16. Brodelnder Zorn

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Ich schiebe die Vorhänge vor dem Bullauge zur Seite. Der Himmel ist blau und auch die letzten Gewitterwolken ziehen nach Westen ab. Ich ziehe mich an. Die Erinnerung an gestern Abend zaubert ein Lächeln auf mein Gesicht.

Ich erinnere mich daran wie es sich angefühlt hat all meine Gefühle los zu lassen und sie in Energie um zu wandeln. Ich kann immer noch den Regen auf meiner Haut spüren und dieses überwältigende Glücksgefühl.

Das nenne ich Dampf ablassen, denke ich und öffne die Tür. Ich mache mich auf den Weg zum Salon. Es ist noch etwas früh am Morgen. Naja 8 Uhr ist vielleicht nur für Katzengestaltwandler früh. Ich betrete das Deck und lehne mich an die Reling.

Ein kühler Wind bläst mir die Haare aus dem Gesicht. Ich schliesse die Augen und Atme den Duft des Meeres ein. Ich rieche das Salz und einen leichten Hauch von Seetang. Ich geniesse das Gefühl der Sonne auf meiner Haut. Ich öffne langsam die Augen und betrachte das Meer. Mein Herzschlag kommt aus dem Takt und ich ziehe scharf die Luft ein.

Ich glaube nicht was ich sehe. Ich sehe Land. Das ist eigentlich nicht sehr überraschend. Das überraschende ist es zu beiden Seiten zu sehen. Obwohl das Mittelmeer nicht das grösste Meer ist, habe ich doch noch nie Land auf beiden Seiten gesehen, seit ich auf dieser Jacht bin. Doch genau das ist es was ich sehe. Es ist nur ein ferner grüner Schimmer weit in der Ferne, doch mit meinen Katzenaugen, kann ich ihn trotzdem ausmachen. Eine grüne Linie im Norden und im Süden. Ich umklammere das Geländer und beisse mir auf die Unterlippe.

Wieso fürchte ich mich plötzlich vor dem Land? , frage sich ein kleiner naiver Teil von mir, doch eigentlich kenne ich den Grund schon. Auf dem Land lauern die Wölfe. Lope wartet nur darauf, dass ich mich zeige. Er wartet nur auf eine Möglichkeit mich zu töten.

Die Angst, die ich tief in mir begraben habe, kriecht langsam wieder hervor. Plötzlich schmecke ich Blut. Ich starre auf meine Hände um mich zu beruhigen. Meine Knöchel treten schon weiss hervor, so fest umklammere ich das Eisen. Ganz langsam löse ich meine Zähne aus meiner zerbissenen Lippe und atme tief durch. Ich wende dem Land den Rücken zu.

Die Sonne glitzert auf dem Wasser. Doch im Westen warten bereits noch mehr Wolken. Das war es wohl schon wieder mit dem schönen Wetter. Ich gehe wieder ins Innere der Jacht. Dämmerlicht und eine angenehme kühle empfangen mich. Mein Magen knurrt und erinnert mich daran endlich etwas zu essen. Ich habe vielleicht noch eine halbe Stunde, bevor das Training anfängt.

Mahl sehen, wer mich heute zusammenschlagen darf, denke ich und betrete den Salon. Obwohl es noch ziemlich früh ist sind alle schon beim Frühstück. Ich runzle die Stirn. Niemand sagt etwas, niemand lacht oder macht einen Scherz. Eine düstere Stimmung liegt in der Luft. Sogar Hektor scheint sein Essen heute nicht anzurühren, was ein Wunder ist bei seinem Appetit.

Niemand schaut auf, als ich mich neben Leila setze. Sie starrt vor sich hin und rührt ihr Essen nicht an. Alex sitzt mir gegenüber und auch er starrt nur auf seinen Teller. Nur Nadjeschda und Markus scheinen Appetit zu haben.

„Was ist los?", frage ich. Meine Stimme ist seltsam laut in dieser unnatürlichen Stille. Für eine Weile bleibt es Still. Dann seufzt Markus.

„Wir erreichen heute Mittag die Stelle an der das Mittelmeer in den Atlantik mündet. Das Training fällt deswegen aus", sagt er. Er muss nicht sagen wieso.

„Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass Lope einen Angriff startet?", frage ich.

„Zu gross um sie zu ignorieren", meint Nadjeschda und beisst laut stark in ein Brötchen.

„Es wäre der perfekte Ort für einen Angriff", sagt Alex und betrachtet ein Stück Käse so eingehend, als ob es das interessanteste auf der Welt wäre.

Schwarzer Mond - Das Flüstern der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt