, wie sie von Zivilisation und Stadttreiben zur puren norddeutschen Wildnis wird.

„Sind wir bald da?", fragt er nuschelnd.

„Rede vernünftig", mahnt seine Mutter ohne auf seine Frage zu antworten.

„Sind. Wir. Bald. Da. Mutter?" Daniel sagt es extra langsam und extra deutlich, um sich über seine Mutter lustig zu machen.

Die Doktorin rollt nur mit den Augen. „Ja, in einer Viertelstunde."

„Großartig", mault Daniel sarkastisch.

„Ordentlich sprechen!"

„Großartig!", motzt er etwas lauter und diesmal mit seinem Kiefer nicht auf einander gedrückt.

Daniel starrt nur dem Wald entgegen, der immer näher kommt und das Auto irgendwann zu verschlucken scheint. Er mag es jetzt schon nicht hier.

Hier in der Nähe ist irgendwo die Nordsee, er weiß aber nicht genau wo. Geographie war noch nie sein bestes Fach.

„Da sind sie!", ruft Daniels Mutter lachend, als sie eine Horde Jungen in Daniels Alter sieht, die sich auf einem Rastplatz versammelt haben und sich in Grüppchen in Gespräche vertiefen.

„Großartig", seufzt Daniel. Wenigstens sieht er keinen, der auf seine Schule geht und ihm hier vielleicht alles versaut hätte.

Sie halten, der Ford zieht beim Anhalten Schotter mit sich und kommt zum Stehen.

Daniel muss sich dreimal überwinden auszusteigen und tut das auch nur mit einem grummeligen Gesicht.

Sein Vater reicht ihm seinen Koffer.

„Der ist schwer", jammert Daniel und stellt ihn sofort ächzend vor sich auf die Erde.

Sein Vater zuckt mit den Schultern. „Es ist eh noch weit bis zum Lagerplatz."

„Woher weißt du das?"

Der Doktor räumt noch ein Zelt und einen zusammen gerollten Schlafsack aus dem Ford und schmeißt sie Daniel zu, der die Sachen fast nicht gefangen hätte.

„Im Gegensatz zu dir war ich recht gut in Geographie. Aber ich weiß wo er ist, da ich hier schon einmal mit meiner Familie zelten war. Da war ich etwas jünger als du jetzt. Es war traumhaft, du wirst sehen." Er lächelt. Immer noch nicht überzeugt von der Idee, dass sein Sohn in ein Freizeitlager geht mit ein paar Rüpeln, die ihn nach kurzer Zeit windelweich prügeln werden, weil er sich nicht wehren kann. Der Doktor weiß nicht, wieso sein Sohn nicht gut in Sport ist, aber eigentlich spielt das für ihn keine Rolle, denn Daniel ist schlau und wird später mal Doktor. Das weiß Doktor Sommerdorf jetzt schon.

„Nun geh schon", drängt seine Mutter und deutet zu den anderen Jungen.

Daniel schüttelt den Kopf.

„Wir fahren jetzt. Richtig, Hubert?" Sie dreht sich zu ihrem Mann und schaut ihn warnend an.

Dieser seufzt. „Daniel, mach das beste draus. Es wird sich sicher der ein oder andere finden, mit dem du dich verstehst."

„Nein, und das weiß du", nuschelt Daniel.

„Was war das? Ich kann dich nicht verstehen, wenn du so nuschelst", mahnt seine Mutter erneut.

Daniel rollt mit den Augen. „Ich sagte: Bis in drei Wochen. Habt schöne Tage ohne euren nervigen Sohn."

Dann nimmt er sich den Koffer und humpelt zu einer Bank in der Nähe der anderen Jungen, die ihn nicht beachten.

Es dauert nicht lang, da sind die Sommerdorfs weg und es dauert auch nicht sehr lang, da steht ein Mann vor den Jungen, der alle um Aufmerksamkeit bittet.

„Wir werden alle jetzt den Marsch zum Zeltplatz antreten", sagt er harsch und Daniel zuckt zusammen.

Wie er das alles jetzt schon hasst.

Aber er rappelt sich auf, seufzt und macht sich auf den Weg. Ein kleiner Weg führt dichter in den Wald und Daniel humpelt hinten mit. Da sind noch zwei andere Jungen, die sich ununterbrochen unterhalten.

„Sag mal, war der Gruppenleiter letzten Sommer auch so schlimm?", fragt der eine. Er hat längere braune Haare und trottet neben einem Jungen her, dessen schwarze Haare wild im Wind umher fliegen, als er mit den Schultern zuckt.

„Erwachsene eben", antwortet der andere.

„Gehen wir in ein Zelt?", fragt der Braunhaarige wieder.

Der Schwarzhaarige seufzt. „Lu-kas, natürlich gehen wir in ein Zelt. Wir haben doch nur eins."

„Ich hab nur gefragt, O-li-ver. Kein Grund gleich biestig zu mir zu werden", mault der Braunhaarige zurück.

Daniel beobachtet, wie sich die Faust des Braunhaarigen zusammen presst. Bereit zum Schlag, denkt Daniel sich augenrollend.

Wie er das alles hasst.

Aber irgendwann sind sie da. Am Zeltplatz. Es ist eine große Lichtung mit ein paar kargen Picknicktischen verstreut und einem ausgebrannten Lagerfeuerplatz.

„Ollie, wir könn' kokeln", lacht der Braunhaarige, Lukas, und stößt „Ollie" an.

Der Schwarzhaarige, Oliver, scheint müde und nickt nur. „Woher nimmst du deine Energie."

„Nun gut", sagt der Gruppenleiter und klatscht einmal in die Hände. Er sieht wirklich nicht aus, als würde er mit Jugendlichen arbeiten.

Er stellt sich als Herr Schulz vor und erklärt die Regeln. Es ist strikt verboten Leute auszugrenzen und auch strikt verboten ist es Gewalt anzuwenden. Das lässt Daniel aufatmen. Wenigstens bekommen seine Peiniger Ärger, wenn er blutend im Gras liegt.

Außerdem bekommt Daniel schnell mit, dass sich alle bereits in Zweierzelte eingeteilt haben und dass er so nun der einzige ist, der allein nächtigt. Was nicht allzu schlimm ist, wie sich Daniel denkt.

Dann hat er wenigstens nachts seine Ruhe.

Es ist Nachmittag, als der Leiter sie einweist und dann sollen alle ihre Zelte vor dem Abendbrot aufbauen. Heute Abend ist eine Kennlernrunde angesagt.

Was gibt es schlimmeres, fragt sich Daniel seufzend und macht sich erst nach ein paar Minuten auf den Weg, einen Platz für sein Zelt zu suchen.

Er will nicht, dass irgendwelche von diesen Arschlöchern hier ihn anschnauzen: „Das ist mein Platz, Weichei!"

Ach ja, Weichei. Daniel hat während der siebten Mal fast vergessen wie er heißt, weil ihn alle nur mit Weichei angeredet haben...

Mit diesem Gedanken macht er sich auf die Suche und wird schneller fündig als er dachte.

„Das machst du falsch, Oliver!", mault Lukas.

„Nein, Lukas! Lies die Anleitung, du Dumpfbacke."

Daniel hätte gelacht, wenn es ihm nicht so schrecklich gehen würde.

Das sind die schlimmsten. Die Jungs, die anfangs nett scheinen, sind immer die, die ihm in der nächstbesten Gelegenheit eine rein hauen. Das weiß Daniel aus Erfahrung.

Sein Zelt baut er dann in der hintersten Ecke, gleich neben Lukas' und Olivers Zelt auf.

Nachts, wenn ich nicht dran denken muss | boyxboy  ✔️ #WattpadOscars2017Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt